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Einsam
sind die Tapferen
Ein
Cowboy fürs Museum
„Tu
was Du willst und frage nicht danach, was andere von Dir denken!“
So
unverblümt erklärt in dem Spätwestern „Einsam sind die Tapferen“
der ewige Cowboy Jack Burns seiner geliebten Jerry die Leitlinie seines Lebens.
Was soll man halten von diesem Satz? Er klingt wie der Richtwert eines zügellosen
Asozialen oder Libertin. Oder er hört sich an wie die Blaupause fragwürdiger
Frontier-Ideologie. Wir kennen sie aus einer Vielzahl von Westernfilmen, nämlich
den Glauben daran, das Recht in die eigenen Hände nehmen zu dürfen.
Doch das alles trifft auf diesen Film aus den frühen sechziger Jahren nicht
zu. Der amerikanische Regisseur David Miller hat etwas Anderes inszeniert. Denn
dieser Satz kommt aus dem Mund einer Sympathiefigur, die einen Wert verkörpert,
der über die Gebote des Frontiers hinausgeht. Es ist die Leitlinie eines
bewundernswerten Individualisten, einer Don-Quichotte-Figur, die einen ausweglosen
Kampf des Einzelnen gegen das anonyme System führt.
Schon
das erste Bild nimmt die Aussage des Films metaphorisch vorweg: Wir befinden
uns in der Wildnis, der Morgen graut und an einem Lagerfeuer liegt ein Mann
lässig auf seiner Schlafdecke mit dem Kopf auf seinem Sattel. Es ist Jack
Burns - gespielt von Kirk Douglas - der sich seinen Cowboyhut ins Gesicht gezogen
hat und eine Zigarette raucht und neben ihm grast sein Pferd. Für einen
kurzen Moment scheint sich die aus unzähligen Western bekannte Cowboy-Romantik
breitzumachen, eine Romantik, die inzwischen durch die Marlboro-Werbespots zum
Bestandteil der Popkultur geworden ist. Doch die heile Cowboy-Welt ist nur für
einen kurzen Augenblick in Ordnung. Denn Jack beobachtet am Himmel die vorbeiziehen-den
Kondensstreifen dreier Düsenflugzeuge. Der ganze Film in einem Bild: ein
Clash of Cultures. Hier ist ein Mann, der nicht mehr in seine Zeit passt. Jack
Burns ist als Cowboy bereits reif für das Museum.
Kurz
darauf sehen wir Jack mit seinem Pferd Whiskey über das scheinbar offene
Land reiten. Scheinbar offenes Land. Denn er kommt an einen Zaun, der den folgenden
Abschnitt als Besitz einer Kraftwerksgesellschaft ausweist. Lässt sich
dieser Cowboy davon aufhalten? Nein, Jack doch nicht. Vielmehr greift er seine
Zange und durchschneidet den Stacheldraht. Für Filmkenner ist das ein eindeutiges
Zitat aus dem Kirk-Douglas-Film „Mit stahlharter Faust“, einem seiner früheren
Edel-Western. Darin wird vor dem Hintergrund der Landverteilungskämpfe
zwischen Farmern und Ranchern die Geschichte eines Nomaden aus Überzeugung
erzählt. Dieser Nomade flieht vor der Zivilisation, vor der Parzellierung
des Landes durch Zäune, und er will sich an nichts und niemanden binden.
Auch Jack Burns befindet sich auf der Flucht vor der Zivilisation. Auch er will
sich an niemanden binden und verweigert die Annahme moderner Gesetze und neuer
Lebensweisen, weil er auf keinen Fall seine innere Unabhängigkeit gefährden
will. Er lebt ohne Ausweis, obwohl das verboten ist, und ohne Sozialversicherungskarte
und Lebensversicherung. Denn er weiß auch ohne diese bürokratischen
Zwänge, wer er ist. Das einzige, was er für sich beansprucht, ist,
das bescheidene Leben eines wandernden Cowboys in einem offenen Land zu führen.
Es gibt nur ein Problem: Jack hat mehr als nur einen Zaun zu durchschneiden.
„Dort
draußen ist die wirkliche Welt“, ermahnt Jerry als Stimme der Publikumsvernunft
ihren versponnenen Freund. „Eine Welt mit Schildern und mit Zäunen. Außerdem
hat sie gewisse Spielregeln und Gesetze. Und wer sie nicht beachten will, der
ist erledigt, der wird alles verlieren.“ „Nein!“, entgegnet Jack. Er wird etwas
immer behalten.“ Jack spricht nicht aus, was dieses Etwas genau ist, aber es
ist klar, dass er damit seine Identität meint.
