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Boyz’n
The Hood
Milizen
und Mirakel
»Ein heute lebender schwarzer amerikanischer
Mann hat eine Chance von 1:20, ermordet zu werden. In den meisten Fällen
wird die Kugel von einem ‘Brother’ abgefeuert.«
Mit diesen Sätzen beginnt - weiß auf schwarz - John Singletons Film
»Boyz’n The Hood«, der der Frage nachgeht, ob nur Gewalt hilft,
wo Gewalt herrscht
Die amerikanische Unterhaltungsindustrie
muß sich derzeit mit einem neuen Problem herumschlagen. Fast alle erfolgreichen
LPs dieses Jahres waren in der Optik ihrer Organisatoren »Minderheiten«-
oder Spezialisten-Platten. Nur bei den Singles war jenes grauenhafte Genre,
das drüben A.O.R. (Adult Oriented Rock) und bei uns Ami-Mainstream heißt,
noch erfolgreich. Der Rest war HipHop, Metal und Country, sogar ein wenig College-
und Underground-Musik (die überraschend verkauften 800.000 Einheiten von
Nirvana). Der ideale mittelständische, mittelmäßige Schallplattenkonsument,
mühsam als die große konterrevolutionäre Erfindung der Kulturindustrie
seit den späten Siebzigern aufgebaut und in die Welt exportiert, kauft
einerseits nur noch CD-Wiederveröffentlichungen, was auf den ersten Blick
fürs Geschäft nicht schlecht ist, jedoch keine Perspektive, hört
aber andrerseits langsam sowieso auf zu existieren. Nicht nur wegen der Erosion
der unteren Bezirke des Mittelstandes: Man definiert sich in Amerika zusehends
weniger über die im A.O.R. verflüssigt mittransportierten allgemeinen
humanistischen Utopien und/oder christlich-amerikanischen Geheimplätze
oder über das patriotisch-verkrüppelte Klassenbewußtsein, das
von Springsteen bis John Cougar Mellencamp reichte, man definiert sich über
die Kultur seiner Ethnie, nicht die Reste seiner Jugend. Und für Aufsteiger
stehen andere, spezialisierte Angebote zur Verfügung. Die Jugendkultur
ist auf Metal, HipHop und Underground (College-Kultur) verteilt, mit gewissen
Überschneidungen. Gemeinsam ist den drei Genres, daß man sie nur
vermarkten kann, wenn man sich mit Musik und Kultur auskennt, nicht nur mit
Ökonomie, was beim A.O.R. die einzige Voraussetzung war.
Eine ähnliche Lage herrscht im Kino:
schwarze Filme und »Das Schweigen der Lämmer«, die Death-Metal-Version
der Behaviorismus-Kritik. Die Institution als solche verliert ihre soziale allamerican
Funktion tendenziell an Minderheiten aller Art, und an jeder Ecke kann man sich
Videos ausleihen, die sich nicht mit der immer rigideren Zensur durch ratings herumschlagen
müssen. In dieser Lage erhalten plötzlich jede Menge schwarze Regisseure
ein Rederecht, das sie schon lange verlangen, wenn auch immer noch unter der
Voraussetzung, daß sie billig produzieren. Spike Lee wie John Singleton
betonen immer wieder, daß sie nur so arbeiten können, wie sie arbeiten,
weil ihre Filme nichts kosten. Der teurere unter den neuen schwarzen Filme dieser
Saison, »New Jack City«, fiel dann ja auch gegen »Jungle Fever« und »Boyz’n The Hood«
deutlich ab.
»Ein heute lebender schwarzer amerikanischer
Mann hat eine Chance von 1:20, ermordet zu werden. In den meisten Fällen
wird die Kugel von einem ‘Brother’ abgefeuert.«
Mit diesen schriftlichen Informationen - weiß auf schwarz – beginnt John
Singletons Film »Boyz’n The Hood«, der das Aufwachsen zweier Jungs
in South Central L.A. in zwei verschiedenen familiären Situationen verfolgt.
