zur startseite
zum archiv
zu den essays
Christiane
F.
- Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
Heute flattert der „Spiegel“ auf den Tisch und verleiht via Titelgeschichte Christiane F. den Titel „Mythos“ und ergeht sich dann seitenweise in Mutmaßungen über Gründe und Gefahren der Faszination von Buch und Film und versteigt sich schließlich bis hin zum Freudianisieren, von wegen abwesender Vaterfigur und so.
Dabei ist die Faszination dieser Story – und viel mehr noch ihres Stils – viel simpler zu erklären: „Wie Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist das einzige vernünftige Stück Prosa, das zeigt, wie Jungsein in den Siebzigern war. Ein Zeitroman, der jenseits all der Mißverständnisse der Literarizität, die so die Hirne bundesdeutscher Dichter bevölkern, eine Epoche unverwechselbar in ihrer eigenen Sprache festhält. Jungsein in der Siebzigern, vor Punk, also bevor „Rebellion“ (wieder) „gerechtfertigt“ war, bedeutete totalen Sinndefizit. Die einzigen Werte, die man als suchender Pubertärer vorfand, waren die von den heruntergewirtschafteten 68ern übriggelassenen: Sozialismus und/mit Drogen.
Und die
Linken hingen 72 schon in skurrilen, lebensfremden Grüppchen und die Drogen
waren damals schon gelinkte, überteuerte Turnpieces oder das gemeinsam
angeschaffte Hek am trostlosen Samstag. Attraktive Idole waren wirklich nur
Bowie, Bryan Ferry und Lou Reed. Und was hatten die zu sagen? „I
don’t know just where I am going“ und „There are problems in theses times, but
– hoo! – none of them are mine” und “Wine in the morning and some breakfast
at night” und “There’s a star man waiting in the sky” und “She’s total blamblam!”.
Jeder
dieser Sätze trifft den Nagel auf den Kopf. So blieb das bis 76.
Das alles
steht, wenn auch nicht explizit, im Buch. Daß dann Heroin als eingrenzbares
und von vielerlei berufener Seite diskutierbares „Problem“ herausdestilliert
wurde, scheint mir eine Abwehrreaktion der Medien zu sein gegen den beunruhigenden
Erfolg des Buches, dessen eigentliches Ansinnen sie nur erahnen können;
ein Versuch, diese Geschichte in einen soziologisierenden Diskurs hinabzuziehen,
der ihre Einordnung und Unschädlichmachung erleichtert. Heroin ist eigentlich
nur ein Symptom, das durch ein anderes ersetzbar gewesen wäre.
Dies ist
auch ein Fehler des Films, dass er auf Deubel komm raus abschrecken will, ständig
gegen den gelegentlich öffentlich geäußerten Verdacht kämpfen
muß, jedwede Darstellung von Heroin, auch die scheinbar abschreckende,
würde die Droge glorifizieren (Stimmt übrigens, man höre sich
nur James Browns „King Heroin“ an). Daher müssen die Leiber hier so intensiv
im Turkey zittern, konvulsivisch kotzen und die Hauptdarstellerin beim Geldbeschaffen
jeden Stolz ablegen (Übrigens müsste über das Päderastie-Moment
bei der intensiven Rezeption von Buch und Film durch alte Männer auch noch
mal nachgedacht werden).
Macht
aber nicht viel. Überraschend ist dennoch, dass das Stück weitestgehend
zu gefallen weiß, in forcierter Neo-BRD-Tatort-Realistik gefilmt, die
eigentlichen Stärken des Buches einfängt. Viel von trostloser Disco-Muffigkeit,
alltäglicher urbaner Verwahrlosung. Ein aufgeweckter junger Mensch entdeckt
bei seiner Suche nach Gegenwelt zum unbefriedigenden Elternhaus (und auf diese
Suche geht jeder halbwegs normale Jugendliche, nicht nur der Scheidungswaise
und soziale Härtefall) einen Menschenschlag (vor allem junge Männer),
der nichts anderes will als „cool“ sein, also die eigene Vitalität abtöten
(Wieso ist „H“ kein Sakrament des Buddhismus?) will. Der einzige Mensch weit
und breit, der diesen Zustand sinnvoll umsetzt, ist David Bowie, kein weiter
Weg, sich mit ihm zu identifizieren.
Klugerweise
ist Bowies Musik den ganzen Film über präsent und färbt ihn,
wie die schmuddeligen Mittsiebziger-Disco-Interieurs. Leider kommt es da zu
kleinen Unsorgfältigkeiten: Songs von LODGER und HEROES, Platten, die erst
erschienen, als das Buch schon ein Bestseller war, dröhnen aus den Discos.
Und einmal legt sich die Filmchristiane (die jungen Leute spielen alle ganz
fantastisch) CHANGESONE auf und es ertönt ein Stück, das gar nicht
auf der Platte ist. Trotzdem: ein guter Film. Als nächstes sollte das Buch
von Akif Pirinçci [gemeint war: Tränen sind immer das Ende (1980) - die
filmzentralen-Redaktion] verfilmt
werden.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Sounds 05/1981
BRD
1981 - Länge: 136 Minuten – Altersfreigabe: FSK 16
Regie:
Ulrich Edel, Drehbuch: Herman Weigel, Kai Hermann, Horst Rieck – Produktion:
Bernd Eichinger, Hans H. Kaden, Hans Weth – Musik: Jürgen Knieper – Kamera:
Jürgen Jürges, Justus Pankau – Schnitt: Jane Seitz
Besetzung:
Natja Brunckhorst, Thomas Haustein, Jens Kuphal, Christiane Reichelt, Daniela
Jaeger, David Bowie, Reiner Wölk, Jan Georg Effler, Kerstin Richter, Peggy
Bussieck, Kerstin Malessa, Bernhard Janson, Cathrine Schabeck
zur startseite
zum archiv
zu den essays