Auf
den ersten Blick erscheint die Handlung sehr einfach: Der Cowboy Jack Burns
lässt sich ins Gefängnis sperren, um seinem dort einsitzenden besten
Freund Paul zu helfen. Paul hat illegalen Einwanderern aus Mexiko über
die Grenze geholfen. Gemeinsam mit ihm will Jack nun ausbrechen, damit Paul
zu seiner Frau Jerry und seinem Sohn Seth zurückkehren kann. Das Dumme
ist nur: Paul weigert sich, weil er als gesuchter Ausbrecher seine Zukunft nicht
aufs Spiel setzen will. Also bricht Jack allein aus und versucht mit seinem
Pferd, verfolgt von einem modernen Polizeiapparat, über die Berge nach
Mexiko zu fliehen.
Wie
gesagt, eine einfache Geschichte; ein Western eben, deren Handlungen sind meistens
einfach. Doch Drehbuchautor Dalton Trumbo hat diese nur vordergründig einfache
Geschichte zu einer Tragödie im klassischen Sinne entworfen. Hier wusste
jemand, wie es ist, ein Verfolgter zu sein. Denn Trumbo war selbst als angeblich
linker Autor während der McCarthy-Ära auf der berüchtigten Schwarzen
Liste geächtet. So zeichnet Trumbo den letzten Ritt eines Mannes, der verantwortlich
für seinen eigenen Untergang ist, weil er nicht einsehen kann, das sein
anarchistischer Lebensentwurf von der modernen Zivilisation nicht geduldet werden
kann und in seinen Tod führen muss. Der Cowboy und sein Pferd werden buchstäblich
auf einem Highway von einem Truck überrollt, einem Truck, der unaufhaltsam
die Banalität von Toilettendeckeln transportiert, als Zeichen einer entfremdeten
und unpersönlichen Massengesellschaft. Jacks Ursprünglichkeit hat
dort keinen Platz. Dieser Untergang ist umso bitterer, da Jack den Moment verpasst,
der ihm die Rettung möglicherweise gebracht hätte. Es ist der Moment,
in dem er sich erstmals an ein anderes Wesen bindet und Verantwortung übernimmt:
und zwar für sein Pferd. Er müsste Whiskey bei seiner halsbrecherischen
Kletterei durchs Gebirge, umzingelt von Verfolgern, zurücklassen. Doch
das bringt Jack nicht fertig und verschenkt die Chance auf seine Flucht.
Wir,
die zivilisierten Kinozuschauer, schütteln bei Jacks einfältigem Ausbruchsplan
nur den Kopf. Doch so sind nun einmal Jacks Maßstäbe. Er hat seinen
eigenen Ehrenkodex und der besagt, einem Freund in der Not zu helfen, selbst
wenn er im Gefängnis sitzt. „Ich mache keinen Ärger“, betont Jack.
„Ich bin hier, um alles in Ordnung zu bringen.“ Ein Unrechtsbewusstsein besitzt
er nicht, und auch die Tat seines Freundes betrachtet er als ehrenhaft, weil
sie dem gesunden Menschenverstand entsprungen ist: „Der Zaun ist schuld, dass
Paul ins Zuchthaus musste“, verteidigt Jack seinen Freund vor dessen Frau Jerry.
„Er hat keinen Sinn darin gesehen und so getan, als ob der Zaun nicht da wäre.
Als die Leute herüber geschlichen kamen, hat er nur Menschen in ihnen gesehen,
denen er weiterhelfen musste.“
So
befremdlich die Unvernunft dieses Mannes auch zu sein scheint, so bewundernswert
ist sein unerschütterlicher Glaube daran, dass alles gut wird und jedes
Problem lösbar ist. „Ich kenne da eine Blockhütte“, verrät er
seinem Freund Paul. „Dort kannst Du Dein Buch schreiben, ich würde ein
paar Rinder züchten, Jerry würde malen und Seth würde lernen.“
Fürwahr, ein verführerisch idyllischer Lebensentwurf, nur leider ein
romantisches Hirngespinst. Sehr leider, müsste man meinen. Oder etwa nicht?
„Einsam
sind die Tapferen“ ist 1962, ein Jahr nach den Klassikern des Spätwestern
„Der Mann der Liberty Valance erschoß“ und „Sacramento“ entstanden. Doch
hat er deren Berühmtheit nie ganz erreicht. Zudem verhinderte die fantasielose
Vermarktungsstrategie der „Universal Studios“ ein viel besseres Einspielergebnis.
