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The Dark Knight
Auf einen Mythos blickt man im Prinzip
aus weiter Ferne, aber, ich glaube, beim Sehen von "The Dark Knight"
ist man ganz nah dran; als wäre man Zeuge von der Geburt eines Sternes
im All; von etwas Großem jedenfalls. Und dieses Gestirn gleißt ja
nicht nur durch sein Einspielergebnis, sondern zu nicht geringem Anteil durch
den einen gewissen Schauspieler, Heath Ledger, der zu jung und letztlich doch
unter mysteriösen Umständen starb und mit diesem Film postum den Popularitätszenit
seiner Karriere erreicht. Mit der Nachricht seines Todes fühlte ich mich
irgendwie sofort an Brandon Lee und "The Crow" erinnert. Ob das an
der Schminke liegt? Am ähnlichen filmischen Relief - beides düstere
Comic-Verfilmungen? Oder generell an solchen realen verhängnisvollen Lebensgeschichten,
deren Tragik erst immer der ausschlaggebende Anlass zu sein scheint für
die sich weiterdrehende Welt, einen Kult aus der Taufe zu heben? Der Film, der
den Schauspieler auf alle Ewigkeit konserviert, wird so zum geeigneten Schrein.
Man muss irgendwie doch wieder die abgedroschene
Formel von der Ironie des Schicksals bemühen, wenn Brandon Lee in "The
Crow" einen Toten spielt, der wieder zurückkehrt. Und bei der Jokerfigur
ist es nicht viel anders: eine Gestalt, gekommen wie aus dem Nichts. Mit einem
früheren Leben, das genauso anonym, das gestorben und genauso tot ist.
Wie das geschah, wie sich das Grinsen in sein Gesicht einbrannte, das bleibt
des Jokers Geheimnis, aus dem er ein Spiel macht und zwei Varianten seiner Werdung
auftischt. In der einen Erzählung einmal vom herrischen und zynischen Vater
entstellt worden, in der anderen aus Liebe zur Freundin von sich selbst. Möglich
ist letzten Endes auch wieder der klassische Fall ins Säurebad. Wir wissen
es nicht. Es bleibt wie vieles hier der eigenen Vorstellungskraft überlassen.
So baut sich alleine schon in Ermangelung der Kenntnis von Vita und Identität
des Jokers ein mystisches Feld um ihn auf.
Heath Ledger hat für diese Figur
eigene Manierismen entwickelt; er schmatzt immerfort, hält seine Zunge
mit der Gefräßigkeit eines Kriechtieres permanent in Lauerstellung,
die Gesichtsmuskeln ständig in Bewegung, lässt den Joker mit seinen
fettigen, halblangen Haaren sich gestikulieren wie einen streunenden Köter,
wie eine räudige Hyäne. Seine dauergrinsende Psychofratze, eine clownesk
geschminkte Abwandlung eines Marilyn Manson im Endorphinrausch, die sich den
reinen destillierten Wahnsinn anverwandelt hat. Es besteht kein Zweifel, dass
das ein Geist ist. Das verlorene Gesicht spielt dabei in der Biographie des
gemeinen Batman-Schurken oft eine wichtige Rolle, indem es zum Marken- oder
besser: Brandzeichen wird. Dennoch kann die physiognomische Verstümmelung
zumindest in "The Dark Knight" nicht als Auslöser für die
verbrecherische Karriere herhalten. Das zeigt sich vor allem bei Two-Face, bei
dem die ambivalente Gesichtsentstellung das Gimmick des Münzwerfens versinnbildlicht.
Vor der Verunstaltung überlässt
dieser nichts dem Zufall; die Münze ist falsch und zeigt auf beiden Seiten
das Kopfemblem. Nach dem Schicksalsschlag, der weniger sein Gesicht anbelangt
als vielmehr den Tod eines ihm sehr nahe stehenden Menschen, legt sich wie bei
einem Relais der Weltanschauungsschalter um, der Enthusiast pervertiert in einen
Fanatiker, der jetzt ein echtes Geldstück zum Einsatz kommen lässt.
Moral ist nicht mehr die alles bestimmende Lebensdeterminante, sondern das Gemüt
der Münze. Fairness bedeutet dann, dass sie entscheidet; Fairness bedeutet
durchaus nicht, dass man nicht erschossen werden kann.
