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Eine
Stadt wird erpresst
Nur die eine Geste, als Beispiel. Der
Kommissar verfolgt, was bei der Verfolgung auf dem Bildschirm geschieht und
gibt, nebenbei, dem Kollegen Feuer. Aber er sieht nicht hin, das Feuerzeug ist
aus, ehe die Zigarette brennt, ein kurzer Blick zur Seite, weg vom Bildschirm,
eine ungeduldige Geste des Kollegen, noch einmal das Feuerzeug, jetzt brennt
die Zigarette, kein Wort fällt, alles in wenigen Sekunden. Das führt
nirgendwo hin, aber noch in dieser kaum unterstrichenen Minimalcharakteristik
setzt der Film das Grundthema gegenseitige
Hilfe, Solidarität, und zwar als Selbstverständlichkeit, ins Bild.
Der Kontrollraum, in die Tiefe gestaffelt
Polizisten bei der Arbeit, wuselnd erst, ermüdend dann, als stundenlang
das Auto vor der Übergabe der Diamanten im Kreis fährt. Der schräge
Gesang des Kommissars beim Fahren. Der komische Typ, der die Kommissarin Rogalla
in der Mädler-Passage verfolgt. Der Schweiß unter den Achseln des
Telefon-Mannes in der letzten Reihe des in die Tiefe gestaffelten Raums. Und
was sich immerzu in den Hintergründen der Bilder tut. Da wird gegraben,
getuschelt, gearbeitet. Nebenbei, alles nebenbei, hinten, ununterstrichen, das
ist die Grundfigur von "Eine Stadt wird erpresst": Etwas geschieht
im Hintergrund.
Zuletzt hat Dominik Graf viel über
italienische Genre-Film der 70er- und 80er geschrieben, in der FAZ. Daran scheint
er hier anschließen zu wollen. Ich kenne mich da nicht gut aus, aber ich
vermute das mal. Die herrlich trashigen Credits, die mit billigster Elektrotechnik
in blauer Schrift ins Vorspann-Bild drängen. Die vielen Zooms, meist nicht
so jäh, dass sie einen aus dem Vorgang reißen, aber doch quick and
dirty auf Augen, den Einzelnen unter Verdacht. Später, als die Täter
genannt werden, die zwischen den Dialog geschnittenen Bilder der Jungs im Fußball-T-Shirt.
Die atemberaubenden Flüge über die vom Kohleabbau geschundene Landschaft.
Weitere Zwischenschnitte, ganz schnell: die Rehe im Dunkeln, der Hund, der Schuss
der Oberförsterin, deren Gesicht man nicht zu sehen bekommt.
Was für ein Rhythmus, nicht zu rund
und nicht zu eckig, es geht voran und doch keine Zeit für Hektik. Die Musik,
dieses Geschlage-Geticke, ist auch toll. Dabei ist alle Spannung redlich erarbeitet,
nichts erschlichen, Dominik Graf will und gibt nichts geschenkt. Nur dass die
Arbeit - des Regisseurs und seiner Leute - nicht nach Arbeit aussieht, sondern
Schnitt für Schnitt, Gesicht für Gesicht, Geste für Geste, aus
einem Guss wirkt, aber ohne Glättung von Fugen, aus dem Handgelenk geschüttelt,
aber so, dass alles sitzt. Grafs letzte Kinoarbeit "Der
rote Kakadu" hat
mich enttäuscht. "Eine Stadt wird erpresst" ist atemberaubend
gut. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: jump cut
Eine
Stadt wird erpresst
Deutschland
2006, TV-Spielfilm
Regie:
Dominik Graf
Drehbuch:
Rolf Basedow
Kamera:
Alexander Fischerkoesen
Musik:
Sven Rossenbach; Florian van Volxem
Darsteller:
Uwe Kockisch, Mišel Maticevic, Julia Blankenburg, Thomas Neumann, Hubertus Hartmann,
Arved Birnbaum, Lutz Teschner, Oona von Maydell, Petra Kleinert, Jevgenij Sitochinj
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