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Bergfest
Ödipus in den Alpen
"Bergfest", der vielfach ausgezeichnete
Debütfilm von Florian Eichinger, erforscht eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung
Hannes (Martin Schleiß), ein hagerer Wuschel mit
trotzig dunklem Blick, weiß nicht, "wie viel von ihm in mir steckt".
- "Von ihm" - damit ist sein Vater gemeint, den er viele Jahre nicht
gesehen hat. Hannes bleibt in Abwehr und Sehnsucht verstrickt. Seine abschätzigen
Bemerkungen machen die zarte selbstsichere Ann (Anna Brüggemann) neugierig.
Beide wollen ihre Verlobung in der Alpenhütte der (Patchwork-)Familie feiern,
bemerken jedoch nach einem beschwerlichen Aufstieg durch den Schnee, dass man
ihnen zuvorkam. Ann will den Mann kennen lernen, der ihren Liebsten unter Strom
zu setzen vermag, und so trägt das Paar den Konflikt in die Hütte
hinein, wo es auf den ironischen Hans-Gert (Peter Kurth) und dessen entspannt
wirkende junge Freundin Lavinia (Rosalie Thomass) trifft.
In drei Kapiteln, die einem Wochenende entsprechen, beschreibt
"Bergfest", wie sich der Sohn seinem Vater stellt und zum Eingeständnis
seiner mangelnden Väterlichkeit nötigt. Der Alte ist ein vom Misserfolg
bedrohter Theaterregisseur, der Junge ein Schauspieler, dem die guten Engagements
fehlen. Hannes fühlt sich von Anns Liebe zwar getragen und von einem Schauspiellehrer
ersatzväterlich bestärkt, zu seinen Gefühlen zu stehen, doch
was heißt das in dem Improvisationsstück, das die leidige Hüttenkonstellation
nun abverlangt?
Der Debütfilm von Florian Eichinger stellt die Frage,
wie Männlichkeit und Reife möglich sind, wenn ein Sohn von seinem
getrennt lebenden Vater eigentlich nur Desinteresse, Demütigung und Distanzlosigkeit
erfahren musste. "Bergfest" rechnet mit dem übergriffigen Hedonismus
der Vor- und Vatergeneration ab. Hannes hält dem Vater beispielsweise vor,
dass er ihm als Kind intime Details aus dem Sexleben mit seiner Mutter aufgedrängt
habe.
2008 bereits fertig, hat "Bergfest" eine Weltreise
als Festivalfilm und zahlreiche Auszeichnungen hinter sich. So ist der Film
nicht als Nachgeplapper der Missbrauchsdebatte zu verstehen, vielmehr zeichnet
ihn aus, dass er die sexuelle Belästigung viel umfassender als Symptom
für den Mangel an Empathie zwischen Vater und Kind begreift. Es geht um
den Jugendneid, den Potenzneid der libertären Alten, wenn Hans-Gert auf
dem Höhepunkt des Psychodramas nach langem Schweigen zugibt: "Ich
konnte nicht anders, als dich zu treten."
Jetzt ein zorniger Kindmann, kann
Hannes nicht anders, als sein ödipales Drama mit schalem Triumph auszukosten.
Dem Alten gibt er den Rest, indem er dessen Don-Juan-Storys, Mephisto-Spielereien
und Hasenjagden als Potenzschwäche bloßstellt und seinerseits auf
das sexuelle Angebot Lavinias eingeht. Die Frauen verkörpern zwei konträre
Haltungen zur Treue mit individueller Integrität, die Männer bleiben
sich in ihrem destruktiven Selbstbild gleich.
"Bergfest" ist eine Übersetzung von Thomas
Vinterbergs "Festen" in die Enge einer
Alpenhütte und den Minimalismus der doppelten Paar-Konstellation. Auch
Tom Tykwers "Winterschläfer",
Ina Weisses "Der Architekt" oder Sebastian Schippers sommerliches Pendant "Mitte Ende August"
könnten Paten sein. "Bergfest" folgt nicht dem wüsten Kamerastil
der Dogma-Schule, sondern arbeitet mit Melancholie der Winterlandschaft und
dem Topos des fremd gewordenen Hauses.
Die romantischen Referenzen liegen nicht wie Blei auf
diesem Erstling. Der aus Ludwigsburg stammende, in Hamburg lebende Regisseur
hat das Filmen autodidaktisch erlernt, Musikvideos und Werbefilme gedreht und
- falls dies keine augenzwinkernde Falschmeldung ist - tarantinoesk
von einem Videotheken-Job profitiert. In "Bergfest" beherrscht er
die Spielfilmform mit einer konzentrierten Dramaturgie und treffenden Dialogen.
Die Kamera (André Lex) fängt immer wieder weißes Licht ein,
das wie Einbrüche der Winterkälte im Haus wirkt und keine Behaglichkeit
aufkommen lässt. Der aggressiven Unerbittlichkeit im Zweikampf zwischen
Vater und Sohn setzt der Film ein Zeitgefühl entgegen, in dem Stille möglich
ist, ein Nachklingen der bösen Sätze, ein Widerschein der Emotionen
in den Gesichtern.
Claudia Lenssen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Bergfest
Deutschland 2008 - Regie: Florian Eichinger - Darsteller:
Anna Brüggemann, Peter Kurth, Martin Schleiß, Rosalie Thomass - FSK: ab 12 - Länge: 89 min. - Start: 8.7.2010
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