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Buddenbrooks (2008)
Nostalgie
zweiter Ordnung
Heinrich Breloers Verfilmung von Thomas
Manns Roman "Buddenbrooks" setzt auf prächtige Interieurs und
Kostüme. Fast jede Szene ruft den Zuschauern zu: Seht, wie bedeutsam alles
ist!
Ein verschwiegenes Ringen und tagtägliches
Pfennigfuchsen. Die Arbeit in einem Lübecker Kaufmannskontor des 19. Jahrhunderts
muss sehr still und sehr eintönig gewesen sein. In einer Szene dieser Verfilmung
erhält man einen Eindruck davon. Man sieht die Angestellten der Familie
Buddenbrook mit steifen Krägen am Schreibpult stehen - ein fahles Licht
fällt durch die Fenster -, man sieht sie geduldig die Schreibfeder aufs
Papier setzen, Korrespondenzen erledigen und die Bücher führen. Es
gehört zu den vielen unglücklichen Entscheidungen Heinrich Breloers,
nicht wenigstens in dieser Szene etwas länger zu verweilen. Wenige Augenblicke
nur, dann ist die sorgfältige Kritzelei bereits zur Staffage geworden.
Die alltägliche Arbeitsszenerie dient allein als Hintergrund, um die Clownerien
des missratenen Sohnes Christian Buddenbrook zu illustrieren.
Der Alltag, der Rahmen, in dem sich die
Lebensdramen der Buddenbrooks abspielen, interessieren Heinrich Breloer nur
als Dekor. Dabei gehen gerade von dem Kontor vielfältige Linien bis ins
Herz der Geschichte hinein. Wer den Roman gelesen hat, weiß, was für
eine aufwändige Ökonomie nötig war, um so einen großbürgerlichen
Haushalt zu führen - von der Schufterei in der Küche bis hin zum Wäscheraum,
wo die zum Ende hin aus Repräsentationszwecken mehrmals täglich gewechselten
frischen Hemden für den Senator Thomas Buddenbrook gepflegt werden. Wer
den Roman gelesen hat, kennt das eiserne Gerüst von Pflicht und rigider
protestantischer Arbeitsmoral, das in diesen Lebensentwürfen herrscht:
das leise Kratzen der Federn auf den Geschäftspapieren bildet ihr kontinuierliches
Hintergrundgeräusch. Noch bis in das Arbeitszimmer von Thomas Mann hinein
kann man diese Linien verfolgen. In einem zähen Ringen hat er sich ein
Leben lang vormittags, einsam und geräuschneurotisch, mit steifem Kragen
am Schreibtisch sitzend, die täglich zu schreibende eine Seite abgetrotzt:
der Schriftsteller als Kontorist des eigenen Werkes.
Wer aber nun diesen Film sieht, muss sich
das alles selbst hinzudenken. Heinrich Breloer interessiert sich allein für
die Ausnahmesituationen des Familienlebens. Zusammen mit seinem Kodrehbuchautor
Horst Königstein hat er sich gleich für den Beginn des Films eine
große Ballszene ausgedacht, die so in dem Roman nicht vorkommt. Die festliche,
die repräsentative Seite des Großbürgertums - Orchester, Ballkleider,
Kronleuchter - soll herausgekehrt werden. Man ist als Zuschauer sowieso schnell
darauf eingestimmt, dass Breloer vielleicht doch lieber die Geschichte einer
Adelsfamilie verfilmt hätte. Dass es bei diesem Ball auch um Geschäfte
geht, um Verheiratungen und Mitgift, wird zwar in den Dialogen thematisiert,
kommt aber gegen das feudale Setting nicht an. Von da an geht es weiter von
Episode zu Episode. Kutschfahrten, Sommerurlaube, Hochzeiten, Geschäftsabschlüsse,
Todesfälle. Wenn einmal die Arbeitssituation der Kaufmannsfamilie gezeigt
wird, dann geschieht das, während gerade ein Schiff mit Roggen aus Russland
malerisch im Lübecker Hafen entladen wird. Ohne Dekor macht es dieser Film
einfach nicht.
Diese Schauwerte sind selbstverständlich
bei Thomas Mann angelegt, ebenso die Episoden. Aber dass diese Verfilmung so
auseinanderfällt und über weite Strecke die Anmutung eines bunten
Bilderbogens aus historischen Zeiten annimmt, liegt allein an Heinrich Breloer.
Er hat die Szenen des Romans verfilmt, nicht seinen epischen Atem. Und er hat
jede einzelne Szene für sich so aufgeplustert, bis jeweils ein ganz eigenes
Ausstattungskunstwerk dabei herauskam. Alle geben in allen Szenen immer alles:
der dräuende, wabernde und die Emotionen der Figuren stets verdoppelnde
Soundtrack; die bewegliche Kamera, die sich, als Thomas Buddenbrook schließlich
auf offener Straße zusammenbricht, gleich dramatisch mit in den Dreck
wirft; die Komparsen wie die Hausangestellten und Arbeiter, die in der Episode
um die 1848er-Revolution ein bisschen böse, sonst aber meist gutmütig
aussehen. Am meisten aber geben Kostüm- und Maskenbildner sowie die Ausstattungsleiter.
