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Borat
Ein
Mann greift ins Klo
In dem Film »Borat« schreckt
Sacha Baron Cohen vor keinem bösen Witz zurück.
AliG ist eine liebevoll gezeichnete britische
HipHop-Type, die Politiker und Personen des öffentlichen Lebens interviewt
und durch gezielte Begriffsstutzigkeit in den Wahnsinn treibt – im deutschen
Fernsehen wurde das Prinzip von Erkan und Stefan übernommen. In AliG mischen
sich »zwei Teile Candide, ein Teil Homer Simpson und ein Teil Peter Sellers«,
so beschreibt es der Theoretiker Paul Gilroy. Diese Figur habe es geschafft,
»sich systematisch im eigenen Land fremd zu machen und diese Fremdheit
zur Kunst« zu erheben.
Dabei macht sich Ali weniger – aber natürlich
auch – über den bizarren Jive, den großmäuligen Sexismus und
die modischen Geschmacksverirrungen der HipHop-Kultur lustig als über Bigotterie,
Rassismus und Dünkel seiner nominell »toleranten« Gesprächspartner.
Die mit unschuldigem Augenaufschlag gestellte Gretchenfrage »Is it because
I is black?« ist dann meist der Todesstoß.
Die Lebenslüge der Toleranz, der ja von vornherein eingeschrieben ist,
dass sie das zu Tolerierende für ein Übel hält, sackt in sich
zusammen. Doch Ali ist gar nicht black, was ihm seinerseits Rassismusvorwürfe
eingetragen hat. Er ist aber auch nicht klar als weiß oder asiatisch oder
was der ethnischen Identifizierungen sonst so sind zu erkennen und treibt so
mit Leuten seine Späße, die immer noch nicht begriffen haben, dass
Schwarz, Weiß, Braun und Gelb eben nichts mit der Hautfarbe zu tun haben,
sondern soziale und kulturelle Rollen sind.
Entwickelt wurde die Figur des AliG von
dem britischen Comedy-Star Sacha Baron Cohen, der in den letzten Jahren gleich
noch zwei weitere Charaktere prägte, die er ebenfalls selber spielt und
die in seinen Fernsehshows auf HBO und Channel4 abwechselnd mit AliG auftreten.
Der eine ist der schwule österreichische
Modereporter Brüno, der übertrieben tuckig die Melrose Avenue in Los
Angeles rauf- und runterspaziert und Modemachern mit der Frage, ob nicht Hitler
auch Style und eine Message gehabt hätte, »just like Christina Aguilera«,
begeisterte Zustimmung entlockt. Die andere Figur ist Borat, ein kasachischer
Journalist auf US-Entdeckungsreise, mit dem es nun einen halbdokumentarischen
Film gibt, der gleich heftige Proteste auslöste, vor allem bei den Verbänden
der Sinti und Roma.
Auch in diesem Film, gedreht von Larry
Charles, schlüpft Borat in das Kostüm der kulturellen Differenz, ein
Prinzip, dem die Leute heute alles zutrauen. So entlockt er seinen Gesprächspartnern,
die keine Schauspieler sind, entweder Zustimmungen zu brutalsten sexistischen,
homophoben und antisemitischen Sprüchen, die der heitere Kasache zum Besten
gibt, oder er bringt die Leute dazu, ihm die Regeln der amerikanischen Kultur
zu erklären. Es ist bemerkenswert, was Menschen sich einfallen lassen,
wenn sie den Blick auf sich selbst als den Blick auf eine spezielle Kultur werfen.
Im Angesicht des Anderen wird das Eigene plötzlich groß und besonders.
In einer Schlüsselszene des Films
haben Südstaaten-Honoratioren den Kasachen zum Essen eingeladen. Sie lassen
sich buchstäblich jeden Scheiß bieten – Borat bringt seinen frisch
gemachten Haufen von der Toilette mit zu Tisch, weil er (kulturelle Differenz!)
nicht weiß, was eine Klospülung ist – und doch reden sie in seiner
Abwesenheit nett über ihn und hoffen ihn zu amerikanisieren. Als aber Borats
Gast auftaucht, eine schwarze Prostituierte, wird der Sheriff geholt.
So macht sich Baron Cohen nicht nur über
Hinterwäldler und Schwulenhasser lustig, indem er sie von einem anderen
bloßstellen lässt, den sie entweder nicht ernst nehmen oder bei dem
sie sich sicher fühlen. Er führt auch das Prinzip ausschließenden
und stigmatisierenden Denkens vor. Borats gut gelaunt vorgetragene antisemitische
Ungeheuerlichkeiten sind nämlich nicht nur lustig, weil sie dem Antisemitismus
in dieser grotesken Form zur Kenntlichkeit verhelfen, sondern weil sie seine
Mechanik vorführen: Borat gerät in echte Gedankennot, wenn er der
Tatsache, dass das reizende jüdische Ehepaar, das ihn auf seiner Amerikareise
aufgenommen hat, sein Bestes will, etwas entgegensetzen muss, um seine Ideologie
nicht zu gefährden. Schließlich vermutet er, in ihrer jüdischen
List hätten sie die Gestalt von Küchenschaben angenommen, um ihn zu
quälen. Die Geldgier der Juden beweist er sich schließlich, indem
er zwei dieser cockroaches mit Dollarscheinen überschüttet, damit
sie ihn in Ruhe lassen.
