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Computer Chess
Scheinbar harmlose Nerds
Schachprogramme, Techniknerds und New-Age-Freaks: In Andrew Bujalskis Film leben die frühen 80er Jahre in kontrastarmen Videobildern wieder auf.
Dieser Film handelt vom Charme unterentwickelter Stadien des heute Dominanten und Allgegenwärtigen: Computer, Algorithmen, Videokameras, Nerds, Geeks und Therapiekultur erscheinen als ihre bizarr vertrottelten somnambulen Vorfahren. Nicht nur charmant, sondern auch scheinbar harmlos – das hier Gezeigte verhält sich zur Gegenwart des entwickelten Datenkapitalismus wie ein Dorfschmied zur Panzerfabrik. Auch die oft gehörten heroischen Vorgeschichten des digitalen Zeitalters in kalifornischer Ideologie, Raumfahrt, Zweitem Weltkrieg und Macy-Konferenzen werden hier nicht erzählt, sondern das Treiben hässlicher Sonderlinge in einem Hotel der unteren Mittelklasse in den frühen 80er Jahren wird vor den Augen einer schlierigen, leicht stotternden Umatic-Kamera auf schwarz-weißen Videobildern ausgebreitet. In den Konferenzräumen des Hotels treffen sich dick bebrillte und topffrisierte Abgesandte diverser Elite-Unis und Forschungsteams, um sich mit ihren jeweils neuesten Schachprogrammen aneinander zu messen; dem Sieger winkt ein Spiel gegen einen Menschen, dem Professor, der das alles veranstaltet hat und seit Jahren eine Wette anbietet, gegen auch das beste Programm zu gewinnen.
In der Wirklichkeit gab es einen Großmeister David Levy, der
diese Wette anbot und bis 1988 stets gewann. Vielleicht war im Film der 1978er
Wettbewerb gemeint, der in Toronto stattgefunden hat: Ein genaues Datum erfahren
wir nicht; der Look der frühen 80er – und das ist ein Trick des Films –
ist nicht wirklich verlässlich: denn das hier sind Nerds, und die sind
gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht in ihrer Gegenwart leben, sondern
einerseits im Paralleluniversum der Trotteligkeit, mithin Unkenntlichkeit und
Indifferenz, andererseits in der Zukunft.
Die Weirdness des Mittels
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der durch eigensinnige Indie-Filme
wie „Beeswax“ bekannt gewordene Andrew Bujalski einfach die Weirdness
seines Sujets, die aus Zeit und Welt gefallenen Sonderlinge, mit der Weirdness
eines obsoleten technischen Mittels verdoppeln will. Jedes Bild, das man heute
auf Umatic in Schwarz-Weiß dreht, sieht wahrscheinlich aus wie eine Konferenz
von Nerds, selbst wenn es in Wirklichkeit eine Szene aus einem Miley-Cyrus-Video
ist. Der Einfall mit Umatic wäre so gesehen tautologisch. Aber die anfänglich
angetäuschten Lektüre-Angebote Lebensunfähigkeitslächerlichkeit
und groteske Männerkörperlichkeit werden nicht nur durch Exemplare
scheinbar gelungener, konventioneller Virilität durchbrochen: Einer der
Entwickler ist ein eigensinniger Abenteurer, der sich seine Experimente mit
Drogenhandel finanzieren will und im immer traumlogischer sich aus jeder Realität
wegbewegenden Verlauf der Geschichte sogar in die einzigen kurz aufblitzenden
Farbbilder hineingerät.
Die Nerds treffen auf eine Psycho-Sekte
Neben den Nerds hat nämlich noch eine andere Gruppe das Hotel für
gemeinsame Vorhaben gebucht: eine Psycho-Sekte samt Guru. Sie markiert gewissermaßen
die andere Hälfte des Großkomplexes kalifornische Ideologie im Lächerlichkeitsstadium.
Auch ihr halbes falsches Bewusstsein beansprucht Multifunktionsräume für
Rituale aller Art und am besten sind die Begegnungen der beiden Hirnhälften:
etwa, wenn ein aufgekratztes Swinger-Psycho-Paar einen zarten, jungen Nerd zum
flotten Dreier verführen will. Hier schnurren die Kunstgriffe auf der Ebene
der Schauspielerführung (Verlangsamung), die altfernsehhafte Nähe
des Videokamerablicks und ein zum Zehennägeleinrollen fatal vor sich hin
glucksender Dialog zu einem hochverdichteten Peinlichkeitsknall zusammen. Der
Nerd flüchtet mit Warp-Faktor zehn, im Wegwischbild als unerwarteter Highspeed-Effekt
der eben noch lethargischen Kamera.
Solche benennbaren Plot-Elemente sind aber in der Minderheit gegenüber
dem leisen, schüchternen, flüsternden, aber beständigen Gemache
der Computerexperten an ihren Gerätschaften aus dem Technikmuseum. Hin
und wieder müssen die schweren Konstruktionen auch über Hotelflure
geschoben werden und wie bei „The Shining“, „Barton Fink“,
„Sturm der Liebe“ und anderen Hotel- und Appartementfilmen wird auch in „Computer
Chess“ das Gefühl bedient, hinter jeder Zimmertür befinde sich ein
unerträglich grausiger, blasphemisch hässlicher Abgrund – doch da
haust nur ein Haufen Siamkatzen, die ohne nähere Erklärung den Film
in immer größerer Zahl bevölkern, als hätte man David Lynch
um eine Ausstattungsidee gebeten.
Obsolete Technologien
Ob am Ende der Professor oder die mit viel Liebe gewarteten Maschinen triumphieren,
wird schließlich völlig egal. Denn uns soll hier keine Geschichte
erzählt werden, eher sind wir in eine kinematografische Antwort auf den
Musiktrend des vorvorletzten Jahres „Hypnagogic Pop“ geraten: ein schwelgerisches
Sichausliefern an die obsoleten Technologien der eigenen Kindheit und Jugend,
ein Gedächtnis, das nicht in Ereignissen, Bildinhalten und französischen
Keksen sitzt, sondern in den entsorgten medialen Standards von einst und der
Unvollkommenheit ihrer Aufzeichnungsleistung. Bujalski ist nicht nur das Paradox
gelungen, eine historische Stimmung sehr präzise zu umreißen, er
hat auch die womöglich letzten Vertreter einer Menschheit rekonstruiert,
die Gründe hatten, sich in der Konstruktion von Technologien selbst verwirklichen
zu wollen, weil sie hoffen konnten, dass die Maschinen und die Menschen im gleichen
Sinne historisch sind: Sie stottern, schlucken und verhaspeln sich noch mit
derselben Ungeschicklichkeit.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.taz.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Computer Chess
USA 2013 - 94 min.
Regie: Andrew Bujalski - Drehbuch: Andrew Bujalski - Produktion: Houston King,
Alex Lipschultz - Kamera: Matthias Grunsky - Schnitt: Andrew Bujalski - Verleih:
Rapid Eye Movies - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: Kriss Schludermann,
Tom Fletcher, Wiley Wiggins, Patrick Riester, Kevin Bewersdorf, Jim Lewis, Freddy
Martinez, Cole Noppenberg, Myles Paige, Gerald Peary, James Curry, Bob Sabiston,
S. Kirk Walsh, Daniel C. Metz, Stephen Wheeler
Kinostart (D): 07.11.2013
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