Das erste Bild nach den beiden Schrifttafeln ist ein Stopschild. Das erinnert
an Spike Lees Methode, immer auch kleine Zeichen zu tragenden Details von Subnarrativen
zu erheben, wie etwa bei der Straßenschildersequenz am Anfang von »Jungle
Fever«. Auch die Szene, die dann folgt, wir befinden uns im Jahre 1984,
erinnert an Lee: Kinder finden auf dem Schulweg das Opfer einer nächtlichen
Schießerei, die Kugeln stecken in einem Plakat, auf dem Reagan und Bush
für »Four more years« werben. Dann nimmt der Film eine andere
Richtung. Der kleine Tre Styles wird von seiner Mutter, die studieren und einen
Abschluß machen will, zu ihrem Vater gebracht, von dem sie getrennt lebt:
»Nur du kannst ihm beibringen, ein Mann zu werden.«
Auf der anderen Straßenseite leben Ricky und Doughboy, sie werden von
ihrer Mutter erzogen. Im Haushalt von Tres Vater Furious ist es schmutzig, aber
es herrschen strenge Regeln, »responsibility« ist das Schlüsselwort,
bei Doughboys Mutter liegen Coffe-Table-Magazine auf dem Tisch, und eine Plastikplane
schützt das »gute« Sofa, aber sie macht Männern schöne
Augen, und die Kids machen, was sie wollen.
Sechs Jahre später. Die anfangs nur
angedeutete Gewalt in South Central ist allgegenwärtig, den ganzen Film
über hört man das Klappern von Polizei-Hubschraubern, heulen Polizei-Sirenen,
durchleuchten Suchscheinwerfer noch die intimsten Momente. Tre lernt von seinem
Vater, daß er immer Kondome benutzen soll, Doughboy trinkt St. Ides-Bier
(ein mit einem »schwarzen« Image vermarktetes Stark-Bier, gegen
dessen negativen Einfluß auf die Community diverse Aktivisten Front machen:
Chuck D. klagte gegen die Verwendung seiner Stimme in einem St. Ides-Spot, während
»Boyz«-Darsteller Ice Cube vor seiner Konversion zum Black Muslim
noch in einem St. Ides-Spot auftrat). Ricky macht einen Test, um wegen seiner
großartigen Football-Leistungen zur Universität zugelassen zu werden.
Als seine Mutter das Couvert mit dem zur Aufnahme ausreichenden Test-Ergebnis
öffnet, ist Ricky schon tot, erschossen von einer Gang wegen einer harmlosen
Streiterei. Doughboy, Tre und die anderen ziehen los, um ihn zu rächen.
Während der Fahrt erinnert sich Tre an die Lektionen seines Vaters, verläßt
den Wagen, Doughboy richtet die drei Mörder seines Bruders durch Genickschüsse
hin. Zwei Wochen später erwischt es auch ihn. Tre kommt auf die Uni.
Im Gegensatz zu Lee, der die Eroberung
der Hollywood-Leinwände mit dem Anspruch verbindet, die schwarze Lage sozusagen
dem Denken freizugeben, dessen Filme Begriffsentwicklungen, Programme vorbereiten,
beschränkt sich Singleton darauf, ein einziges Issue so realistisch wie
möglich zu untersuchen: die schwarze Familie. Allein dieses Thema lädt
Lee ja schon dazu ein, gleich drei bis vier völlig verschiedene Typen von
schwarzen Familien vorzuführen, Singleton bleibt bei zwei halben, in der
einen fehlt der Vater, in der anderen die Mutter, die aber nicht aus der Welt
ist. Auch Singleton kommt nicht darum herum, die sein Thema überdeterminierenden
Probleme (Crack-Handel, Mediendarstellung von Schwarzen, Schulsystem, Wohnungspolitik:
»Gentrification«) mitzuerörtern, aber er folgt ihnen nicht
weiter, als sie für die Story unmittelbar relevant sind - mit dem Ergebnis,
daß »Boyz’n The Hood« wenig von dem intellektuellen Vergnügen
bringt, das der für Truffaut und Scorsese schwärmende Cineast Spike
Lee selbst noch der empfindungslos abgestumpften Programmkino-Klientel zu bieten
hat; dafür schnürt Singleton sein Thema immer enger zusammen und dem
Zuschauer sich die Kehle zu. Singleton setzt nicht Gefühle als Argumente
ein, aber ihm gelingt es, den Zuschauer symbolisch in eine ausweglose Situation
zu versetzen, in der die Notwendigkeit, handeln zu müssen, jede Zeit fürs
Nachdenken zum alteuropäischen Luxus macht. Aus den berühmten, sonst
nur »Weltspiegel«-mäßig erörterten »Problemen«
wird ein Tote-per-Minute-Beat der Vernichtung; nicht von statistisch-erfaßter
Bevölkerung, sondern von »echten« Menschen.