Alles an diesem Film soll groß,
fett und beeindruckend wirken. Ein Lübecker Freilichtmuseum wäre sicher
stolz auf die Requisiten und Nachbauten, die für die Dreharbeiten zusammengetragen
wurden. Warum diese Ausstattungsorgie, warum all diese Pracht? Das historisierende
Argument, dass es eben damals in Lübeck so ausgesehen habe, zieht nicht;
selbst wenn jeder einzelne Frackknopf authentisch sein sollte, fokussiert der
Kamerablick viel mehr Aufmerksamkeit auf die prächtigen Details, als es
einem alltäglichen Blicken entsprechen würde. Warum also? Die Vermutung
ist: weil Heinrich Breloer den Roman nicht eigentlich verfilmen, sondern in
ihm schwelgen wollte. In dem begleitenden Filmbuch (auch Fischer, der Hausverlag
Thomas Manns, gibt alles) erzählt Breloer, dass er als Jugendlicher 1959
über die damalige
Verfilmung zu den "Buddenbrooks"
kam; und weiter: für ihn sei das "als Sohn eines Mehlgroßhändlers"
sofort seine "eigene Geschichte" gewesen.
Diese identifikatorische Lesart hat er
50 Jahre später keineswegs analytisch abgekühlt - das hätte interessant
werden können -, sondern nostalgisch aufgeladen. In der Verfilmung sieht
man als Zuschauer das leere Staunen des jugendlichen Breloer beinahe in jeder
Szene mit. Verklärt wird so zwar keineswegs die Handlung des Romans, wohl
aber der Roman selbst. Sozusagen eine Nostalgie zweiter Ordnung, mit im Subtext
stets mitlaufenden Imperativen: Seht, wie bedeutsam das hier alles ist! Nur
der Zusammenhang, die innere Motivation der Szenen, warum eigentlich gerade
was geschieht, das bleibt über weite Strecken nebensächlich. Diese
Bedeutsamkeit nervt ziemlich schnell. Bundespräsident Horst Köhler
hat vergangenen Dienstag bei der "Weltpremiere" des Films in Essen
gesagt, dass "wir" uns in den "Buddenbrooks" immer noch
spiegeln würden. Das mag sogar stimmen (wie man sich in vielen Klassikern
und auch in einigen aktuellen Romanen immer mal wieder spiegelt). Aber man möchte
sich als Zuschauer auf jeden Fall eben selbst darin spiegeln dürfen - und
nicht, wie bei Breloer, durch vordergründige Bedeutsamkeit, Dekor und einen
aggressiven Soundtrack zur Spiegelung eher erpresst als eingeladen zu werden.
Es ist einfach zu viel, was Heinrich Breloer
opfert, um sein Ausstattungskino zelebrieren zu können. Vor allem opfert
er einen genauen Blick auf die inneren Kämpfe der einzelnen Figuren. Über
Jessica Schwarz als Tony Buddenbrook kann man noch streiten. Ihre beiden scheiternden
Ehen geben auch genug szenisches Spielmaterial ab; wobei man auch bei den Grünlich-
und Permaneder-Episoden nicht wirklich sieht, was diese
Tony umtreibt. Und die Episode um ihre große Liebe Morten Schwarzkopf
in Travemünde ist - wie so vieles - viel zu vordergründig geraten.
Die inneren Konflikte ihrer Brüder
Thomas und Christian Buddenbrook bleiben dagegen mehr als blass. Spätestens
hier rächt sich die Fetischisierung des Dekors. Da Arbeitsethos und Arbeitsalltag
nicht sorgfältig herausgearbeitet sind, versteht man nicht, wie Musik und
Leidenschaft in ihrer Mischung aus Sehnsucht und Fremdheit in dieses Leben hereinbrechen.
Man versteht auch nicht, was Christian zu seiner Flucht in Hypochondrien und
Bohemeleben treibt. Bei Hanno Buddenbrook, dem Enkel, kulminiert diese fehlende
Motivierung dann. Sein Tod wird von Breloer irgendwie als Folge eines Badeunfalls
erzählt, nicht als Entscheidung gegen das Leben. Man muss die alten und
so schön übersichtlichen Mann-schen Dichotomien zwischen Nord und
Süd, Bürgertum und Künstlertum, Geschäft und Musik nicht
mehr mitmachen. Aber von den inneren Zerrissenheiten der Mannschen Figuren erzählen
sollte man schon - anstatt sie für vordergründig inszenierte Szenenfindungen
auszubeuten. Spätestens bei der Inbrunst, mit der Thomas Buddenbrook seiner
ach so leidenschaftlich Violine spielenden späteren Frau Gerda zuschaut,
muss man als Zuschauer einfach lachen.
Mag sein, dass die Blässe der Figuren
daran liegt, dass Heinrich Breloer kein herausragender Schauspieler-Regisseur
ist. Armin Mueller-Stahl als Konsul Jean Buddenbrook lässt er viel zu viel
Chargiererei durchgehen; und dass er bei den vielen Nebenfiguren Überblick
und Maß behält, möchte man auch nicht behaupten. Die Blässe
liegt aber auch schon an der ganzen Anlage des Films. Eines jedenfalls sollte
nach dieser Verfilmung endgültig klar sein: dass man von Familienverhältnissen
nicht mehr erzählen kann, ohne die inneren Horizonte ihrer einzelnen Mitglieder
aufzuspannen. Aber eigentlich war das schon vorher klar. Und Heinrich Breloer
hat das entweder nicht umsetzen können oder in seiner Schwelgerei ganz
vergessen.
Dirk Knipphals
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Buddenbrooks
Deutschland 2008 - Regie: Heinrich Breloer - Darsteller: Armin Mueller-Stahl, Jessica Schwarz, August Diehl, Mark Waschke, Iris Berben, Léa Bosco, Raban Bieling, Justus von Dohnanyi - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 150 min. - Start: 25.12.2008
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