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Drei
Affen - Nichts hören - nichts sehen
- nichts sagen
Seine Augen sagen mehr als tausend Manifeste.
Es ist der Blick dieses Mannes, der einen noch begleitet, wenn man das Kino
schon lange verlassen hat: Ein Blick auf die ungetreue Ehefrau, kurz bevor diese
sich vom Balkon stürzen will; als er sie zurückhält, kann man
nicht sicher sein, ob er das nicht nur deshalb tut, weil der Selbstmord für
sie die einfachste Ausflucht wäre. Weil sie noch mehr leiden wird, wenn
sie weiterlebt und seinen Blick über Jahre hin aushalten muss.
Nuri Bilge Ceylans beziehungsreicher Gefühlsthriller
„Drei Affen“ beginnt wie ein Krimi von Simenon oder Chabrol: Mit Regen und einem
Auto, das durch die Nacht rast. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, ein
Unfall. Am nächsten Morgen bezahlt der Verursacher Servet, ein erfolgreicher
Politiker, der gerade um seine Wiederwahl kämpft, seinem Fahrer Eyüp
viel Geld dafür, dass dieser an seiner Stelle die Verantwortung für
den Unfall mit Fahrerflucht übernimmt und eine Gefängnisstrafe absitzt.
Doch nicht Verdorbenheit der Bourgoisie oder die Klassengesellschaft stehen,
wie dies bei Chabrol der Fall wäre, dann im Zentrum des Films, sondern
das, was die vermeintliche Schuld mit der Familie des Fahrers macht, wie sie
sich Stück für Stück in tatsächliche Schuld verwandelt.
Während Eyüp in der Haft sitzt, blühen seine ihm längst
entfremdete Frau Hacer und Sohn Ismail, ein Tunichtgut, befreit durch die Abwesenheit
des Patriarchen, spürbar auf. Hacer lässt sich zu einer Affäre
mit dem Chef ihres Mannes hinreißen; der desorientierte Sohn kommt bald
hinter das Geheimnis der Mutter. Als der Vater nach verbüßter Haft
zurückkehrt und die Mutter sich scheinbar vom Liebhaber nicht lösen
kann, bringt der Sohn diesen um. Zugrunde liegt dieser Tat eine nichtbewältigte
ältere Schuld. Es liegt nahe, dass Ceylan hier auch von einer verdrängten
Schuld der türkischen Gesellschaft spricht.
Mit erlesenen, manchmal fast zu wohlgestalteten
Bildern inszeniert Ceylan, momentan einer der führenden türkischen
Filmemacher und international der erfolgreichste, sein trostloses Familiendrama.
Die Wolken ziehen hier nicht vorüber, sie hängen vielmehr am ausgewaschenen,
variantenreich bleichen Himmel, malerisch über kontrastverschärften,
digital gefilmten und nachcolorierten Meeresansichten. Das steht für die
Düsternis, die hier auch zwischen den Menschen herrscht. Der Titel spielt
auf die japanische Fabel von den drei Affen an, die nichts sehen, nichts hören,
nichts sagen. Während dies in Japan großzügig als Ausdruck der
Weisheit, des klugen Übersehens von Schlechtem interpretiert wird, gilt
das Motiv im Westen als Schwäche: Die Unfähigkeit, mit der Wahrheit
umzugehen und sie mitzuteilen. Auch hier dominiert diese Auffassung, im Zentrum
stehen Unausgesprochenes und die tiefen Abgründe der Kommunikationslosigkeit.
Immer wieder entwirft Ceylan stilisierte Momente zäh und bedeutungsträchtig
in die Länge gezogener, spannungsvoller Stille, in denen sich die drei
Familienmitglieder minutenlang wortlos in einem Raum aufhalten, sich an die
Wand drücken oder auf einem Stuhl stumpf vor sich hinbrüten und einander
anschweigen. Wenn die Spannung sich doch einmal entlädt, dann in Form häuslicher
Gewalt, eines kurzen Schimpfworts oder des hastigen Hinausstürzens auf
die Straße an die frische Luft.
„Drei Affen“ ist vor allem eine Auseinandersetzung
mit den sich wandelnden Vorstellungen von Männlichkeit in der Türkei,
die das dortige Kino stellvertretend für den Rest der Gesellschaft gerade
austrägt. Eine ganze Welle von Filmen fokussiert derzeit auf die Rolle
der türkischen Männer und den Abschied von altgewohnten Verhaltensweisen.
Ceylan vertritt dabei keineswegs eine entschiedene oder gar progressive Position,
im Gegenteil: Seinem Fahrer und Familienvater Eyüp, einem angepassten,
zuhause gewalttätigen Untertan und im Grunde sadomasochistischen Charakter,
wie ihn Fassbinder nicht boshafter hätte erfinden können, bringt der
Regisseur überraschend viel Sympathie entgegen. Er zeigt anhand dieser
zugleich frustrierten wie selbstgerechten Figur, der sich nur durch böse
Blicke oder Schläge mitteilen kann, aber auch sehr genau die Grenzen des
männlichen Selbstmitleids auf und entlarvt Männergewalt als verkappte
Ohnmacht. Der Auftraggeber Servet ist ein Politiker mit opportunistischen Zügen,
aber klar im alten Establishment der Atatürk-Nachfolgeparteien verortet.
Der Sohn ist ein Repräsentant jener jungen Männer, deren traditionelle
soziale Position unrettbar in Frage gestellt ist. Faul, aber um große
Worte nie verlegen, auch von der Gesellschaft nicht mit vielen Chancen umworben,
leben sie zuhause bei ihren Eltern in den Tag hinein, zutiefst frustrierte Paschas,
längst erwachsene Kinder. Alle drei sind Männerfiguren, die in ihren
angestammten Rollen erschüttert werden, allen drei bleiben nur die Fetische
„Anstand“, „Sitte“ und „Ehre“ – ein pessimistischer Einblick in eine autoritäre
Gesellschaft.
Nuri Bilge Ceylan findet dafür eine
künstlerische Form, die naheliegende Tendenzen zum Thesenfilm unterläuft.
Hierin ähneln seine Filme genauso wie die seiner Kollegen Semi Kaplanoglu
und vor allem Reha Erdem dem, was die Deutschen aus dem Kino der 1960er-Jahre
kennen: eine zögerliche, fast schüchterne, aber oft berührende
Entdeckung der Welt, das Finden einer Sprache für Gefühle und Erfahrungen,
die bis dahin noch keine Namen hatten. Zugleich macht Ceylan sich aber selbst
der Sprachlosigkeit und Monotonie schuldig, die er seinen Figuren zuschreibt.
Sie sind ausgedachte, symbolische, passive Wesen, in die der Betrachter viel,
manchmal alles hineininterpretieren kann. Aber sie sprechen nie zurück.
Rüdiger Suchsland
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
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diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Drei
Affen - Nichts hören - nichts sehen - nichts sagen
Türkei
/ Frankreich / Italien 2008 - Originaltitel: Üç maymun - Regie:
Nuri Bilge Ceylan - Darsteller: Yavuz Bingöl, Hatice Aslan, Ahmet Rifat
Sungar, Ercan Kesal, Cafer Köse, Gürkan Aydin - Länge: 109 min.
- Start: 19.3.2009
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