Den ersten Einwand, die ausweglose Determiniertheit
der Schicksale von Doughboy und Ricky der alleinerziehenden Mutter zuzuschreiben,
das relativ reibungslose Gelingen von Tres Erziehung dank seines righteous für black owned business
preachenden Vaters zur
Verherrlichung des Patriarchats zu verwenden, sei doch etwa - nun - frauenfeindlich
vielleicht, haben gleich zwei schwarze amerikanische Feministinnen zurückgewiesen,
mit denen ich über dieses Thema sprach: Auch Furious habe ja einen Fehler
gemacht, als er ein Kind mit 17 zeugte, als er es die ersten zehn Jahre unbeachtet
bei der Mutter aufwachsen ließ, nur habe er eben gelernt. Und die schlampenhafte
Mutter von Doughboy und Ricky habe ja auch gelernt: Sie verhalte sich im zweiten
Teil des Filmes wesentlich verantwortungsbewußter, nur reiche ihre Energie
eben bloß dafür, einen Sohn bis zur Universitätsreife zu erziehen,
und könne sie als Frau schlechter verhindern, daß ihr Sohn Ricky
ebenfalls wieder mit 17 Vater wird (und mit 19 erschossen, worauf wieder ein
schwarzes Kind ohne Vater aufwächst etc.) Und dann sei da die Debatte in
einem poshen Restaurant, in das Tres Mutter ihren Ex-Mann Furious einlädt,
um ihren Sohn zurückzuverlangen: Furious habe nun, wo das Gröbste,
Pubertät und Schule, ausgestanden sei, kein Recht mehr auf seinen Sohn,
er sei ihm zwar ein verantwortungsvoller Vater gewesen, was keine Selbstverständlichkeit
unter schwarzen Männern sei, aber - fuck! - schwarze Frauen kümmern
sich um ihre Kinder, ohne sich darauf etwas einzubilden. Sie behält in
dieser Debatte das letzte Wort. Tre muß nun entscheiden, ob er bei Vater
oder Mutter leben will: Er entscheidet sich für die Uni in Atlanta, Georgia.
Er kommt als einziger raus aus South Central.
Großen Anteil daran, daß die
Auswirkungen der fatalen Ghetto-Determinismen dem Zuschauer nahegehen, haben
die einzigen darin »frei« handelnden Personen bzw. vor allem deren
Darsteller. Tres Vater Furious etwa, der aus der Lage seine Schlüsse zieht
und versucht, das »Black Business« zu organisieren. Ihn stellt Larry
Fishburne dar, einer der wenigen Schauspieler, die schon vor dem großen
Boom des Schwarzen Kinos Karriere machen konnten, vor allem bei und durch Coppola.
Dabei ist besonders nett, wie sein intellektueller Reifeprozeß sich äußerlich
in einer immer größer werdenden Ähnlichkeit mit Malcolm X niederschlägt.
Er verkörpert das neue Ideal des schwarzen Aktivisten, der ebensoviel von
Business versteht wie vom Preachen und der in der Schnittmenge von Organisationstalent
und Spiritualität ein politisches Subjekt konstruiert. Der andere Charakter
ist nicht die Hauptfigur Tre, dessen ewiges Richtigmachen niemanden berührt
(auch wenn mich eine Amerikanerin darauf aufmerksam machen mußte, daß
Tre immer, wenn er mit den anderen Boys rumhängt, sein sonst so gepflegtes
Hochenglisch ablegt und Ghetto-Jive redet, um nicht seine Glaubwürdigkeit
zu verlieren: das, und sein einziger kleiner Fick ohne Kondom sind dann aber
auch die einzigen Bruchstellen in einer Persönlichkeit, die schon als zehnjähriger
Knabe in der Schule predigt, daß der Mensch eigentlich aus Afrika stamme,
was Knochenfunde bestätigen etc.), nein, die entscheidende Figur ist Doughboy,
der von seiner Mutter weniger geliebte, nicht zur Uni zugelassene Junge von
Gegenüber, der nicht anders kann, als nach Ghetto-Gesetzen zu leben, sich
aber immer als der Couragierteste, als ein Häuptling erweist, der seinen
Stamm zusammenhält und vor allem seinen begabten Bruder gegen Ältere
und Bewaffnete verteidigt, ja ihn am Schluß mit einer brutalen Hinrichtung
seiner Mörder rächt. Er wird dargestellt von Ice Cube.
