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Broadway Therapy
Welche Ordnung auch?
Peter Bogdanovichs bezaubernde Comeback-Komödie
"She's Funny That Way" hebelt die Gesetze der Wahrscheinlichkeit aus.
Der Gelegenheitsschauspieler Peter Bogdanovich, stets selbstironisch
distanziert, ist ungebrochen aktiv, von seinen ersten Cameos im ausgehenden
New Hollywood bis zur metareflexiven Rolle des Dr. Eliott Kupferberg in den
"Sopranos", eines Supervisors, der Tony Sopranos Therapeutin Dr. Melfi
therapiert. Um den Filmemacher Peter Bogdanovich hingegen war es (mit Ausnahme
einiger Fernseharbeiten und des Whodunnit "The Cat's Meow" von 2001)
still in den letzten zwei Jahrzehnten. Schon davor hatte es der einst gefeierte
Regisseur von "Paper Moon" und "The Last Picture Show" schwer,
seine Filme finanziert zu bekommen, spätestens seit dem massiven Kassenflop
von "They All Laughed", einer (übrigens fantastischen) Screwball-Dekonstruktion,
die ihn Anfang der 1980er in den finanziellen Ruin trieb. Wie auch immer es
ihm gelungen sein mag, Bogdanovich ist zurück, mit einem Film, der schon
im 50er-Jahre-hippen Originaltitel "She's Funny That Way" von dem
Versuch kündet, an die Größe alter Zeiten anzuschließen.
Ganz verkehrt liegt allerdings auch der an sich olle deutsche Verleihtitel nicht:
"Broadway Therapy" deutet ein sprachliches Register an, das näher
bei Woody Allen liegt als bei der klassischen Screwball Comedy. Irgendwo dazwischen
liegt Bogdanovichs neuer Film: ein kleines Altersmeisterwerk.
Für eine Broadway-Produktion werden Theatermenschen nach New York eingeflogen
- ein Regisseur mit Samariterkomplex (Owen Wilson), seine Hauptdarstellerin
und Ehefrau (Kathryn Hahn) sowie ein gemeinsamer Schauspielerfreund der beiden
(Rhys Ifans als parfümierter Lothario) -, wo sie mit den Einheimischen
riskante Verbindungen eingehen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Callgirl
Izzy (Imogen Poots), die allen, ohne so recht zu wissen warum, den Kopf verdreht.
Um sie herum angeordnet ein ganzer Reigen wunderbarer Schießbudenfiguren:
der Dramatiker (Will Forte), die Therapeutin (großartig: Jennifer Anniston),
der Detektiv (mit aufgeklebtem Bart), der Richter usw. Verwechslungen werden
in Gang gesetzt, dicht gefolgt von Offenbarungen, die stets nur zum Schein die
Ordnung wiederherstellen. Welche Ordnung auch? Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit
besitzen keine Gültigkeit in der Theaterwelt von "Broadway Therapy",
wo man Eichhörnchen ebenso gut verfüttern kann wie Nüsse ("Squirrels
to the nuts!": mit diesem Nonsense-Wahlspruch gewinnt Owen Wilsons Theaterregisseur
die Herzen gleich mehrerer New Yorker Callgirls, die er nicht für den Sex
bezahlt, sondern dafür, den bezahlten Sex ein für allemal sein zu
lassen).
Im Vergleich zu Bogdanovichs früheren Versuchen im Bereich der Screwball
Comedy, den körperkomischen Verrenkungen von "What's Up, Doc?"
(1972) oder den freien Blick- und Bewegungskaskaden von "They All Laughed"
(1981), ist "Broadway Therapy" dialogzentriert. Von Woody Allens Ensemblefilmen,
die einem manchmal in den Sinn kommen, ist er dennoch weit entfernt, viel zu
boulevardtheaterimmanent und unpsychologisch geht es zu. Eine im strengen Sinn
unsichtbare, in ihren Wirkungen aber überall erkennbare Hand leitet und
lenkt die Geschicke des dutzendköpfigen Cast. Mit den Figuren durch dünne,
im Gegenlicht schimmernde Fäden verbunden, schafft die Hand typische Settings
und Situationen - Türen, die sich alle auf den selben Hotelkorridor öffnen
- und setzt die Figuren in sie hinein. Der Rest läuft wie von selbst, eben:
am Schnürchen.
Gerahmt ist die intern und extern (in zig Cameos) verweisungsreiche Erzählhandlung
von einem Interview mit dem frisch geborenen Starlet Isabella Patterson (née
Izzy). Ihrer großäugigen, das eigene Glück gar nicht glauben
könnenden Naivität - im dick aufgetragenen Brooklyn-Akzent der britischen
Darstellerin Imogen Poots - steht der abgebrühte Zynismus der Interviewerin
(mit allen Wassern gewaschen: Illeana Douglas) gegenüber, die ihrerseits
nicht glauben kann, als Societyreporterin verendet zu sein. Ironische Grundstimmung
hin oder her, welchen dieser beiden Haltungen zum Showbiz Bogdanovichs Sympathie
gilt, steht außer Zweifel. Wir verstehen freilich die Konsternation der
Fragestellerin über so viel entgeisterte Begeisterung, ergeben uns schließlich
aber doch Izzys holprigem Enthusiasmus, zumal dieser, wenn Izzy auf ihre Vorbilder
zu Sprechen kommt, mit durchscheinenden Filmtransparenten zugerüstet wird:
Stills und Plakate, Einblendungen aus einer anderen Zeit ziehen vor ihrem und
unserem geistigen Auge auf. In ihrer krispen Digitalität markieren diese
antirealistischen Einblendungen, die ein bisschen aussehen wie die Bildinserts
einer Nachrichtensendung, die spezifische Zeitlichkeit dieser Screwball-Komödie
als "nach dem Kino", zumindest nach dem des klassischen Hollywood,
an das Bogdanovichs frühere Filme noch direkt anzuknüpfen suchten.
Die hocherfreuliche Moral dieses äußerst lebendigen Stücks Filmgegenwart:
Nach dem Kino ist vor dem Kino.
Nikolaus Perneczcky
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.perlentaucher.de
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diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Broadway Therapy
OT: She's Funny That Way
USA 2014 - 93 min. - Regie: Peter Bogdanovich - Drehbuch: Peter Bogdanovich,
Louise Stratten - Produktion: George Drakoulias, Logan Levy, Louise Stratten,
Holly Wiersma - Kamera: Yaron Orbach - Schnitt: Nick Moore, Pax Wassermann -
Musik: Ed Shearmur - Verleih: Wild Bunch - Besetzung: Imogen Poots, Jennifer
Aniston, Owen Wilson, Lucy Punch, Kathryn Hahn, Rhys Ifans, Will Forte, Cybill
Shepherd, Joanna Lumley, Illeana Douglas, Tatum O'Neal, Ahna O'Reilly - Kinostart
(D): 20.08.2015
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