„Universal hat nicht gewusst, was sie an diesem Film hat“, sagte Hauptdarsteller
Kirk Douglas einmal im Rückblick. Recht hat er. Zwar hat sich „Einsam sind
die Tapferen“ inzwischen als Kultfilm etabliert, aber er schaut immer noch ein
wenig ehrfürchtig zu den anderen beiden Werken auf. Zu Unrecht: Alle drei
Filme stimmen einen deprimierenden Abgesang auf den alten Westen an. In diesem
Westen gab es noch Land von grenzenloser Weite und dort lebten Cowboys und Westmänner
nach einem eigenen Ehrenkodex und träumten von einem freien Leben. „Einsam
sind die Tapferen“ ist aber in der Bitternis seines Abgesangs auf den alten
Westen am konsequentesten.
John
Fords Klassiker „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ erzählt die
Geschichte eines Mannes, der Ende des 19. Jahrhunderts an der Einführung
der so genannten Zivilisation zerbricht, obwohl er nicht zum Gesetzlosen wird,
sondern versucht, sich an die neue Zeit anzupassen. Auch in Sam Peckinpahs „Sacramento“
trauern um die Jahrhundertwende zwei alternde Gesetzeshüter den alten Zeiten
nach. Denn die Moral dieser Westerner, ihre Ideale und ihr Ehrenkodex sind in
der neuen Welt nichts mehr wert, in einer Welt, die von Banken, Autos und Rummelplätzen
beherrscht wird. Ein letztes Mal raffen sie sich auf zu einem Kampf gegen heruntergekommene
Banditen, für die ein Menschenleben nichts zählt, leicht verdientes
Geld aber alles ist.
In
„Einsam sind die Tapferen“ sind wir dagegen tief in den fünfziger Jahren
des 20. Jahrhunderts angekommen. Jack Burns wird nicht wie Tom Doniphon aus
„Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ von der zweiten Welle des Frontiers
überrollt mit ihren Anwälten, Geschäftemachern, Bankern, Städtebauern
und Lehrern. Über Jack ist längst die dritte bis vierte Welle hinweggeschwappt.
Denn der Westen mit seinem wilden unzivilisierten Naturzustand ist bereits mehrfach
zur kapitalistischen Massengesellschaft kolonialisiert worden. Nicht einmal
Jack Burns kann den Westen in diesem Naturzustand noch kennen gelernt haben.
Er lebt nur die damit verbundenen Mythen und Legenden. Das macht den Abstand
zwischen seiner Welt des alten Westens und der Moderne noch größer
als in den Filmen von Ford und Peckinpah: „Du und Paul lebt in einer Welt, die
nicht existiert.“, hält Jerry dem uneinsichtigen Jack vor. „Wahrscheinlich
hat sie nie existiert.“
Jack
lebt den Mythos vom ewigen Cowboy, der zwischen Wildnis und Zivilisation nur
ein Bote gewesen ist. An der Kolonialisierung jedoch hat er sich nicht aktiv
beteiligt. Im Gegenteil. Er wollte das Land nur kennen lernen und nicht besitzen,
weil ihm ein kolonisatorischer Eifer und ein Besitzstreben fehlten. Vielmehr
begab er sich auf die Flucht vor dem unaufhaltsamen Strom der Siedler und dem
Vormarsch der Zivilisation und wird zu einem „Man without a Star“.
Jack
Burns jedoch muss mit seinem Kult des ewigen Cowboys untergehen, weil er der
modernen und viel komplexeren Gesellschaftsordnung keine grundlegende Alternative
entgegensetzen kann. Sein Dasein als „Man without a Star“, als wandernder Cowboy,
reicht nicht aus und macht ihn so zum Gesetzlosen. Seine Anflüge von Selbsterkenntnis
kommen zu spät. „Du bist mir über den Kopf gewachsen“, gesteht Jack
seinem Freund Paul, als dieser sich dem gemeinsamen Ausbruch verweigert. Eine
Verhaltensänderung ist aber bei Jack nicht mehr möglich. „Ich bin
ein Einzelgänger“, erklärt er Jerry, warum er einst mit ihr nicht
zusammenkommen konnte. „Weißt Du, was ein Einzelgänger ist? Im Grunde
ein Krüppel, ein Mensch, der mit anderen Menschen nicht leben kann. Es
gelingt ihm einfach nicht, und nur so, wie er es für richtig findet, will
er leben. Neben so einem Mann würde eine Frau wie Du zugrunde gehen.“ Auch
wegen dieser Reflexionen wirken die Traurigkeit und Melancholie von Jacks Untergang
noch eine Spur bedrückender als bei den Vorgängerfilmen.
