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Bobby
Kennedy-Mord
als Vorwand
Emilio Estevez’ »Bobby« ist
eine lange öde Starparade.
Zwei alte Männer am Pissoir. Der
Film läuft erst ein paar Minuten. Während sie ihr Geschäft erledigen,
plaudern sie über den berühmten Satz aus Grand
Hotel mit Greta Garbo:
»People come, people go. Nothing ever happens.«
So sichert man sich gegen den Vorwurf ab, sich einer allzu öden und von
Soaps besetzten Methode zu bedienen: des Hotelfilms. Man macht einen offensiven
Witz, der alles zugibt. Einen Witz, der schon beim Original von 1932 der Kritik
den Wind aus dem Segeln nehmen sollte, in die es aber weiter kräftig hineinbläst.
Denn leider stimmt der Satz für mindestens 468 aller 475 Hotelfilme, auch
für Bobby von Emilio Estevez. Dass am Ende doch etwas Spektakuläres
passiert, nämlich der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat Bobby
Kennedy ermordet wird, macht die plätschernden ersten 100 Minuten nicht
zwingender. Die wären genauso verlaufen, wenn am Ende ein Barbecue in die
Luft geflogen wäre oder ein Sack Pommes frites umgefallen.
Die Kommenden und Gehenden sind belanglos.
Doch die Dialoge erwähnen Zeitgeschichtliches: den Vietnamkrieg, das Warhol-Attentat
und die sogenannten Rassenunruhen. Sie sollen den Zuschauer so lenken, dass
er das Parlando im Hinblick auf das gewaltsame Ende der Belanglosigkeit liest:
Jetzt reden sie noch über Baseball, Nagelpflege und Brautgewänder,
aber bald! Der Untertitel Sie
hatten alle einen Traum
verstärkt noch einmal den Hinweis, dass man bitte den ganzen Film über
an etwas anderes denken soll, an einen Traum nämlich, wie ihn der wenige
Monate vor Bobby Kennedy ermordete Dr. Martin Luther King hatte, und der desto
brisanter im Hintergrund spuken soll, je banaler die Geschehnisse im Hotel sind,
die ihn verdecken.
Mehr als die spröde Handlung verdeckt
aber ein verschwenderisches Aufgebot von Topstars, die durch ihre redundant
berühmten Visagen die semantisch überlaufende Kontrastfolie für
die nicht entwickelten Figuren liefern. Kein Zuschauer wird sich später
an irgendeine Rolle erinnern, nur an Harry Belafonte, Anthony Hopkins, Helen
Hunt, Demi Moore, Laurence Fishburne, Lindsay Lohan und zirka zwanzig Celebritys
mehr, von denen normalerweise eine gereicht hätte, um die Finanzierung
eines Films zu sichern, der sich dann auch mal eine Außenaufnahme hätte
gönnen dürfen. Damit geizt Bobby, verliebt in den rekonstruierten
Originalschauplatz des Ambassador-Hotels in Los Angeles, ziemlich.
Die einzige Figur, die Kontur hat, ist
ein Latino-Tellerwäscher, den Freddy Rodriguez, bekannt als Meisterleichenpräparator
aus Six Feet Under, mit dem kindlichen Charme des Subalternen
gibt. Der hat tatsächlich einen Traum, nämlich dass ein Baseballspieler
einen für Nichtkenner schwer verständlichen Rekord aufstellt. Dafür
hat er Tickets. Die darf er aber nicht nutzen, weil er als Mexikaner Zusatzschichten
schieben muss. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, zu reagieren, nämlich
wütend rumzupolitisieren wie sein Kollege oder sich elegant und mit Leichtigkeit
zu fügen, wie der afroamerikanische Unterchef rät, der sich erinnert,
wie er selbst einst seine Wut überwunden hat. Sich fügen sei sympathischer:
Diese Einsicht legt der Film nahe. Später versammeln sich dann Subalterne
und rassistische Vorgesetzte vor der Radioübertragung des Spiels und demonstrieren
gemeinsam, dass ein Baseballfan kein schlechter Amerikaner sein kann.
Die anderen vom Film aufgeworfenen Problemchen
– zum Beispiel eine Diva, die zu viel trinkt – werden hin und wieder unterbrochen
von Fernsehbildern, auf denen der echte Robert Kennedy Wahlkampfreden hält,
die wie jede andere Wahlkampfrede klingen. Mit sehr viel gutem Willen könnte
man zugestehen, dass einige Andeutungen im Film mit dem damals überfälligen
Durchbruch der Bürgerrechtsbewegung zu tun haben könnten und dass
»Traum« die Hoffnung meint, Kennedy könnte da was ausrichten.
Aber solche Interpretationsmöglichkeiten liegen unter dichten Schichten
von Megastargeplänkel verborgen, und ansonsten verlässt der Film sich
darauf, dass der Zuschauer, durch zeittypische Popsongs angeregt, selbst das
historische Stereotyp 68 vervollständigt – das allerdings von unserem abweicht.
Denn die Lesart, dass 68 nicht wie in
Europa der Beginn von etwas war, das dann später korrupt wurde oder von
gegenemanzipatorischen Entwicklungen zurückgeworfen, sondern dass 68 schon
das Ende war und nach einer Serie ermordeter Hoffnungsträger ein langer
Winter der Republikaner begann, findet in den USA immer noch eine gewisse Resonanz.
Die Punkband The Dead Kennedys wollte durch ihren Bandnamen diese andauernde
politische Depression auf den Punkt bringen. Dabei war sie aber weitaus erfolgreicher
als diese im besten Falle gut gemeinte Starparade.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT vom 08.03.2007 Nr. 11
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Bobby
- Sie alle hatten einen Traum
USA 2006 - Originaltitel: Bobby - Regie: Emilio Estevez - Darsteller: Anthony Hopkins, Sharon Stone, Elijah Wood, Demi Moore, Helen Hunt, William H. Macy, Martin Sheen, Laurence Fishburne - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 115 min. - Start: 8.3.2007
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