Fügung, Ethos, Gewissen - das sind
hier zweifellos die zentralen Themen von Christopher Nolan. Batman maskiert
sich, "entstellt" sich für die nächtlichen Gerechtigkeitskreuzzüge
gewissermaßen also selbst. Eine freiwillige Unkenntlichmachung hin zu
dem, was eigentlich bekämpft wird: der Freak. Das Faszinierende an Batman,
was Nolan bereits im Vorgänger herausgearbeitet hat, ist ja seit jeher
die ihm innewohnende Menschlichkeit, die Natürlichkeit im ganz profanen
physischen Sinne. Bruce Wayne ist kein Superheld. Doch Kostüm, Maske und
schier übernatürliche Heldentaten sollen genau dies suggerieren. Würde
Batman sein Gesicht verlieren, indem er es paradoxerweise preisgibt, zerfiele
dieser Mythos in sich. Unter der Verkleidung fördere sich das stoische
Gesicht Bruce Waynes zu Tage, das eines gewöhnlichen Menschen, dessen wundenübersäter
Körper geschunden ist von den allnächtlichen Strapazen.
Batman verhüllt sich andererseits
aber auch, um seine Mission in der Funktion als "Wesen" überhaupt
erfüllen zu können, sintemal nur der Anonyme sich im Dunklen frei
bewegen kann, frei von den irdischen Gesetzen. Ebenso diesem Zwiespalt gewährt
Nolan viel Zeit, die selbst Tim Burton der Fledermaus nicht gab. Das, sagen
wir, leicht übertriebene High-Tech-Finale lässt die Gelegenheit aber
auch gar nicht aus, die Kriminalität der Handyortungsmethode zu betonen.
Dem Zuschauer ist ganz bewusst, dass sein Held den Bürger hier gläsern
macht. Und er nimmt dies billigend in Kauf, für die gerechte Sache. Eine
Comicverfilmung, die moralische Fragen so verquirlt in dieser Konzentration
stellt und uns hinsichtlich der Antworten nicht gänzlich bedenkenlos manipuliert,
hat es, zugegeben, zuvor noch nicht gegeben.
Der Joker beschwört die Zerrissenheit
herauf. Wenn er postuliert, dass Gotham City ein anderes Kaliber von Verbrechern
verdiene, dann bedingt dies gleichsam wohl auch ein anderes Kaliber von einem
Superhelden. Hier ist der Joker nicht bloß Schalk, hier ist er Hofnarr,
dessen Aberwitz nicht nur zuweilen eine tiefere Bedeutung zukommt. Die Fisimatenten
nehmen eindeutig terroristische Dimensionen an und daraus macht Christopher
Nolan absolut keinen Hehl. Die Trümmer eines zerstörten Krankenhauses,
noch zündelnd vor ohnmächtigen Feuerwehrmännern liegend, könnten
gar nicht frappierender an Ground Zero erinnern. Die Philosophie des Jokers
ist klar: Der Terrorakt muss unberechenbar sein und unvorhersehbar, um seine
volle Wirkung zu entfalten; das Drehbuch arbeitet übrigens nicht anders.
In der Bevölkerung Gotham Citys, in deren Haut der Zuschauer schlüpft,
soll sich so etwas spiegeln wie die kollektive, latente Angst der Bewohner Londons
im Juli 2005.
Der Wille zur Anarchie gemahnt da mitunter
an das Projekt Chaos aus "Fight
Club" und das Filmplakat
mit seinem flammenden Fledermaus-Symbol im Wolkenkratzer als World-Trade-Center-Metapher
tut dies auch. Diesem Nihilisten und im wahrsten Sinne des Wortes Chaoten, diesem
perfidesten und psychopathischsten Joker aller Zeiten Beifall zu verschaffen,
diesen Heath Ledger in so vielen Szenen wie möglich herbeizusehnen - ist
es nicht so? -, das könnte der moralische Hinterhalt sein, in den uns der
Film, ganz unbemerkt, laufen lässt. Nach zweieinhalb Stunden überwiegend
verdichteten Kinos steht schließlich die unbequeme Erkenntnis, dass der
Sieg des Guten sich als Ultima Ratio der Lüge bedienen und die Wahrheit
unter einer Maske verstecken muss, um Ordnung und Hoffnung aufrechtzuerhalten.
Jemanden wie den Joker aufhalten? Batman hat gesehen, was er dazu werden muss.
Batman ist es geworden.
Daniel
Szczotkowski
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.ofdb.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Dark Knight
USA
2008 - Regie: Christopher Nolan - Darsteller: Christian Bale, Michael Caine,
Heath Ledger, Gary Oldman, Aaron Eckhart, Maggie Gyllenhaal, Morgan Freeman,
Eric Roberts, Cillian Murphy - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16
- Länge: 152 min. - Start: 21.8.2008
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