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Drei
Affen - Nichts hören - nichts sehen
- nichts sagen
Wenn
die Welt aus den Fugen ist
Ein Mann, übermüdet, fährt
des Nachts eine abgelegene Straße entlang, schützend eingehüllt
in den Lichtkegel des Fahrzeugs. Dann ein Reifenquietschen. Wir haben nichts
gesehen, aber es sieht so aus, als habe der Politiker Servet (Ercan Kesal) einen
Mann überfahren. Er begeht Fahrerflucht, nicht überstürzt, sondern
sehr kalkuliert. Anschließend ruft Servet seinen Fahrer Eyüp (Yavuz
Bingöl) an und überredet ihn, für viel Geld die Verantwortung
für den Unfall zu
übernehmen. Eyüp, ein Patriarch
alten Schlages, geht für neun Monate ins Gefängnis. Doch es geht in
„Drei Affen“ nicht um billige Sozialkritik an der politischen Klasse, die unter
den Armen immer jemanden findet, der bereit ist, den Sündenbock zu spielen.
Auch die beiden anderen Familienmitglieder – Eyüps Ehefrau Hacer (Hatice
Arslan) und der 25jährige Sohn Ismail (Ahmet Rifat Sungar) – versuchen
ihrerseits, vom Geschäft mit Servet zu profitieren. Man könnte sagen, dass das autoritäre
Gefüge der Familie eigendynamisch aus den Fugen gerät. Schnell wird
klar, dass diese Familie längst jede emotionale Beziehung zueinander verloren
hat. Man spricht nicht mit-, sonder belauert einander, versucht sich Freiräume
inmitten eines komplexen Geflechts auf unterschiedlichen Ebenen angelegter Abhängigkeiten
zu schaffen.
Der Filmemacher Nuri Bilge Ceylan („Uzak“,
„Iklimler-Jahreszeiten“) ist derzeit der wohl im Ausland erfolgreichste türkische
Autorenfilmer. Für „Drei Affen“ erhielt er im vergangenen Jahr in Cannes
eine „Goldene Palme“ als bester Regisseur. Und man kann gar nicht umhin zu bewundern,
mit welcher Sorgfalt und Zurückhaltung Ceylan hier eine stimmige Bilderwelt
für das Unausgesprochene, das Brütende und die Abgründe der Kommunikationslosigkeit
schafft. Lange,
fast statische Einstellungen zelebrieren
die bleierne Stille. Immer wieder blickt die Kamera minutenlang in die Gesichter
der Figuren, doch von dort blicken nur Rätsel zurück. Die Familie
lebt in einer beengten Wohnung direkt neben den Gleisen der Vorstadtzüge,
geht man auf den Balkon, sieht man das offene Meer – ein Versprechen, das nie
eingelöst wird. Wenn die Spannungen in der kleinen Wohnung überkochen,
wird schon mal die Tür geknallt, ein Schimpfwort geblafft oder
die Faust gegen die Mutter erhoben, doch zumeist zeigt nur der grünlich-gelbe
Himmel über dem Wasser, dass wieder ein Gewitter heraufzieht. So karg die
Bildebene von „Drei Affen“ ausgefallen ist, so kunstfertig und ambitioniert
ist die atmosphärische Tonspur des Films gestaltet, die vom Gewicht der
Welt erzählt. Einmal wähnt man sich unvermittelt in einem Science
Fiction-Film, als Ismail im Gegenlicht eine schemenhafte Gestalt auf sich zukommen
sieht. Als diese Gestalt ein
Gesicht bekommt, ahnt man, dass hier eine mögliche Wurzel des Unglücks
liegen könnte – ein familiales Trauma.
Als der Vater schließlich aus dem
Gefängnis kommt, ist nichts mehr wie es war. Ein Mord passiert, doch wieder
wird ein Stellvertreter dafür die Verantwortung übernehmen. Eine Selbsttötung
ist hier nicht drin; es gilt, diese Hölle weiterhin auszuhalten. Kein Mitleid!
Bergman, Antonioni, Tarkowski, Bresson,
Fassbinder – Ceylan hat nie ein Hehl daraus gemacht, wer die Vorbilder seiner
kargen Kunst sind. Hier liegt das entscheidende Problem des Films. Jede Einstellung,
jedes vor die Kamera drapierte Detail heischt nach Bedeutsamkeit; der filmische
Kosmos von „Drei Affen“ ist so kalkuliert, dass kein Lufthauch, kein Zufall
in die Bilder gelangt. Man staunt über die Konsequenz, mit der Ceylan die
Hermetik exekutiert. Bis hin zu dem Punkt, an dem die Formelhaftigkeit des Kunstkinos
in seine eigene Parodie umzuschlagen scheint. Dann beginnt man sich zu fragen,
warum man sich diese Wiedervorlage des Autorenkinos der Hochmoderne noch einmal
antun sollte. Schließlich erreicht sie uns mit ungefähr fünfzig
Jahren Verspätung.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist, in ähnlicher Form, zuerst erschienen in der Stuttgarter Zeitung
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Drei
Affen - Nichts hören - nichts sehen - nichts sagen
Türkei
/ Frankreich / Italien 2008 - Originaltitel: Üç maymun - Regie:
Nuri Bilge Ceylan - Darsteller: Yavuz Bingöl, Hatice Aslan, Ahmet Rifat
Sungar, Ercan Kesal, Cafer Köse, Gürkan Aydin - Länge: 109 min.
- Start: 19.3.2009
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