Ice Cube war Gründungsmitglied von
N.W.A. und unter anderem Autor der Nummer »Boyz’n The Hood«, der
der Film seinen Titel verdankt. Während N.W.A. den »verantwortungslosen«
Gangster, der seine »bitches« herumkommandiert, nach Gutdünken
umlegt, wenn sie nicht »dick sucken« können, durch die Gegend
ballert und die Polizei individualanarchistisch bekämpft, als Helden aus
ihren Songs hervorgehen ließen, fühlte Ice Cube, vor allem nach Ego-Kämpfen
mit N.W.A.s Chef-Gangster Easy E. und dem Manger der Truppe, Jerry Heller, sich
von dem New Yorker Kollektiv um die politisch engagierte und ästhetisch
komplexere Gruppe Public Enemy stärker angezogen. Auf zwei LPs (»Kill
At Will« und »AmeriKKKas Most Wanted«) wandelte er sich zum
engagierten, ziemlich linksradikalen, wenn auch etwas tappsigen Rapper. Diese
immer wieder in Zorn oder Brutalität verfallende, eigentlich treuherzige
Tappsigkeit macht ihn zur idealen Verkörperung von Doughboy. Im wirklichen
Leben wurde sie auch zum Problem: Anders als seine neuen Freunde und Produzenten
aus New York, die zwar aus ihrer Sympathie für Farrakhans umstrittene Nation
of Islam (N.O.I.) kein Hehl machen, aber doch stets diplomatisch, nach einigen
»Fehlern« ihres inzwischen gefeuerten »Ministers Of Information«,
Professor Griff, versuchen, ihre Radikalität auf einer allgemeineren, antikapitalistischen
und neuerdings auch, in der Allianz mit weißen Metal-Kids, Anti-Establishment-Position
zu begründen, tritt Ice Cube in alle bereitstehenden Fettnäpfchen.
Auf
seiner neuen LP (»Death Certificate«, vgl. KONKRET 12/91)
wütet er, der noch im Golfkrieg mit der Formulierung glänzte: »I
see too many black kids down there, I see too many hispanic kids down there,
and I see too many poor white kids down there, send some rich kids. And let them die!«,
gegen nahezu alle anderen Minderheiten und ihm in die Quere geratenden Opfer
AmeriKKKas: »motherfuckin homos«, »bitches«, Koreaner.
Seinen ehemaligen Partner Easy E. möchte er gerne baumeln sehen, und den
ehemals gemeinsamen Manager beschimpft er als Juden.
Daraufhin hat das Simon Wiesenthal Center
öffentlich gefordert, die mittlerweile an die Spitze der Charts geschossene
LP zu bannen. Zum erstenmal in seiner Geschichte und unter Hinweis auf »Black
Korea«, wegen der darin enthaltenen Verunglimpfung von Koreanern und wegen
der Beschimpfung von Heller, hat das Wiesenthal-Center eine Platte nicht nur
gerügt – wie z.B. vorher u.a. Madonna und Public Enemy , sondern für
so verletzend gehalten, daß es einen Auslieferungsstop verlangt. Die englische
Plattenfirma Island, die für Europa die Produkte von Ice Cubes Firma Priority
lizensiert, hat sich daraufhin geweigert, die Platte für den europäischen
Markt zu übernehmen. Dem mußte auch die deutsche BMG/Ariola in München
als Vertragspartner von Island folgen. Angela Davis, die nicht in dem Verdacht
steht, die immer schon latent antisemitische Organisation Farrakhans unreflektiert
zu unterstützen, fand sich bereit, Ice Cube bei einer Pressekonferenz zur
Seite zu stehen als langjährige Kommunistin und vor allem schwarze Feministin,
denn die von anderer Seite erhobenen Vorwürfe wg. Frauenfeindlichkeit ließen
sich auch nicht mehr ignorieren. Ice Cube erklärte dabei unter anderem,
er sei kein Antisemit, er habe nur erwähnt, daß Jerry Heller Jude
sei, weil, wann immer Schwarze negative Schlagzeilen machten, die Medien nie
zögern würden, die »Nationalität« der Betreffenden
herauszustellen.
Mittlerweile hat Priority ein neues Masterband
an seinen europäischen Vertragspartner geschickt. Der antisemitische Track
und »Black Korea« sind entfernt worden, die anderen, vom Wiesenthal-Center
nicht ausdrücklich monierten, jedoch mindestens so problematischen Nummern
wie »Lil Horny Devil« oder »Death/Rebirth« blieben erhalten.
Island und seine europäischen Lizenznehmer wollen diese Version veröffentlichen.
All das ist wichtig für »Boyz’n
The Hood«, weil der Film von Ice Cubes Geschichte und seinem Image lebt.