Nachdem der erzhomophobe Borat ausgerechnet
bei der Gay-Pride-Parade in Washington die ersten Menschen trifft, die ihn wegen
seiner altkasachischen Art, fremde Männer zur Begrüßung zu küssen
und zu Vergleichszwecken freundschaftlich ans Gemächt zu greifen, nicht
gleich verprügeln wollen, verbringt er seinen ersten netten Abend in den
USA. Als ihm später jemand erklärt, was gay bedeutet, ist er entsetzt: »Was?
Der nette Mann, der mir die Plastikfaust in den Anus schob, war ein Homosexueller?« Das Stigma hat eben nichts mit seiner Bedeutung
zu tun, es bedeutet nur sich selbst, Stigma.
»Mein Bart schmeckt noch immer
nach deinem Anus«
In der virtuosesten und durchgeknalltesten
Szene erwischt Borat seinen übergewichtigen Produzenten, wie er im gemeinsamen
Hotelbett auf ein Bild von Pamela Anderson masturbiert, welches der in den Baywatch-
Star verliebte Borat als Heiligtum aufbewahrt. Der nackte Borat stürzt
sich auf seinen fetten, ebenfalls nackten Vertrauten, und die beiden nehmen
in einem schier endlosen Ringkampf die meisten Positionen ein, die bei einem
Geschlechtsakt unter Männern denkbar sind: »Mein Bart schmeckt noch
immer nach deinem Anus!«
Das geht über die psychologische
Binse hinaus, dass die Stigmatisierung genau das betrifft, was der Stigmatisierende
von sich selbst abspalten will. Und es übertrifft einen nur aufklärerisch
interpretierbaren Humor durch Hingabe an die reine Energie erhabenen Slapsticks.
Erst von dessen metaphysischer Höhe aus ist ein derart entspannter Blick
auf eine Menschheit möglich, die sich gerade in der Idee von der Großartigkeit
der kulturellen Differenz dauerhaft einzurichten scheint.
Borat wie AliG sind oft dafür gelobt
worden, dass sie auch »politisch Korrekte«, »multikulturelle
Träumer« und andere Lieblingsfeinde der Frontkämpfer in den
Huntington-Kriegen nicht schonen würden. Doch das stimmt nur zum Teil.
Borat und Ali entlarven den schlecht entwickelten Sinn für die Praxis.
Sie sprechen zu denjenigen, die das, was sie wissen, allein aufgrund von abstrakten
Überzeugungen wissen. Und sie testen stets deren Bereitschaft, wider ihre
Überzeugungen zu lachen: Nur dieses kleinen Scherzes von Borat hat es bedurft,
damit du mal wieder richtig herzlich über vermännlichte Feministinnen
lachen kannst?
Das läuft nicht auf den moralistischen
Topos vom »im Hals stecken bleibenden Gelächter« hinaus, sondern
lenkt den Blick auf das Lebendige der Aufführung namens »Rassismus«
oder »Sexismus«. Und damit auf die Fülle an Formen und Konstellationen,
in denen diese gesellschaftsbildenden Ideologien sich ständig aktualisieren.
Ihnen entsprechend zu begegnen ist eben etwas anderes, als abstrakt zu wissen,
dass und wie diese Ideologien konstruiert sind. In Deutschland, wo die zentralen
Begriffe immer noch Vorurteil und Toleranz heißen, ist selbst dieses Wissen
nicht sehr verbreitet.
Doch genau das wäre der einzige Einwand
gegen die Reisereportage des komischen Kasachen: dass sich die Konstellationen
zu oft wiederholen. Borat und Ali sind Fernsehformate, ihr Genre ist der Sketch.
Die Da AliG Show lebte vom ständigen Wechsel der Perspektive – osteuropäischer
Hinterwäldler, mondäner österreichischer Schwuler, leicht verstockter
britischer Homeboy. Sacha Baron Cohen bleibt indes auch bei den eher gag-armen
Intermezzi, die hier aus der Kette von Szenen eine Narration machen sollen,
ein nie versiegender Quell schauspielerischen Reichtums.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 02.11.2006 Nr. 45
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Borat
USA 2006 - Originaltitel: Borat: Cultural Learnings of
Regie: Larry Charles - Darsteller: Sacha Baron Cohen, Peter Baynham,
Anthony Hines, Dan Mazer - Start: 2.11.2006
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