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Ein
Winternachtstraum
»Why must the show go on?«, fragt sich eine Off-Entertainer-Stimme alle
lieben langen Verse hindurch. Was wir sehen, ist, daß jemand auf das Ortseingangsschild
von Hope »Piss off!« gekrakelt hat, und
dann trifft uns wie ein jäher Blitz die Erkenntnis: Es gibt gar keine Alternative
zur Show, »die uns das Leben lebenswert macht«. Welche Realität
sollte das sein, und, bitte, wo? Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage
muß also lauten, daß der Sachzwang makes the show go on, jedenfalls
für alle arbeits- & utopielosen Darsteller und Schauspieler. Und weil
das so ist und weil Kenneth Branagh die Show im »Winternachtstraum«
mit einer prima Riege sitcomprominenter Bühnen- und TV-Stars produziert,
wobei Joan Collins (»Denver«) nicht der schlechteste ist, läßt
sich der Film als zuverlässig wirkendes Antidepressivum benutzen. Heiterkeit!
Geborgenheit! Sind wir denn nicht eine Familie? Haben wir nicht unseren Spaß?
Übrigens handelt es sich bei der
Spaßshow um das eher schwergewichtige Theaterstück »Hamlet«
vom übergroßen Shakespeare. Die Truppe, in der tristen Realität
hoffnungs- und aussichtslos, flüchtet sich angesichts von Frust und Depression
in eine schier unglaubliche Theaterproduktion. Joan Collins, das einwandfreie
Nichtmehrbiest, verleiht Geld, das knapp für eine Billiginszenierung reicht
– vorausgesetzt, es sind weder Gagen zu zahlen noch Miete für ein richtiges
Theater. Geprobt, gelebt und gespielt wird im leerstehenden St. Peter’s Convent
in Piss-off-Hope (Surrey). Premiere: Heilig Abend. Was ist, wenn kein Zuschauer
ins Kloster kommt? Egal! Die Requisite setzt Pappkameraden auf die Stühle.
Die hl. Schauspielerfamilie ist autark und das gute Ende der fröhlichen,
aber auch leicht religiös gefärbten Komödiantenkameraderie vorprogrammiert.
Aber wir wissen das schon seit »Peter’s Friends«.
Branagh erdrückt im »Winternachtstraum«
schon deswegen nicht durch seine schiere Gegenwart, weil er gar nicht mitspielt.
Er führt Regie, und das ist klasse. Dem Thema entsprechend läßt
er uns an einer ausgesprochenen Billigproduktion teilhaben, und das noch in
schwarzweiß, dem Stoff, aus dem die Märchen sind. »Es ist wie
wenn man Mickey Rooney und Judy Garland auf dem Bildschirm sieht, wie sie als
35jährige Personen spielen, die gerade einmal 16 sind« (Branagh).
– Im »Winternachtsmärchen« finden Personen, die keine Ahnung
haben, wie man schlimme Realität analysieren und richtige Antworten finden
muß, die nächstliegende und allzumal lustige Lösung: sogleich
und das nachdrücklich etwas tun, z.B. das leerstehende Kloster in Beschlag
nehmen. Ich weiß, das ist der zweite Schritt vor dem ersten usw., aber
sagen Sie das mal dieser Truppe, die sich gegenseitig aus der Klemme hilft,
ein Show-Kommando sozusagen, schräg und campmäßig drauf: Wir
tun, weil wir das brauchen, und will die Welt uns nicht, was schert uns die
Welt.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 01/1996
Ein
Winternachtstraum
IN
THE BLEAK MIDWINTER
England
- 1994 - 98 min. – schwarzweiß - Verleih: Concorde-CR/Turner - Erstaufführung:
21.12.1995/11.12.1997 premiere - Produktionsfirma: Castle Rock/Turner - Produktion:
David Barron, Iona Price, Tamar Thomas
Regie:
Kenneth Branagh
Buch:
Kenneth Branagh
Kamera:
Roger Lanser
Musik:
Jimmy Yuill
Schnitt:
Neil Farrell
Darsteller:
Michael
Maloney (Joe Harper)
Joan
Collins (Margaretta D'Arcy)
Julia
Sawalha (Nina Raymond)
Richard
Briers (Henry Wakefield)
John
Sessions (Terry Du Bois)
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