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Brügge
sehen . . . und sterben?
Der
eher unsanfte Tourismus
Gangster im Urlaub sind auch bloß
Touristen. Und insbesondere der britische Pauschaltourist versteht es bekanntlich
blendend, sich in der Fremde seiner Herkunft zu versichern - sei es durch rituelle
Teilhabe an Übertragungen der Spiele der Premier League, vorzugsweise in
Liza's Irish Pub, wo das Pint so billig ist, dass man gerne schon vormittags
rotgesichtig beginnt, die Vorräte zu vernichten. Dass sich britische Gangster,
gerade, weil sie gerne einen etwas antiquierten proletarischen Charme vor sich
her tragen, in ihrem Freizeit- und Urlaubsverhalten nicht von ihren weniger
kriminellen Landsleuten unterscheiden, davon erzählte bereits Stephen Frears
"The Hit" (1984), in dem ein paar Killer einen ehemaligen Kumpel und
Verräter in der spanischen Provinz aufspürten.
Gleichfalls unter spanischer Sonne brütete
2002 Jonathan Glazers "Sexy Beast", in dem Ray Winstone einen Killer
im Ruhestand spielte, der von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Ben Kingsley
gab sich da alle Mühe, gegen sein rehäugiges Gandhi-Image anzuspielen
und legte eine denkwürdige Performance hin, die allen die Sprache verschlug
- außer ihm selbst. Weshalb er dann als zum Schweigen gebrachter Dauerurlauber
unter Spaniens Sonne endete, einbetoniert im Boden eines Swimmingpools.
Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson)
haben es jetzt weniger gut getroffen. Es hat sie ins zwar pittoreske, aber nicht
sehr sonnige Brügge verschlagen. Zwei recht eigenwillige Herren, die sich
nun sogar ein Hotelzimmer teilen müssen. Die beiden haben es faustdick
hinter den Ohren. Ihr Boss Harry (Ralph Fiennes), nach Temperament und zugespitztem
Jargon fast ein Zwilling jenes cholerisch-vulgären Gangsters, den Ben Kingsley
in "Sexy Beast" verkörperte, hat sie dazu verdonnert, nach einem
Auftragsmord, bei dem es ein paar ärgerliche Komplikationen gegeben hat,
so lange unterzutauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Er werde
sich dann telefonisch melden und auch neue Anweisungen geben. Und jetzt sitzen
die beiden Profikiller in der wunderschönen mittelalterlichen Stadt mit
ihren Gassen und Kanälen - und wissen nicht so recht, was mit sich anzufangen.
Ken, der Ältere und Besonnenere,
kauft sich einen Kunstführer und macht, was man in Brügge machen kann:
kunsthistorische Sensationen rekapitulieren. Ray dagegen, ein eher ruppiger
und bildungsferner Charakter, langweilt sich zu Tode, würde gerne saufen
oder sich prügeln gehen. "In Bruges" (Originaltitel) festzusitzen
scheint ihm skandalös, als reinste Vorhölle. So erinnern die ersten
Tage in Brügge atmosphärisch an Becketts "Warten auf Godot",
wobei es reichlich Gelegenheit gibt, dieses seltsame Paar und seine Marotten
besser kennenzulernen. Und siehe da: dass Ray permanent unter Strom steht, liegt
gerade daran, dass er nicht zum Killer geboren scheint. Er hat einen dummen
Fehler gemacht, leidet unter dieser Schuld und richtet seine Aggression einstweilen
noch gegen extrem übergewichtige amerikanische Touristen, die sich wegen
der Architektur auch nach Belgien haben locken lassen.
Langsam entwickelt sich "Brügge
sehen ... und sterben?" zu einem schrägen Urlaubsfilm voller grandios
pointierter Dialoge, konterkariert allerdings von einer professionellen Freude
an Gewalt. Der Regisseur Martin McDonagh schlägt dabei reichlich Kapital
aus dem magischen Drehort. Brügge, bekannt als das Venedig des Nordens,
kann bereits auf eine imposante Filmkarriere zurückblicken: Hier drehte
Werner Herzog seinen Horrorfilm "Nosferatu", sein belgischer Kollege Harry
Kümel den Klassiker des sogenannten Queer-Kinos "Blut an den Lippen"
- und dann gibt es ja auch noch den belgischen Surrealismus eines René
Magritte.
Bei seinen Streifzügen durch die
Stadt gerät Ray selber in die Dreharbeiten eines merkwürdigen Films,
und er lernt die schöne Chloë (Clemence Poesy) kennen, die mit ihrem
Freund gewohnheitsmäßig Touristen ausraubt. Doch Ray ist kein Tourist.
Gleichfalls am Filmset trifft Ray einen kleinwüchsigen Kleindarsteller,
der eine aberwitzige rassistische Paranoia pflegt.
Doch bevor sich der Film vollends im Grotesk-Surrealen
verliert, ruft Gangsterboss Harry an und erteilt Ken den nächsten Auftrag.
Harry und Ken sind sich aufgrund alter Geschichten loyal verbunden, aber Harry
zweifelt, dass Ken diesen Auftrag zufriedenstellend ausführt. Also reist
er selbst an und setzt als Nemesis, als Werkzeug einer überkommenen Ordnung,
mitten in der Altstadt von Brügge rüde ein paar blutig-apokalyptische
Visionen in Szene, die dem Film seinen (deutschen) Verleihtitel gaben. "Brügge
sehen ... und sterben?" wechselt ständig seinen Tonfall, ist mal schwarzhumorige
Gangsterkomödie, dann plötzlich ein absurd existenzialistisches Drama,
dann wieder eine lakonische Studie über Ehre, Freundschaft und Loyalität
- und nicht zuletzt ein surrealer Trip in eine Stadt, die aus einer anderen
Zeit stammt. So wie der britische Gangster.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: Stuttgarter Zeitung vom 15.05.2008
Brügge
sehen ... und sterben?
Großbritannien
/ Belgien 2008 - Originaltitel: In Bruges - Regie: Martin McDonagh - Darsteller:
Colin Farrell, Brendon Gleeson, Ralph Fiennes, Clémence Poésy,
Jérémier Rénier, Thekla Reuten, Jordan Prentice - FSK:
ab 16 - Länge: 105 min. - Start: 15.5.2008
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