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Elektrokohle
(Von Wegen)
Es begab sich zu jener Zeit, als die Mauer
fiel und der Schießbefehl für die Grenztruppen der DDR offiziell
aufgehoben wurde, dass die Westberliner Band Einstürzende Neubauten zu
einem Konzert in den Osten der Stadt aufbrach. Man schrieb den 21. Dezember
1989, und noch galt es, dabei Staatsgrenzen zu überschreiten. Beschwerlich
war die Reise; erst mit erheblicher Verspätung gelangte die Band zum geplanten
Auftrittsort: dem Kultursaal „Wilhelm Pieck“ des VEB Elektrokohle. Für
die Subkultur der DDR war dieses Konzert, so wird erzählt, ein Ereignis
ersten Ranges – ein Glücksfall für eine Band, die im Westen (wo gerade
die „Hamburger Schule“ erste Blüten trieb) längst schon zum alten
Eisen zählte und gerade von den bürgerlichen Feuilletons entdeckt
wurde. Andererseits – just 1989 veröffentlichte die Band mit „Haus der
Lüge“ das letzte Album ihrer heroischen Phase – sehen Band und Sänger
Blixa Bargeld in diesem Film längst noch nicht so feist und dandyhaft wie
heute aus, sondern eher wie Kellerkinder des Westberliner Undergrounds.
Dass man die Band von West nach Ost begleiten
kann, liegt daran, dass Filmemacher Uli M. Schueppel, der bereits 1987 mit seinem
Film „Nihil oder alle Zeit der Welt“ am Mythos der „Neubauten“ gestrickt hatte,
seinerzeit mit in den Tourbus steigen durfte und die Band bei der Anreise, Backstage
und schließlich auch beim Konzert filmte. Dabei ist schönes Material
produziert worden. Es zeigt eine Band, die sich vor laufender Kamera hübsch
aufplustert, viele ziemlich dumme und einige kluge Sprüche produziert und
noch so ganz und gar nicht souverän agiert. Selbst Blixa Bargeld wirkt
leicht unsicher, solange er nicht auf der Bühne steht. Allerdings bieten
die historischen Touraufzeichnungen kaum genug Material für einen abendfüllenden
Film, weshalb Schueppel auf die Idee kam, Augenzeugen des einstigen Konzertereignisses
zu befragen – und zwar durchaus aus heutiger Perspektive. Die Resultate dieser
Befragung sind vielgestaltig: die Bedeutung der Neubauten für ihre damaligen
Fans ist noch immer sehr präsent. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen
Krise der Pop-Musik wird noch einmal das Hohelied von der existenziellen, politisch
subversiven und im Wortsinne lebensbauenden Qualität dieser Musik gesungen.
Aber es gibt auch leichte Irritationen, die der Film vielleicht etwas prägnanter
hätte thematisieren können, wäre er nicht etwas zu sehr gefangen
in seiner Neubauten-Nostalgie. So erzählt einer der Interview-Partner von
einer seltsamen Erfahrung von Ungleichzeitigkeit bei der Begegnung mit der Band:
„Man hat diese Fremdheit gespürt, die ja auch definitiv eine Da-Seiende
war. Eine Fremdheit innerhalb einer Subkultur, einer Ästhetik, die man
meinte, zu teilen, die einem aber entweder schon enteilt war oder die man nie
so geteilt hat, weil man in anderen Wahrnehmungen unterwegs war. Dass die da
schon ein ganz anderes Reservoir zur Verfügung hatten und man im Grunde
genommen auf eigenartige Weise old fashioned war. Das hat man vielleicht gespürt.“
Vom Alltag in der DDR erfährt man dagegen bestenfalls noch ein paar Sarkasmen
wie „Hier riecht es noch nach Kulturbüro!“ oder „Wer war denn eigentlich
Wilhelm Pieck?“
Interessanter ist die Wiederbegegnung
mit dem damaligen Veranstaltungsort: Wo einst das „letzte Biest am Himmel“ beschworen
wurde, machen sich heute Trödel und Nagelstudios breit. Für den Clou
des Konzerts und auch des Films sorgt der Zufall in Gestalt Heiner Müllers,
der seinerzeit bereits mit Bargeld befreundet war, aber gleichzeitig Verpflichtungen
im Rahmen eines Staatsbesuchs von François Mitterrand wahrnehmen musste.
Müller wollte das Konzert besuchen, einige französische Politiker
schlossen sich spontan an; mit „Alienauftritt“ ist die entstandene Situation
zutreffend beschrieben. Hinter der Bühne hatte man sich wenig zu sagen,
aber man staunt, wie wohl erzogen sich die Musiker im Angesicht der Macht zu
betragen wissen. Noch mehr staunt man, mit welcher Souveränität und
Chuzpe Heiner Müller den Auftritt der Neubauten nutzt, um sich selbst ins
Rampenlicht zu setzen. Nach einem billigen Stalin-Witz überlässt er
das Publikum dem erwartbaren Klanggewitter und der epigonal-expressionistischen
Lyrik von Bargeld & Co. „Keine Feier ohne Müller“, könnte man
denken, wenn man diese Bilder sieht und sich zu fragen beginnt, wer hier wohl
gerade wen warum für welche Zwecke instrumentalisiert – und wie bedeutsam
die Musik der Neubauten in diesem Spiel wohl ist.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Elektrokohle
(Von Wegen)
Deutschland 2009 - Regie: Uli M Schueppel – Mitwirkende: Blixa Bargeld, Alexander Hacke, FM Einheit, Mark Chung, Andrew Unruh, Alexander Pehlemann, Claus Löser, Heiner Müller, Jack Lang - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 91 min. - Start: 28.5.2009
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