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Diebe haben’s
schwer
Tod, Elend und
Slapstick
Der seit den 30er Jahren in der italienischen Filmindustrie aktive Mario Monicelli ist einer der bedeutendsten Vertreter der Commedia all’italiana, die ihre kommerzielle Blütephase in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte. Unter den über 60 Filmen, die Monicelli zwischen 1935 und 2008 inszeniert hat, mag der 1958 erstaufgeführte und damals äußerst erfolgreiche „I soliti Ignoti“ („Diebe haben’s schwer“) zwar heute in Deutschland nur noch wenigen bekannt sein, aber er ist eines der gelungensten Werke Monicellis, wenn nicht gar sein Meisterwerk. Es ist ein Trauerspiel, dass in Deutschland tatsächlich kein einziger Film Monicellis gegenwärtig auf DVD erhältlich ist.
„I soliti Ignoti“
stellt zunächst einmal ein gutes Beispiel für die Berührungspunkte
von Neorealismo und Commedia all’italiana zu dieser Zeit
dar. Die Hauptfiguren, bestenfalls Helden des Alltags, sind arme Schlucker,
stark typisiert und ihr Lebensumfeld ein zentrales Interesse des Films. Da ist
der sizilianische Macho (Tiberio Murgia), der mit extremer Eifersucht über
seine Schwester wacht (fast noch schöner als sonst: Claudia Cardinale in
ihrer dritten Kinorolle); ein alleinerziehender Vater (Marcello Mastroianni),
dessen Frau im Knast sitzt und ein ehrlicher Boxer (Vittorio Gassman), der bei
der ersten Gelegenheit zum Dieb wird, damit er nicht arbeiten muss. Hinzu kommen
ein komischer Alter (Totò), stets auf der Suche nach Essbarem und ein
kleiner Dieb (Renato Salvatori), der sich in die Schwester des Sizilianers verliebt.
Mit seiner expressiv agierenden Ensemble-Cast hält Monicelli
immer die Wage zwischen Lächerlichem und Tragik, dummdreister Verbohrtheit
und verletzter, aber doch intakter Würde. Insbesondere die wunderschöne
Carla Gravina als Nicoletta bringt ein utopisches Moment in den Film; eine Hoffnung,
für die auch der größte Umweg gerechtfertigt erscheint.
Der Humor des Films
reicht von sorgfältig getimtem Slapstick bis zum nahtlosen Übergang
von Komik in Schock, wobei die hier stärker als in Monicellis „La Grande
Guerra“ („Man
nannte es den großen Krieg“,
1959) zur Strukturierung des Films eingesetzten Zwischentitel deutlich auf die
frühe Stummfilmkomödie verweisen. Insbesondere der an Dassins „Du
Rififi chez les Hommes“ („Rififi“, 1955) angelehnte Caper ist beispielhaft
gelungen. Hier geht auch wirklich alles schief, was schiefgehen kann und letztlich
bleibt vom intendierten Meisterverbrechen nur ein bloßer Akt des überkompliziert
ausgeführten Mundraubs. In einer Nebenhandlung, die den Hauptplot variiert,
folgen wir einem glücklosen Dieb bei seinen zahllosen Raubversuchen. Selbst
der Versuch, mit vorgehaltener Pistole einen Pfandleiher zu berauben, geht schief:
„Weißt du was das ist?“, raunt er drohend, und schiebt die Pistole unter
der eingeschlagenen Zeitung heraus. Doch der Pfandleiher langt einfach über
den Tresen, reißt ihm die Waffe aus der Hand, mustert sie abfällig
und erwidert, sicher wisse er, was das ist; eine kleinkalibrige Beretta, in
sehr schlechtem Zustand: „1000 Lire.“ Als wir dem Dieb dann bei seinem nächsten
Versuch begegnen, diesmal dabei, mit dem Fahrrad einer Hausfrau die Handtasche
zu rauben, erwarten wir eine Slapstick-Szene. Und tatsächlich beginnt die
Frau sich sogleich lautstark zu wehren, vertreibt den abermals gedemütigten
und verhinderten Dieb. Er dreht sich um, rennt los – und wird direkt von der
Straßenbahn erfasst. Schnitt zum Begräbnis. Die italienische Komödie
bestimmt eine Neigung zur Grausamkeit, oder besser: zur Härte. Lachen und
Trauer, Komik, Elend und Tod, Spott und Zuneigung, Verachtung und Wertschätzung,
Stärke und Schwäche; all das trennt hier oft gerade mal ein Schnitt.
Besonders macht diese Filme ihre wohl auch politisch inspirierte Zuneigung zu
den Deklassierten, die hier, ohne sie zu überhöhen oder zu verklären,
in all ihrer Schäbigkeit doch als zutiefst menschliche, rührende und
gleichsam rührselige Individuen erscheinen. Für die Oberschicht, die
Monicellis Anti-Helden berauben wollen, interessiert sich der Regisseur keinen
Deut. Für das Drama der einfachen Leute, also der
üblichen Unbekannten
[= i
soliti ignoti],
die der Film schon im Titel trägt, aber umso mehr.
Harald Steinwender
Diese Kritik ist
zuerst erschienen in: http://themroc-filmblog.blogspot.com/.
Diebe
haben’s schwer
(I soliti Ignoti) (USA:
„Big Deal on Madonna Street“), Italien 1958
Regie: Mario Monicelli. Buch: Agenore Incrocci und Furio Scarpelli [= "Age &
Scarpelli"], Suso Cecchi d’Amico, Mario Monicelli (nach einer Kurzgeschichte
von Italo Calvino, ungenannt). Musik: Piero Umiliani. Kamera: Gianni Di Venanzo. Schnitt: Adriana Novelli.
Produktion: Franco Cristaldi. Darsteller: Vittorio Gassman, Carla Gravina, Claudia
Cardinale, Marcello Mastroianni, Totò, Tiberio Murgia, Renato Salvatori
u. a. S/W.
Monicellis
Film ist in den USA auf DVD in einer vorbildlichen Veröffentlichung des
Labels „Criterion“ erhältlich (restaurierte Originalfassung mit optionalen
englischen Untertiteln unter dem Titel „Big Deal on Madonna Street“).
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