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Edelweißpiraten
Widerstand
war machbar, Herr Nachbar!
Widerstandsdrama:
Edelweißpiraten Was für ein Stoff! Hätte es sie nicht gegeben,
das Kino müsste sie erfinden, die "Gangs of Köln-Ehrenfeld".
Eine Teenagerbande, die sich auflehnt. Widerstand gegen die Nazis als cool-romantische
Geste. Mit Jazz von Django Reinhardt auf der Tonspur und mit einem richtigen
Popstar - Bela B. Felsenheimer von den "Ärzten" - in einer Hauptrolle.
Lass uns nicht von Politik reden, so die Devise, denn unter solchen Bedingungen
redet man nicht, man versucht instinktiv zu überleben. Der Ausnahmezustand
als Abenteuerspielplatz - das hat auch Momente von "Tom Sawyer".
So
sieht es der Regisseur Niko von Glasow ("Maries Lied"), der sieben
Jahre seines Lebens in dieses Projekt investierte, erst um die Finanzierung
kämpfte und dann keinen Verleiher fand. Jetzt bringt er "Edelweißpiraten"
selbst in die Kinos, einen "Untergrundfilm über eine Untergrundbewegung".
Man muss sich an die Naivität, an das Dringliche von "Edelweißpiraten"
gewöhnen. Vielleicht muss man sich sogar dazu zwingen. Schließlich
geht es darum, dass Zeitzeugen wegsterben, dass sich in der BRD für den
proletarischen Widerstand gegen das NS-Regime nie wirklich viele interessiert
haben.
Glasow
entwirft das romantische Bild einer rebellischen Jugendbewegung. Inmitten der
Trümmer liefert man sich Schlägereien mit der HJ, malt Parolen an
die Wand oder organisiert Lebensmittel. In einer doppelten Rückblende erzählt
der Film von den Brüdern Karl und Peter Ripke. Peter ist Hitlerjunge, während
Karl zu den Edelweißpiraten gehört, die zunächst wenig mehr
als "anders sein" wollen. Sie entziehen sich dem Zugriff des NS-Staates,
dem militärischen Drill und den Hierarchien. Man kleidet sich anders und
hört andere Musik - und man ist in der Gruppe mit Mädchen zusammen.
Als der entflohene KZ-Häftling Hans Steinbrück zur Gruppe stößt,
wird mit Widerstand Ernst gemacht: Man geht auf "Nazijagd".
Der
pointierte Einsatz der Handkamera, die Schwenks und Zooms und eine rasante Montage
verweisen nicht nur auf die Unübersichtlichkeit des Geschehens, sondern
auch auf den Bewusstseinsstand der Protagonisten. Erst als der Ortsgruppenleiter
ermordet wird und mit dem Einsatz der Gestapo erhält der Film eine stärkere
lineare Struktur. Mit unerbittlicher Härte werden die Edelweißpiraten
nun verfolgt, verhaftet, gefoltert. Und eine Gruppe von ihnen wird im November
1944 schließlich öffentlich gehenkt.
"Edelweißpiraten"
ist ein Film zur rechten Zeit: Nachdem das deutsche Kinopublikum daran gewöhnt
wurde, Hitler menschlich zu sehen und den Terror zu trivialisieren ("Der
Untergang"),
nachdem der Faschismus zum Partner intellektueller Dispute wurde ("Der
neunte Tag"),
erinnert Glasow mit seinem schmutzigen, kleinen Film an die Möglichkeit
einer deutschen "Resistenza". Am Schluss wird den Nazis hier kein
Persilschein ausgestellt, sie werden als sadistische Handlanger des Terrors
gezeigt, die ihren Schnitt zu machen suchten.
Ulrich
Kriest
Dieser
Artikel ist zuerst erschienen in der: Stuttgarter Zeitung
Edelweißpiraten
Deutschland
2004 - Regie: Niko von Glasow - Darsteller: Bela B. Felsenheimer, Jochen Nickel,
Anna Thalbach, Jan Decleir, Iwan Stebunov, Jean Jülich, Simon Taal, Florian
Wilken, Dominik Bromma - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
97 min. - Start: 10.11.2005
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