Es
verwundert nicht, dass Kirk Douglas „Einsam sind die Tapferen“ wiederholt als
seinen Lieblingsfilm bezeichnet hat. Denn er ist mit seiner animalischen Energie
für die Rolle des Jack Burns die ideale Besetzung und liefert darin eine
seiner besten Leistungen ab. Dabei gelingt es ihm, sein manchmal übersprudelndes
Temperament und seine häufig protzig kultivierte Bigger-than-Life-Haltung
für den traurigen Ton des Films und seine stillen Momente angemessen zu
zügeln. Fast möchte man meinen, Kirk Douglas spielt in dieser Rolle
sich selbst herunter. Auffällig ist dabei, wie Kirk Douglas mit seiner
Vitalität Jack die Ursprünglichkeit eines Tieres verleiht. Dadurch
wird auf seiner Flucht durchs Gebirge Jacks Anpassung an die Natur umso spürbarer.
In den kurzen Momenten der Rast sieht man Kirk Douglas' kantiges und kerniges
Gesicht vor dem Hintergrund des Felsmassivs und merkt, wie es sich in dem Felsgestein
auflöst. Die verschwimmenden Kontraste der Grautöne von Gesicht und
Fels ermöglichen diesen Effekt. Da kann man mal sehen, was die gute alte
Schwarz-Weiß-Fotografie zu leisten imstande ist.
Besonders
aber in der Schlussszene vollbringt Kirk Douglas eine schauspielerische Meisterleistung;
in der Disziplin, die für Schauspieler zu den schwierigsten Übungen
zählt, nämlich das Gesicht in Großaufnahme zu zeigen, ohne dabei
physisch zu handeln. Nachdem Jack mitsamt seinem Pferd bei strömendem Regen
von dem besagten Truck überrollt wird, liegt er schwer verletzt und hilflos
wie ein Tier auf der Straße. Er schaut zu den herbeigeeilten Leuten, die
ihn neugierig mustern und den Krankenwagen herbeirufen. Gleichzeitig horcht
er auf sein Pferd, das mit jammervollem Wiehern aus dem Off um Erlösung
bettelt. In diesen Augenblicken, während die Regentropfen auf sein Gesicht
prallen, lässt Kirk Douglas alle denkbaren Ausdrucksformen eines gebrochenen
Mannes erscheinen: Unverständnis, Fassungslosigkeit, Resignation, Kraft-
und Sprachlosigkeit. Dieses Gesicht vergisst man nicht. Erst recht, weil einem
bei diesem Bild mehr als eine Träne über die Wangen kullert. Dabei
spielt es keine Rolle, ob Jack den Unfall nun überlebt oder nicht. Es ist
ohnehin vorbei. Als Jack hört, wie sein Pferd den Gnadenschuss erhält,
ist es, als hätte man ihn getötet. Ein kurzes Zucken in seinem Gesicht
drückt das aus. Denn die Bindung zur ursprünglichen Natur ist mit
dem Tod seines Pferdes, seines einzigen Freundes, für ihn endgültig
abgeschnitten. Übrig bleibt nur der Cowboyhut - überspült von
der Gischt des Sprühregens.
Als
unverzichtbarer Zusatz verstärkt die Musik von Jerry Goldsmith den traurig
melancholischen Ton des Films: Dabei liefert Goldsmith in der ersten Hälfte
zunächst introspektive und feinsinnige Begleitstücke, die den stillen
Momenten angepasst sind und Jacks Charakter unterstreichen. Besonders der Einsatz
zarter und nobler Trompeten- und Mundharmonikaklänge lassen Jack noch ein
wenig menschlicher und herzlicher wirken, als er vielleicht tatsächlich
ist. Als später im Gefängnis Jacks Ausbruch bevorsteht, schafft seine
Musik durch den Einsatz einer Hochzahl von wehmütig klagenden Streichern
eine Atmosphäre der Verzweiflung. In der zweiten Hälfte bei Jacks
Kletterei durchs Gebirge komponiert Goldsmith dramatische Temperamentsausbrüche
seiner Blasinstrumente. Mit diesen Ausbrüchen betont er die übermenschliche
Anstrengung, die Jack auf sich nimmt, um sich und sein zögerliches Pferd
über die Wucht des Bergkamms zu treiben. Die wenigen Momente der Hoffnung
bei dieser Plackerei untermalt Goldsmith mit verspielten Flöten. Das alles
geht mitten ins Herz und bringt auch den verkopften Zuschauertyp dazu, Jacks
Flucht als tapfer zu betrachten, auch wenn der Verstand anfänglich noch
anders geurteilt haben mag.
