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Ein
Traum in Erdbeerfolie
Egal,
haha
Duschvorhänge für New-Wave-City:
»Ein Traum in Erdbeerfolie« sucht die Mode der späten DDR
Elegantes Thema, unelegant erledigt: Mode
in der späten DDR. Am Anfang von »Ein Traum in Erdbeerfolie«
geht Regisseur Marco Wilms mit einem Cafe Latte bewaffnet in den Keller und
kommt mit seiner alten Lederjacke, selbst gemacht aus Schuh-Oberleder »damals
in der DDR« (Udo Lindenberg) wieder. Sein zirka dreieinhalbjähriger
Sohn findet die Jacke nicht so cool, dafür grinst seine Freundin in die
Kamera wie im Fotografenschaufenster.
Im Prinzip sucht Wilms die Erdbeerfolie.
Damit wurden früher in der DDR nicht nur die Erdbeeren eingepackt, sondern
auch im Mode-Untergrund Kleider gefertigt, die aussahen wie direkt aus London,
New-Wave-City. Ein beliebtes Material waren auch Duschvorhänge. Einmal
findet Wilms einen Laubenpieper, dessen Nachbar davon tönt, er hätte
noch Erdbeerfolie – allerdings alles unters Dach getackert.
Wilms war mal Model, beim Modeinstitut
der DDR. Er sagt, damals hätte er für eine Parallelwelt gearbeitet.
Er führte Kleidung vor, die es nirgendwo in der DDR zu kaufen gab, gemacht
aus Stoffen, die ebenfalls nicht erhältlich waren. Man erweckte karibisches
Flair am Baggersee und lachte immerzu in die Kamera, obwohl es nichts zu lachen
gab, erzählt Wilms – in einem Sendung-mit-der-Maus-Tonfall, der anfangs
recht lustig ist, auf Dauer aber monoton. Öfters ist sein Sohn zu sehen,
dem er irgend etwas erklärt, der das
aber nie begreift. Immer ist Wilms zu sehen, wie er originelle Typen originelle
Sachen sagen lässt. Von Interviews kann keine Rede sein, denn Wilms will
nichts genauer wissen. Und so erfährt man auch nicht, dass die liebenswerte
Style-Punk-Prol-Nudel Frank Schäfer vermutlich nur deshalb als Visagist
beim DDR-Fernsehen landete, weil sein Vater Gerd E. Schäfer heißt,
eine Art Willy Millowitsch der DDR. Oder dass der Untergrund-Fotograf Robert
Paris der Sohn der berühmten Fotografin Helga Paris ist, obwohl Helga Paris
kurz im Film zu sehen ist.
Robert Paris ist heute zum Islam konvertiert,
weil ihm diese Religion die Möglichkeit gibt, sein Vorleben »auszulöschen«.
Der Vorsatz, ins Paradies zu gelangen, reiche völlig. Er sagt, dass er
in der DDR immer gerne in alte unrenovierte Häuser fotografieren gegangen
sei, weil man dort imaginäre Zeitreisen unternehmen konnte, gewissermaßen
verreisen ohne sich von der Stelle zu bewegen.
Am liebsten schneidet Wilms Fotos von
damals mit denen von heute. Alles-easy-Humor wie aus der Retro-Retorte serviert
ihm das DDR-Fernsehen: Modeschauen am FKK-Strand oder vor Kühen auf der
Weide. Der angeblich erste Strip im Fernsehen ist auch zu sehen, 1982 vor barocker
Kulisse auf Schloss Moritzburg bei Dresden – eine hochherrschaftliche Dame verwandelt
sich zu Frank Schäfer mit Glatze. Heute hat er für sowas zu viele
Tattoos und Piercings.
Auch ein ehemaliger Offizier der Staatssicherheit
kommt zu Wort, in seinem ehemaligen Büro. Ebenfalls ein origineller Typ.
Er meint, der Staat hätte es gern gehabt, dass die Jugend »von sich
aus« etwas entwickelt »und nicht vom Geld gezwungen«. Aber
wenn sie »visuell auffällig« wurde, beispielsweise auf dem
Berliner Alexanderplatz, dem »touristischen Zentrum der Stadt«,
wurde sie »wegjesammelt«. Im Film sieht man die Verhaftung von Langhaarigen
auf Archivaufnahmen. Darunter blinkt neckisch eine Kamera, unter der steht »Stasi«,
als wäre man bei »Verstehen Sie Spaß«. Genauso neckisch
stapft Wilms durch die Vergangenheit anderer Leute. Egal, haha. Subkulturveteraninnen,
früher in den Modeshows »Chic, charmant und dauerhaft« oder
»Allerleirauh« aktiv. Sie sagen das, was der Stasioffizier meinte:
solange es nicht um Geld ging, war alles okay. Deshalb wäre übrigens
auch dieser Film nicht denkbar gewesen.
Zum Schluss gibt es eine Modenschau im
großen Wohnzimmer von Wilms im geleckten Prenzlauer Berg. Er tritt auf
und freut sich.
Christof Meueler
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Junge Welt vom 07.02.2009
Ein
Traum in Erdbeerfolie - Comrade Couture
Deutschland 2009 - Regie: Marco Wilms – Mitwirkende: Frank Schäfer, Sabine von Oettingen, Robert Paris, Angelika Kroker, Klaus Ehrlich, Helga Paris, Jürgen Breski, Frieda von Wild, Jürgen Hohmuth - FSK: ab 12 - Länge: 82 min. - Start: 23.4.2009
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