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Ein
Geheimnis
Sorgenkörper
Claude Miller erzählt im Historienfilm
"Ein Geheimnis" vom Schicksal einer jüdischen Familie in Frankreich,
bei der sich nichts so verhält, wie es zunächst scheint.
Körper, erst sieht man Körper.
Im Schwimmbad: der muskulöse Körper des Vaters (Patrick Bruel), der
geschmeidige Körper der Mutter (Cecile de France). Leistungssportlerkörper
beide, mit denen der des kleinen Francois nicht konkurrieren kann. Sein Körper
ist für die Eltern, den Vater insbesondere, ein Sorgenkörper und zwar
auf alles andere als unschuldige Weise. Er verkörpert nämlich, als
Wiederkehr eines Verdrängten, auf verschobene Weise das "Geheimnis"
des Titels.
Man muss es, um über den Film überhaupt
sprechen zu können, verraten. Der Film inszeniert es als Überraschung,
die zum Zeitpunkt, an dem das Geheimnis sich offenbart, fast keine mehr ist.
Dennoch und gerade deshalb lebt die Erzählung des Films von dieser Struktur:
des Vordeutens, des heimlichen Eintrags des Verschwiegenen in die Nachgeschichte,
die der Film in Verdrehung der Chronologie als Vorgeschichte erzählt. Das
hat mit der Wahl der Perspektive zu tun, die eben zunächst ganz ausdrücklich
die des jungen Francois ist, der gar nicht
wissen kann, warum sein Sportlerkörpervater seinen schmächtigen Körper
so brutal ablehnt.
Man muss also, um nicht so vage wie im
vorangehenden Absatz rumzueiern, das Geheimnis - dessen bloßes Vorhandensein
angesichts des Titels bei Gott kein Geheimnis ist - verraten. Wer die Verschiebung,
die der Film erzählerisch nachvollzieht, also selbst, am eigenen Leib und
am eigenen Verstand miterleben will, darf hier und jetzt nicht weiterlesen.
(Ich würde das allen, die sich für den Film interessieren, der problematisch
ist, aber sehenswert, ernsthaft empfehlen: Lesen Sie nicht weiter. Gehen Sie
ins Kino und kommen Sie dann hierher zurück.)
Die Zeichen, die Claude Miller mehr oder
minder subtil zunächst streut, werden nachträglich lesbar. Dann nämlich,
wenn Louise (Julie Depardieu), Freundin und Nachbarin der Eltern, Francois von
Dingen erzählt, die die Eltern systematisch verschwiegen haben. Davon,
dass sie als Juden unter deutscher Besatzung aufs Land fliehen mussten. Davon,
dass der Vater zuvor schon verheiratet war. Davon, dass Francois einen Halbbruder
hatte. Und davon, dass Hannah (Ludivine Sagnier), die erste Frau des Vaters,
starb und sterben wollte, weil dieser die andere, die Strahlendere, die Verführerischere,
Francois' Mutter Tania (Cecile de France) zu lieben nicht lassen konnte. All
das bleibt eine ganze Weile verschwiegen und doch gelingt es Claude Miller,
einem virtuosen Handwerker des Filmischen, diese verdrängte Vorgeschichte
in den Bildern und Sätzen, ja, in den Körpern und dem, was sie tun,
immer wieder aufblitzen zu lassen.
Auf dem Papier und in der Beschreibung
macht all das - der auf wahren Begebnissen beruhenden Vorlage, einem Roman von
Philippe Grimbert, folgend - sehr viel Sinn. Verführerisch setzt Miller
es ins Bild, in der gewohnt meisterlichen Hochauflösung der einzelnen Szenen
in Blicke, Perspektiven, Momente. Und wenn Grimbert im sehr lesenswerten Doppel-Interview
mit Gerhard Midding sagt, auch und gerade das Finsterste, das Tragische dürfe
man nicht durch Verdopplung markieren, schlimme Dinge hätten sich bei strahlendem
Sonnenschein ereignet, hat er ja völlig recht: "Dieses Drama in kaltes
Winterlicht zu tauchen oder das Verhängnis mit Gewitterwolken anzukündigen,
wäre ein simpler Pleonasmus. Ich bin überzeugt, dass in Auschwitz
die Vögel nicht aufgehört haben zu zwitschern." (Dass die "Buddenbrooks"
des Heinrich Breloer, nebenbei gesagt, ein so schauderhaft dummer Film sind,
hat mit ihrem ständigen Gewitter sehr viel zu tun. Dazu mehr in der nächsten
Woche.)
Trotzdem wurde mir "Ein Geheimnis",
je länger der Film dauerte, umso unbehaglicher. Seine beträchtliche
Raffinesse schlägt irgendwann nämlich um, und zwar in etwas, das ich
nur als Kunstgewerbe bezeichnen kann. Das Weiterzwitschern der Vögel kann
man nämlich sehr wohl so inszenieren, dass etwas Finsteres am hellichten
Tag darin klingt. Das aber gelingt Claude Miller nicht. Und zwar, denke ich,
aus mehreren Gründen. So erweist sich die erzählerische Konstruktion
nach und nach nicht nur, aber auch: als Trick. Alles geht auf, aber zu gut.
Die Leerstellen werden gefüllt und das zuvor unerklärliche Verhalten
der Figuren wird nicht etwa einfach mehr oder minder verständlich, sondern
sozusagen restlos erklärt. Das ist in erster Linie wirklich ein Effekt
der Konstruktion. Selbst und gerade die tragische und rätselhafte Entscheidung
Hannahs schlägt so um vom genuin Rätselhaften in ein Exempel für
Rätselhaftigkeit. Durch den Erzähltrick und die von ihm erzeugten
Restlosigkeiten schwinden die echten Leerstellen aus dem Film. (Komplett überflüssig
ist dann eine weitere Ebene, die davon berichtet, wie sich, Jahrzehnte später,
das Verhältnis von Vater und Sohn - jetzt von Mathieu Amalric gespielt
- gewandelt hat.)
Was offen war, schließt sich, auf
allen Ebenen von "Ein Geheimnis". Claude Millers Bilder widerstehen
dieser Abdichtungsbewegung nicht, ganz im Gegenteil. Er ist zu verliebt in seine
Fähigkeit, das Weiterzwitschern der Vögel statt simpler Pleonasmen
zu filmen. Und deshalb merkt man seinen Bildern nicht den richtigen Gedanken,
sondern dieses Verliebtsein an. Die Sonne scheint nicht zu schön, aber
zu programmatisch in diesem Film. Der macht sich keiner Geschmacklosigkeit schuldig.
Er gerät nicht einmal in Versuchung, geschmacklos zu sein. So, wie er ist,
spricht auch und gerade das gegen ihn.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Ein
Geheimnis
UN
SECRET
F 2007,
100 Min.
Regie:
Claude Miller,
Darsteller:
Cécile De France, Patrick Bruel, Ludivine Sagnier, Julie Depardieu, Mathieu
Amalric. Nach dem Roman von Philippe Grimbert
Start
(D): 18.12.2008
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