Goldsmith
schaffte mit seinem Soundtrack für „Einsam sind die Tapferen“ damals seinen
Durchbruch als Filmkomponist und ein wenig erinnern einige Motive daraus an
das Titelstück aus seinem späteren „Rambo“-Soundtrack - auch ein Film
über einen Ausgestoßenen. Sein berühmter Komponistenkollege
Bernard Herrmann sagte einmal: „Seine Musik ist zu gut für diesen Film“.
Was für ein Kompliment eines Mannes, der unter vielen Kollegen als Kotzbrocken
galt, weil er sich selbst für den Größten hielt. Ganz so weit
wie Herrmann würde ich nicht gehen. Auf jeden Fall aber ist Goldsmith mit
seinem Soundtrack ein kongenialer Ge-fühlsverstärker gelungen und
sicher neben „Planet der Affen“ eine seiner besten Arbeiten.
Kennt
jemand noch David Miller? Mir jedenfalls ist aus seinem Gesamtwerk so gut wie
nichts in Erinnerung geblieben – außer „Einsam sind die Tapferen“. Mir
fällt noch „Mitternachtsspitzen“ ein,
ein beliebter, aber belangloser Thriller mit Doris Day. Aber dann muss ich schon
überlegen. Bezeichnenderweise ist es auch nicht Miller, sondern es sind
die anderen Beteiligten, die man mit diesem Western bis heute verbindet: Douglas,
Trumbo oder Goldsmith. All ihre handwerklichen Finessen machen diesen Film zu
einem frischen Werk. Gewiss, die Erzählweise ist für heutige Sehgewohnheiten
ein wenig langsam. Trotzdem funktionieren die gut geschriebenen Dialoge, die
Musik und die schauspielerischen Leistungen des gesamten Ensembles bis heute.
Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Western der vierziger und fünfziger
Jahre, die beispielsweise mit ihrer veralteten barockartigen Schauspielerästhetik
nur noch als filmhistorische Fallbeispiele zu ertragen sind.
Allerdings
bietet Kirk Douglas' Lieblingsfilm nicht nur die zeitlose Ästhetik eines
gut gemachten Genrefilms. Auch seine Anklage ist aktueller denn je. Sie lautet:
„Die Massengesellschaft zerstört den Individualismus“, und damit feiert
sie nicht nur den Individualismus als uramerikanischen Wert. Vielmehr lässt
sich diese Anklage auf die Anonymität aller Massengesellschaften beziehen.
Gewiss,
für ganz Anspruchsvolle mag diese Zivilisationskritik möglicherweise
wie geistiger kalter Kaffee klingen. Doch gerade in der heutigen Zeit der Massengesellschaften,
in der eine Einheitskultur rund um den Globus geklont wird, dürfte die
Identifizierung mit Jack Burns umso leichter fallen. Sie fällt so leicht,
weil in der modernen Massengesellschaft der Zwang zu funktionieren immer größer
wird. Die wachsenden Flexibilitäts- und Mobilitätsgebote erfordern
das. Deswegen werden für die meisten von uns die Gelegenheiten immer seltener,
der Tretmühle des Alltags einmal zu entrinnen. Als Stellvertreter des Publikums
kann auch Sheriff Johnson, der Leiter der Fahndung nach Jack, seine Sympathie
für den Cowboy nicht verbergen. Zu sehr ist er umgeben von lästigen
Jobroutinen, quälender Alltagslangeweile und zermürbend spießigen
Berufskollegen. Trotzdem hat sich Johnson ein wenig Menschlichkeit bewahrt.
Walter Matthau transportiert in einer seiner frühen Rollen diese Menschlichkeit
des vom Alltag zermürbten Sheriffs mit seiner typisch abgeklärt-ironischen
Distanz sehr glaubhaft. Johnson möchte deswegen die Jagd am liebsten abblasen,
damit seiner Jagdbeute die Flucht gelingt. Denn er bewundert Jack für seine
Entschlossenheit und seinen Mut, der ihm fehlt, um selbst aus der Enge seiner
Alltagstechnokratie ausbrechen zu können. Folglich macht er eben seinen
Job – wenn auch nur widerwillig. Doch er macht ihn. So wie die meisten von uns
ihren Job machen würden.
Malte
Krüger
Einsam
sind die Tapferen
(Lonely
Are the Brave)
USA
1962, Regie: David Miller, Buch: Dalton Trumbo, Kamera: Philip Lathrop, Musik:
Jerry Goldsmith, Produzent: Edward Lewis. Mit:
Kirk Douglas, Gena Rowlands, Walter Matthau, Michael Kane, Carroll O'Connor,
George Kennedy, William Schallert.
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