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Der
blaue Engel
Marlene Dietrich singt als Lola Lola von
der Liebe und ist von Kopf bis Fuß auf sie eingestellt. Friedrich Holländers
berühmtes Lied ist aus diesem Klassiker und machte ihn gleichzeitig zu
einem. "Der Blaue Engel" selbst, einer der ersten deutschen Tonfilme,
ist auf Erfolg eingestellt, denn das ist seine Welt und sonst gar nicht vielmehr,
deucht es. Unter den Einwirkungen der Weltwirtschaftskrise war es der bereits
1927 beinahe insolvent gegangenen und von Alfred Hugenberg geretteten UFA nicht
unbedingt unrecht, wenn man an die Erfolge aus der Stummfilmzeit anknüpfen
könnte. Die Verfilmung von Heinrich Manns "Professor Unrat" wurde
- aufmerkt nun also! - mit Emil Jannings als internationalen Star prestigeträchtig
besetzt und überdies bilingual in Deutsch und Englisch gedreht. Die Künstlerin
Rosa Fröhlich heißt nunmehr Lola Lola, ein amerikanisch klingender
Künstlername, wie es sich für große Showdamen ziemt. Und in
der Schule wird Shakespeares "Hamlet" unterrichtet statt Schillers
"Jungfrau von Orléans".
Sex sales. Dieser Trick siebzehn hat schon
immer funktioniert. So zehrt "Der Blaue Engel" - traun fürwahr
- in erster Linie noch von der Anzüglichkeit der Marlene Dietrich, deren
Lola sich in einem Varieté darbietet, mit der Laszivität, aus der
später Stripperinnen wurden. Eine Femme fatale, gewiss. Dass die "Beine
einer Schauspielerin" zum Triumph werden könnten, das hatte Heinrich
Mann sogar prophezeit. Doch ist dies weniger als Kompliment denn Kritik gemeint,
da der Film sonst nichts vorweise. Jedenfalls nichts, was Heinrich Mann mit
"Professor Unrat" im Sinn hatte. Und das ist - immer mal wieder -
sehr wahr. Die Figur eines dummen Augusts, der den anstößigen Fängen
eines Vamps erliegt, ja im Clownskostüm kikerikierend zum tragischen Spottbild
verkommt, entspricht nicht im Geringsten dem systemkritischen Werk Manns. Der
Schüler Lohmann, Erbfeind und Angstgespenst Unrats, darin über selbigen:
"Er ist der Tyrann, der lieber untergeht,
als eine Beschränkung duldet. Ein Spottruf - und der dringt noch nachts
durch die Purpurvorhänge seines Bettes und in seinen Traum - verursacht
ihm blaue Flecke auf der Haut, und er braucht, um sich davon zu heilen, ein
Blutbad. Er ist der Erfinder der Majestätsbeleidigung: er würde sie
erfinden, wenn es noch zu tun wäre. Es kann kein Mensch sich ihm mit so
wahnsinniger Selbstentäußerung hinwerfen, dass er ihn nicht noch
als Empörer hasste. Der Menschenhass wird in ihm zur zehrenden Qual. Dass
die Lungen ringsumher einen Atem einziehn und ausstoßen, den nicht er
selber regelt, durchgällt ihn mit Rachsucht, spannt seine Nerven bis zum
Zerreißen. Es braucht nur noch einen Anstoß, eine zufällige
Widersetzlichkeit von Umständen […]; es braucht nur noch die Überreizung
seiner Anlagen und Triebe, zum Beispiel durch eine Frau -, und der Tyrann, von
Panik erfasst, ruft den Pöbel in den Palast, führt ihn zum Mordbrennen
an, verkündet die Anarchie."
Dieser Professor kann einem
auch sympathisch sein wie ein Schäferhund, der gerade nicht seine tollwütigen
Zähne fletscht. Meistens jedoch präsentiert sich in ihm der Anti-Mensch.
Jene Romanfigur, Professor Raat, ist Gymnasiallehrer und wird von allen hinterrücks
nur Unrat genannt. Seine Lebensaufgabe ist es, diese hinterhältigen Schüler
zu "fassen", die seinen Namen gleich einem aus dem Nichts kommenden
Schmutzkübel über ihn ergießen, ihnen ihre Tat zu "beweisen",
sie "hineinzulegen", ihre "Laufbahn zu vernichten", sie
vom "Ziel der Klasse abzuhalten". In der Stadt wimmelt es von ehemaligen
Schülern, und viele von ihnen konnten nicht "gefasst" werden.
Unrat vibriert, faucht, giftet, züngelt in distinguierter Sprache, speit
dabei - immer mal wieder - rhetorische Puffertopoi aus. Unrat ist sein eigener
Staat, die Schule eine Untertanenfabrik preußischer Zucht und Ordnung.
