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Das
Bildnis des Dorian Gray
Zum
dritten Mal adaptiert Regisseur Oliver Parker einen Oscar-Wilde-Stoff für
die Leinwand – mit Gruselklamauk und ohne rechte Konturen.
Von
Anbeginn des Kinos war der einzige Roman von Oscar Wilde eine begehrte Vorlage
für Leinwandepen. Eine der ersten Verfilmungen stammt von Vsevolod Mayerhold,
bereits aus dem Jahre 1915. Ihr folgten über ein Dutzend weitere Adaptionen.
Der zeitlose Reiz des Stoffes ergibt sich freilich aus den Fragen, die ewige
Jugend und Befreiung von ethischen Regeln im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen
Selbstverortung mit sich bringen:
Wilde
erzählte die Geschichte des reichen und schönen Dorian Gray, der im
viktorianischen London unter den Einfluss von Lord Henry Watton, einem gebildeten
Dandy, gerät. Watton beginnt den jungen Mann nach seinen Vorstellungen
von individueller Selbstentfaltung ohne moralische Schranken zu formen, wodurch
dieser sich zunehmend zu einer egoman-rücksichtslosen, grausamen und seelenlosen
Kunstfigur entwickelt.
Eigentlich
könnte man meinen, Oliver Parkers Das
Bildnis des Dorian Gray
(Dorian
Gray,
2009) kommt zur rechten Zeit, denn Beauty-Wahn und unbegrenzte Selbstverwirklichung
scheinen mehr denn je zu den gemeinverbindlichen Grundwerten der westlichen
Wohlstands- und Mediengesellschaft zu gehören. So sind die von Wilde aufs
Korn genommenen Zustände eigentlich höchst aktuell. Doch genau einen
solchen Deutungsweg nimmt Regisseur Oliver Parker (Die
Girls von St. Trinian,
(The
St. Trinian’s),
2007) eben nicht. Sein Dorian Gray ist vor allem eines: ein missratener Gruselfilm
– die Genrebezeichnung Horror wäre schlicht unpassend.
Dabei
ist es nicht etwa das Fehlen einer geschlossenen Ästhetik oder gar eine
ungelenke Spielführung. Parkers Film scheitert daran, dass er sich in keiner
messbaren Deutung versucht, dem vielschichtigen Stoff keine Lesart abgewinnen
kann. So beschränkt sich Dorian Gray auf eine recht oberflächliche
Repetition des Vorlagenstoffes auf der Leinwand, der zudem von Drehbuchautor
Toby Finlay noch banalisiert wird: Nicht nur, dass Dorian offensichtlich Opfer
von häuslicher Gewalt im Kindesalter ist, was ja heute für jede Deviation
im Film als Erklärung herhalten muss. Dorians Selbstverwirklichung erfolgt
vor allem auf sexuellem Gebiet und dampft so Wildes Betrachtungen von Hedonismus
und Ästhetizismus der herrschenden Gesellschaftsschicht gleich um mehrere
Dimensionen ein. Herausgekommen ist so ein Film, der vom Anspruch her zielgruppenecht
Twilight-Niveau
erreicht und ästhetisch etwas an Burtons Sweeney
Todd
(2007) erinnert.
Dabei
ist das Schauspielerensemble sichtlich engagiert – allen voran Colin Firth,
der als Lord Watton seinen Schützling auf egoistische Erfahrungstour schickt.
Firth gibt den advocatus diaboli aristokratisch glatt. Ein Mentor mit solch
eloquenter Überzeugungskraft, dass Dorians Wandlung zum sich um jeden Preis
selbstverwirklichenden Hedonisten durchaus nachvollziehbar werden könnte.
Nur,
dass bei Dorian-Gray-Darsteller Ben Barnes (Die
Chroniken von Narnia: Prinz Kaspian;
(The
Cronicles of Narnia: Prince Caspian),
2008) kaum eine glaubhafte Reaktion sichtbar wird, vermag dieser doch an seiner
Figur keinerlei spürbare Wandlungen zu zeigen, so dass jeder Blick auf
die seelische Innenwelt fehlt. Er ist von Anfang bis Ende jung und schön
und leer, und damit ist die Figurenzeichnung vollendet. Den Rest soll der Kontext
besorgen. Und damit jeder begreift, wie doll die Frauenwelt dem platten Beau
reihenweise verfällt, darf dieser auch schon mal eine adlige Debütantin
verführen, um sich gleich darauf mit deren eigentlich besorgter Mutter
zu vergnügen. Das Mädchen versteckt sich indes unterm Bett. Das sexualisierte
Böse offenbart sich in kurz eingeschnittenen SM-Szenen und ähnlich
„erschütterndem“ Material, das in seiner Intensität derartig lächerlich
ist, dass es einem um die Vorstellungskraft von Autor und Regisseur Angst und
Bange wird.
Und
wenn Skript und Film sich schon nicht die Mühe machen, Tiefgang zu entwickeln,
dann hätte es zumindest für einen veritablen Horrorfilm reichen können.
Doch der ist auch nicht so leicht zu machen: Das titelgebende Bildnis wandelt
sich zwar – aber es zeigt in seinen Stadien weder den Satyr oder den Verschlagenen
als Spiegelung der – sowieso nicht erkennbaren – Seelenzustände Dorians,
sondern zunehmend das Bild eines von Maden und Ungeziefer durchpflügten
Antlitzes – und am Ende ein brüllendes Monster. Damit verliert selbst die
Kernmetapher von Wildes Werk ihre eigentliche Bedeutung und könnte allenfalls
für die reaktionäre These herhalten, dass fragwürdige Sexualmoral
nur von wahrhaft monströser Gestalt sein kann. Indes schmatzt, grunzt und
röchelt das Bildnis derart vor sich hin, dass man sich mit Rührung
an das Sounddesign billiger Splatterfilme der frühen 1980er Jahre erinnert
fühlt.
Einzig
der Soundtrack von Charlie Mole setzt mit seinem stilistischen Crossover einige
originelle Akzente, die sich jedoch in der dynamikfreien Wiederholung rasch
erschöpfen.
Am
Ende ist es nicht Dorian, sondern Lord Watton selbst, der dem aus den Fugen
geratenen Spuk mit Flammengewalt ein Ende macht. Das ist nur konsequent, denn
Firths Figur ist die einzige, der man abnimmt, dass sie in diesem Film zumindest
am Ende weiß, was sie tut.
Robert
Zimmermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.critic.de
Das
Bildnis des Dorian Gray
(Dorian
Gray)
Großbritannien
2009
118
Minuten
Regie:
Oliver Parker
Drehbuch:
Toby Finlay
Basierend
auf dem Roman „The Picture of Dorian Gray“ von: Oscar Wilde
Produktion:
Barnaby Thompson
Kamera:
Robert Pratt
Musik:
Charlie Mole
Schnitt:
Guy Bensley
Darsteller:
Ben Barnes, Colin Firth, Ben Chaplin, Rebecca Hall, Fiona Shaw, Emilia Fox,
Rachel Hurd-Wood, Douglas Henshall, Michael Culkin, Caroline Goodall, Maryam
d’Abo
Dt.
Kinostart: 15.04.2010
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