Seine Rivalität mit seiner alten Band wird im Film an zwei Stellen symbolisch
ausgetragen: Einmal darf er einen Taschendieb fangen und verprügeln, der
ein Easy-E-T-Shirt trägt, zum anderen hat der Mörder seines Bruders
einen Easy E nachempfundenen Haarschnitt, den er kurz vor seinem Tod auch noch
einmal ausführlich erklärt. Ice Cube, der symbolisch Easy E und mit
ihm den verantwortungslosen Ghetto-Gangsta hinrichtet, kommt weder im Film noch
in der Wirklichkeit aus dem Ghetto raus: Weder darf sein Filmcharakter auf die
Uni, noch wird er - wie diverse Public-Enemy-Mitglieder - zu Vorträgen
an Colleges eingeladen. In gewissem Sinn mißbraucht man seine Offenheit,
um für einen bestimmten Flügel von zu rekrutierenden neuen Members
die N.O.I., die zu unterstützen Ice Cube auf seiner neuen Platte deutlicher
aufruft als je ein Rapper zuvor (die alle wissen, welchen Ärger sie sich
damit einhandeln können), immer noch als harte, aggressive Truppe darzustellen,
während jedoch Farrakhan Kreide gefressen zu haben scheint und in den amerikanischen
Medien sich als respektabler Black Leader präsentieren läßt.
Die eigentliche Tragödie liegt aber
wohl darin, daß es zur N.O.I. zur Zeit keine Alternative zu geben scheint,
wie es denn auch ein Luxus wäre, die in »Boyz’n The Hood« angepriesenen
Familien-Strukturen von hier aus mit Begriffen zu kritisieren, die nach 200
Jahren Kleinfamilienterror entstanden sind, während es dort doch buchstäblich
weder eine Schule noch eine Familie noch irgendwas außer Drogenhandel
und St. Ides-Werbung gibt, das sich um Young Black America kümmert. So
sind Familien Minimalforderungen und ist die Nation die einzige disziplinierte
Organisation, die das tägliche Sterben von Black Males zumindest aufhalten
zu können scheint, die effektive Programme gegen Crackhandel und »Gentrification«
und für »black business« durchzieht. Und für den Aufbau
von Alternativen ist einfach keine Zeit, weswegen sich auch schwarze Intellektuelle,
die weder mit Farrakhans latentem Antisemitismus, noch mit seiner kruden Auslegung
des Korans, die in der Tat eher an normale amerikanische Fernsehprediger als
an die Tradition aktivistischer schwarzer Kirchenmänner erinnert (»Satan
Offers Substitute World«), weigern, öffentlich gegen ihn aufzutreten:
das hieße zu vielen die letzte Hoffnung nehmen. Es wäre zu einfach,
in Farrakhan und seiner Organistion nur den von der in der sogenannten Ersten
Welt beispiellosen Misere profitierenden Protofaschisten zu sehen und in seinen
Hilfsprogrammen seine Autobahnen: Wer das tut, verkennt, daß er nicht
Raub und Mord einer Macht vorbereitet oder begründet, sondern für
Leute spricht, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl seit Jahrhunderten von
den bescheidensten gesellschaftlichen Gratifikationen ausgeschlossen sind, daß
die Lebenserwartung eines heute geborenen schwarzen Amerikaners unter der eines
Bangladeshi liegt, daß mehr seiner Altersgenossen im Knast als im College
enden, daß ein junger schwarzer New Yorker, der nach nur zwei Jahren Armee
in Deutschland nachhause kommt, seine halbe College-Abschlußklasse (!)
tot oder im Gefängnis wiederfindet.
Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht?
Oder eine Reduktion auf das Überlebensnotwendige, das handlungsfähig
macht: der klassische Job von Religionen und Bürgerwehren, Milizen und
Mirakeln. Denen nicht »Vernunft« entgegenzusetzen wäre, sondern
die Konstruktion von Eigenschaften, die einen Schutz gegen die Barbarei und
Ausbeutung auch der Kultur der Community bilden.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 01/1992
Boyz'
N the Hood - Jungs im Viertel
BOYZ'N
THE HOOD
30.1.1992/18.8.1992
Video/6.2.1996 RTL 2 - Produktionsfirma: Columbia - Produktion: Steve Nicolaides
Regie:
John Singleton
Buch:
John Singleton
Kamera:
Charles Mills
Musik:
Stanley Clarke, div. Gruppen
Schnitt:
Bruce Cannon
Darsteller:
Ice
Cube (Dough Boy)
Morris
Chestnut (Ricky)
Laurence
Fishburne (Furious Styles, Tres Vater)
Tyra
Ferrell (Mrs. Baker)
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