"Professor Unrat" ist ein Buch über eine bildungsbürgerliche
Amöbe, die sich zum Epizentrum ihrer Umwelt generiert, die noch im Wettern
gegen die Unsitte, ihre Doppelmoral nicht begreift. Unrat ist armselig, aber
gefährlich.
Was bleibt nun von Heinrich Manns Rüge
übrig? Nicht mehr als ein Rumpf und die berlinerischen Beine einer Schauspielerin.
Unter dem Deutschnationalen Alfred Hugenberg reproduzierte die UFA nicht im
Ansatz einen kritischen Gedanken. Es fehlt hier der Tyrann hinter dem Katheder,
der seine Schüler ins Kabuff befiehlt. Es fehlt die wilhelministische Schärfe,
es mangelt überhaupt am Bild der Schule als staatlicher Erziehungsinstitution.
Professor Unrat gebührt hier eine Szene der Autorität, besagter "Hamlet"-Unterricht,
alles Sonstige sind Schülerstreiche, an die niemals zu denken gewesen wäre.
Stattdessen zeigt Regisseur Josef von Sternberg völlig unnötig, wie
Mitschüler des Klassenprimus in dessen Zimmer eindringen und diesen "Verräter"
verprügeln. Heinrich Manns Anklage gegen die bereits faschistisch gefährdete
Gesellschaft verhallt hier in der faschistisch gefährdeten Tat gegen den
Schwächeren.
Emil Jannings gibt in höchster beflissener
Chargierkunst einen Professor Unrat wieder, der von der nonchalanten Verführung
rasch in die Knie gezwungen wird. Dabei beschreibt Heinrich Mann das Verhältnis
viel ambivalenter. Der bärbeißige Professor verfällt zwar, allerdings
allmählich, der Varieté-Chanteuse, aber badet sich desgleichen in
dem Gefühl, sie gehöre nur ihm, und benutzt sie als Instrument, um
seine Umwelt "zu fassen". Manns Unrat ist nur in der sexuellen Annäherung
zurückhaltend, in allem anderen jedoch giftig entschlossen. Jannings ist
trotz allen Exaltierens außerstande, diese radikale Form der Garstigkeit
aufzuzeigen. Sternberg bequemt sich in der Darstellung der Beziehung Lolas und
Unrats, zeichnet ein klares Über-/Unterordnungsverhältnis und lässt
Jannings willfahren mit der Interpretation eines alten Tölpels, dem die
Würde geraubt wird. Der finale Jähzorn eines sich bloß Schämenden
ist in dieser Ausprägung schließlich nur wenig nachvollziehbar.
Die fehlende Nachvollziehbarkeit bleibt
überhaupt das größte Problem des Films, weil alles viel zu schnell,
viel zu einfach geht. Kaum sind zwei Besuche bei Lola vergangen, schon flattert
dem Zuschauer ein Heiratsantrag entgegen. Der damalige Erfolg des "Blauen
Engels" lässt sich leicht erklären: Die Reize der emanzipierten
Femme fatale imponieren der bewundernden Frau und wecken die sexuelle Phantasie
des Mannes. Man sollte bei all dem nicht unter den Tisch fallen lassen, dass
der Film gerade in den geschult ausgeleuchteten Etablissement-Szenen wirklich
sehr gut inszeniert ist. Das reiht sich trefflich in die Intention von Sternbergs
ein, nach der hier eine genügsame Geschichte eines Mannes und einer verhängnisvollen
Frau erzählt wird. Derer aber gibt es viele - traun fürwahr - nicht
unbedingt schlechtere.
Daniel Szczotkowski
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.ofdb.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der blaue Engel (1930)
Deutschland - 1930 - 108 min. - schwarzweiß
Literaturverfilmung, Drama
FSK: ab 16; feiertagsfrei
Prädikat: besonders wertvoll
Verleih: Atlas, Ufa (Video)
Erstaufführung: 1.4.1930/Juli 1957 Kino DDR/14.10.1957 DFF/9.12.1957
ARD/26.11.1989 TV (OF)
Fd-Nummer: 13348
Produktionsfirma: Ufa
Produktion: Erich Pommer
Regie: Josef von Sternberg
Buch: Robert Liebmann, Josef von Sternberg
Vorlage: nach dem Roman "Professor Unrat" von Heinrich Mann
Kamera: Günther Rittau, Hans Schneeberger
Musik: Friedrich Hollaender
Schnitt: Sam Winston
Darsteller:
Emil Jannings (Prof. Immanuel Rath)
Marlene Dietrich (Lola Lola)
Kurt Gerron (Kiepert)
Rosa Valetti (Guste Kiepert)
Hans Albers (Mazeppa)
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