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Durst
In
Park Chan-wooks neuem Film sind Vampire „niedlich“ und haben einen besonderen
Biorhythmus. Trotz Sex und Gewalt ist das in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnete
Ehebrecherdrama mehr putzig und skurril als erotisch und bedrohlich.
Claire
Denis’ Variation des Vampirgenres Trouble
Every Day (2001)
endete mit dem Bild eines Bluttropfens an einem Duschvorhang. Die Schlusseinstellung
in Durst (Bakjwi) zeigt
ein gewaltiges Meer aus Blut, mit dem Computer rot gefärbt. Understatement
ist nicht Park Chan-wooks Sache. Der opulente Inszenierungsstil des Südkoreaners
erinnert mitunter an die Überwältigungsmethode des Protagonisten in
Oldboy (2003),
der sich mit einem Hammer einen Weg durch die Menge schlägt. Mit seinen
aufwändig gestalteten Szenenbildern kann der Regisseur auch einige Treffer
landen. Im Vergleich zur beunruhigenden Sinnlichkeit von Denis’ Film besitzt
Parks Abstecher ins Horrorgenre aber eine harmlose, comicartige Künstlichkeit,
die manchmal beeindruckt, aber nie bedroht und eher amüsiert als verstört.
Ähnlich
wie in Trouble
Every Day
beginnt auch hier die Blutgier der Hauptfigur mit einem afrikanischen Virus:
Der katholische Priester Sang-hyun (Song Kang-ho, Secret
Sunshine,
Milyang, 2007)
infiziert sich mit einem solchen, als er sich als Testperson für eine Impfstoffentwicklung
zur Verfügung stellt. Eine Bluttransfusion unbekannter Herkunft hat ihn
während seiner Operation in einen Vampir verwandelt, also überlebt
Sang-hyun das eigentlich tödliche Experiment als Untoter mit speziellem
Appetit und gesteigerter Libido. Als Christ verbietet sich der Priester das
Morden Unschuldiger, zu den Mahlzeiten zapft er deshalb die Blutkonserven im
Krankenhaus an. Unerwünschte Erektionen werden mit einem Lineal verdroschen,
bis ihn Tae-ju (Kim Ok-vin), die junge Frau eines ehemaligen Schulfreundes,
sein Zölibat vergessen lässt und zu weiteren Sünden anstiftet.
Nachdem
Park sein Rachedrama Oldboy an
Alexandre Dumas’ Der
Graf von Monte Christo
(Le
Comte de Monte-Cristo,
1844-1846) angelehnt hat, basieren Elemente der Liebes- und Mordgeschichte von
Durst auf
Émile Zolas Roman Thérèse
Raquin
(1867). Wie zuletzt im abschließenden Teil seiner Rachetrilogie Lady
Vengeance
(Chinjeolhan
geumjassi,
2005) widmet sich der Regisseur damit erneut seinem Lieblingsthema von Schuld
und Sühne. Zola ging es um die Darstellung des Menschen als Bestie. Park
nimmt das in seiner freien Adaption ganz wörtlich und erzählt seine
religionskritische Vampirgroteske mit nicht gerade subtilen, teils plakativen
Bildern und einem Humor, der zwischen Drolligkeit und Derbheit pendelt. Außer
dem moralisch korrumpierten Priester-Vampir und seiner zunehmend monströsen
Geliebten wütet noch die Bestie Schwiegermutter (Kim Hae-sook), die Tae-ju
wie eine Haussklavin an der kurzen Leine hält, während ihr schwächlicher
Sohn (Shin Ha-kyun) seine Krankheiten pflegt, bevor er von seiner Frau und ihrem
Liebhaber aus dem Weg geräumt wird.
Von
den prüden Vertretern in Twilight
– Biss zum Morgengrauen
(Twilight, 2008)
einmal abgesehen, sind Blutsauger in der Literatur- und Filmgeschichte nicht
nur häufig mit einem ausgeprägten Sexappeal und -appetit ausgestattet,
sie fühlen sich außerdem vorzugsweise zu Außenseitern hingezogen,
mit denen sie das Anderssein teilen. In der Romanverfilmung So
finster die Nacht
(Låt
den rätte komma in,
2008) hat der schwedische Regisseur Tomas Alfredson eindringlich die Beziehung
zwischen einem Vampirmädchen und einem gemobbten Teenager geschildert und
einen stimmigen Genre-Mix aus Milieustudie, Horrorfilm und Coming-of-Age-Drama
geschaffen. Wie schon in seinem vorherigen Langfilm I’m
a Cyborg, But That’s OK
(Saibogujiman
kwenchana,
2006) kreuzt auch Park verschiedene Genres. An die Stelle des ausgegrenzten
Jugendlichen tritt in Durst die
unterdrückte Ehefrau. Anders als Alfredson vernachlässigt Park aber
die psychologische Entwicklung seiner Figuren, kreiert keine durchgängig
dichte Atmosphäre und keinen konstanten Erzählrhythmus, so dass die
Handlung in zu viele oberflächliche Episoden und hübsche Effektspektakel
zerfällt. Trotz unermüdlicher Kamerafahrten und –zooms wirkt sie bei
einer Laufzeit von über zwei Stunden langatmig und antriebsschwach.
Dem
Protagonisten von Oldboy erscheint
in einer Szene sein jüngeres Ich. Die Vergangenheit lässt sich in
Parks Chan-wooks Moralstücken nie abschütteln. Wenn sie nicht schuldbeladen
ist, dann erinnert sie schmerzhaft an unschuldigere Zeiten. In Durst personifiziert
sich das schlechte Gewissen von Sang-hyun und Tae-ju im Bett: Als Wasserleiche
und Spaßverderber liegt der ermordete Ehemann beim Schlafen und beim Sex
in der Mitte und drängt sich so buchstäblich zwischen das Paar. Da
wird es nicht nur den Protagonisten zu eng. Mit solchen eindeutig plumpen Bildern
überlässt der Regisseur auch dem Zuschauer keinerlei Raum mehr für
eigene Interpretationen.
Birte
Lüdeking
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.critic.de
Durst
(Bakjwi)
Südkorea
2009
Laufzeit:
133 Minuten
Altersfreigabe:
ab 16 Jahren
Regie:
Park Chan-wook
Drehbuch:
Park Chan-wook, Jeong Seo-Gyeong
Basierend
auf der Romanvorlage Thérèse Raquin (1867) von: Émile Zola
Produktion:
Park Chan-wook, Ahn Soo-hyun
Darsteller:
Song Kang-ho, Kim Ok-vin, Kim Hae-sook, Shin Ha-kyun, Park In-hwan, Oh Dal-suh,
Song Young-chang
Kamera:
Chung Chung-hoon
Musik:
Cho Young-uk
Kinostart:
15.10.2009
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