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Eine
Pistole für Ringo
Ein Westernstädtchen, zwei Männer schreiten aufeinander
zu, langsam und gemessen, die Kamera fängt alles in einer tiefenscharfen
amerikanischen Einstellung ein. Voreinander bleiben sie stehen, breitbeinig,
die Hände in Hüfthöhe nahe am Revolverholster abgewinkelt; wir
kennen das aus unzähligen Western. Aber ein Showdown schon in der ersten
Einstellung? Nach einem Moment geben sie sich die Hand: „Buon natale, Johnny!“
– „Buon natale a te!“ [= „Frohe Weihnachten, Johnny!“ – „Auch dir frohe Weihnachten!“].
Duccio Tessaris „Una pistola per Ringo“ („Eine Pistole für Ringo“,
1965) ist der seltene Fall eines Weihnachtswestern: Mit Christbaum, Geschenken
– und, es ist ja ein Italowestern: einem ziemlich gewalttätigen Heiligen
Abend. Gewiss ist er kein zweiter „Three Godfathers“ („Spuren im Sand“, USA
1948), auch wenn die Idee von John Fords märchenhaftem Technicolor-Western
inspiriert sein mag, der traditionell jedes Jahr zu Weihnachten im Fernsehen
läuft und in dem John Wayne, Harry Carey Jr. und Pedro Armendáriz
die heiligen drei Könige als Banditen im Wilden Westen verkörpern.
Das Sujet, ebenso wie der Ansatz, schon in der ersten Einstellung mit den Konventionen
des Genres zu spielen, belegt jedoch deutlich Tessaris Bestreben, eine eigene
Vision im Genre zu finden. Der Mann will originell sein, keine Frage.
1965 war der Western all’italiana als kommerziell erfolgreiches Genre noch jung: Im August
1964 war Sergio Leones „Per un pugno di dollari“ („Für eine Handvoll Dollar“) in die Kinos gekommen, hatte sich zum Sleeper des Jahres entwickelt und wurde schließlich zu
einem der erfolgreichsten Filme des italienischen Nachkriegskinos überhaupt.
Tessari, der ungenannt am Drehbuch von Leones Western mitgearbeitet hatte, erhielt
bald die Möglichkeit, selbst einen Genrebeitrag zu inszenieren, eben den
vorliegenden „Una pistola per Ringo“, dem er noch im gleichen Jahr mit „Il ritorno
di Ringo“ („Ringos Rückkehr“, I-E 1965) eine Variation der Odyssee im Gewand des Italowestern nachfolgen ließ.
Trotz einiger Ähnlichkeiten zu dem ersten Eastwood/Leone-Projekt
weicht Tessari deutlich von Leones Vorgabe ab. Sein Held, Giuliano Gemma als
Ringo bzw. Angelface (die Titelsequenz kündigt ihn noch unter seinem amerikanisierten
Pseudonym Montgomery Wood an), ist eine leichte, ironische Variante des gewalttätigen
Eastwood/Leone-Helden. Wir lernen Ringo kennen, als er vor einer Gruppe von
Kindern Himmel & Hölle spielt, die Variation eines auf Schulhöfen weit
verbreiteten Hüpfspiels. Im Gegensatz zum Eastwood’schen Killer ist er
sauber und adrett; ein Kind-Mann, der oft grinst, Milch statt Whiskey trinkt
und das Töten als Spiel betrachtet. Wenn der blonde, glattrasierte Angelface
spricht, dann fast ausschließlich in Sprichwörtern und ironischen
Lebensweisen (etwa: „God created all men equal... but the six gun made them
different”). Bisweilen wirkt dieser Trickster wie eine Vorwegnahme der Trinità-Figur, die Terence
Hill später bei Enzo Barboni entwickeln sollte. Aber im Gegensatz zu Komikwestern
wie „Lo chiamavano Trinità“ („Die rechte und die linke Hand des Teufels“,
I 1970) wird hier noch viel
geschossen und gestorben, auch wenn die Action besonders zu Beginn eher zäh
inszeniert wirkt, mit Anschlussfehlern und nur wenig Dynamik. Gerade die „kreativen“
Mordmethoden des Schurken (Fernando Sancho) dürften wohl dafür verantwortlich
sein, dass der eigentlich harmlose Film bis heute keine Jugendfreigabe erhalten
hat: Die bad guys spielen mit ihren Geiseln Russisches Roulette, sie erschießen
sie wie Tontauben oder reihen sie im Kreis um einen Tisch auf, auf den dann
ein geladener Revolver geworfen wird. Das sind Momente, denen wir im amerikanischen
Western zu dieser Zeit nie begegnen.
In Bezug auf das Tempo orientiert sich Tessari an den Pepla, den europäischen „Sandalenfilmen“, für die
er in den frühen 60er Jahren viele Drehbücher verfasst hat. In der italienischen Filmzeitschrift Cineforum erläuterte er später seine Regeln für
diese Formelfilme: „Much smoke and fire should be used: a brazier, a burning
tent, or a flaming spear are worth more than any dialogue.“ Ähnlich verfährt er auch hier: Möglichst
viel action, möglichst wenig Psychologie – Genrekino als Bewegung
um ihrer selbst willen; motion als emotion. Folglich darf Gemma, der seine Filmkarriere als Stuntman
begonnen hat, hüpfen und springen, tänzeln und taumeln; der Held als
Nachfahre der Zirkusakrobaten.
Besonders in Erinnerung bleiben einige Sequenzen in der von den mexikanischen
Banditen heimgesuchten Farm (der Hauptschauplatz des Films). Tessari nutzt den
Ort, um die Klassenkonflikte zwischen den Besetzern und den bourgeoisen Besitzern
auszuspielen. Die Weihnachtsfeier, bei der die Banditen dann mit ihren Geiseln
Champagner trinken und schließlich „Stille Nacht“ singen, bevor sie das
Mobiliar zerlegen, erinnert in ihrem surrealen Humor fast an Buñuels
Filme.
Der Film ist kürzlich in Deutschland auf DVD erscheinen (bei
dem verdienstvollen Label Koch Media): ungekürzt, im richtigen Bildformat und in sehr
guter Bildqualität, mit deutscher, italienischer und englischer Tonspur
sowie Trailern, einer Bildergalerie und einer informativen Kurzdokumentation.
Was will man mehr?
Harald Steinwender
Dieser Text ist zuerst erschienen in: http://themroc-filmblog.blogspot.com/.
Eine Pistole für Ringo
Una pistola per Ringo / Una Pistola para Ringo
Italien/ Spanien 1965
Regie: Duccio Tessari – Drehbuch: Duccio Tessari, Alfonso
Balcázar – Produzenten: Luciano Ercoli, Alberto Pugliese – Kamera: Francisco
Marín – Schnitt: Licia Quaglia – Musik: Ennio Morricone
– Darsteller: Giuliano Gemma (Ringo aka Angel Face (als Montgomery Wood), Fernando
Sancho (Sancho), Lorella De Luca (Ruby) (als Hally Hammond), Nieves Navarro
(Dolores), Antonio Casas (Major Clyde) u. a. – Länge: ca. 98
min. – Format: 35mm, Techniscope 2.35:1 – DVD (D): Koch Media.
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