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Auf
die Liebe - Éloge
de l´amour
Schwere Kunstfilmkost von Meister Jean-Luc
Godard: ein Gedicht, keine Erzählung, großes Kino über Erinnerung
und Film.
Seit sich Jean-Luc Godard vom Vorreiter
der Nouvelle Vague zum Kunstfilmpartisanen eines eklektischen, sperrigen und
nur mehr marginal wahrgenommen Kinos gemacht hat (was allerdings ohnehin in
seinem Frühwerk angelegt war und für die Cinephilen noch immer von
höchster Bedeutung ist), finden seine Filme – so sie keine Stars haben
– schon längst keinen Verleih mehr in Österreich (und, eigentlich,
in fast allen Ländern außer Frankreich nicht). Ein dickes Lob zuerst
einmal ans Stadtkino dafür, dass es gewagt hat, auf diesen mutigen, schwierigen
Film zu setzen: Selbst ein eingefleischter Godardist wie ich hat zwei Begegnungen
mit dieser lyrischen Elegie gebraucht, um ihre Größe zu erkennen.
Geholfen hat dabei, dass ich dazwischen sein Frühwerk Eine
verheiratete Frau kennen
lernte, das (unter anderem) mit den Methoden der Werbung abrechnet. Hier wie
dort wird in makellosem Schwarzweiß eine Ästhetik des schönen
Bilds propagiert, die auch der Werbeindustrie genehm wäre, in beiden Fällen
erzählen die Bilder aber nicht vom Wunsch (den die Werbung weckt), sondern
vom Verlust: Vom Verlust der Erinnerung (Anspielungen an die nicht blütenweiße
Weste der Resistance kollidieren mit dem Ausverkauf eines Drehbuchs über
den Widerstand nach Hollywood), vom Verlust des Kinos als Film (Pickpocket
von Robert Bresson neben The
Matrix), vom Verlust
der Unschuld und vom Verlust der Illusionen – der Plot, beziehungsweise die
Fragmente davon, die durchs assoziative Handlungsgerüst treiben, erzählt
von einem Mann, der nicht weiß, ob er sein Projekt als Film, Buch oder
gar als Oper anlegen soll. Am Ende von Éloge
de l´amour weiß
er es übrigens noch immer nicht: Soweit der Service für all jene,
die das nichtlineare Kino nicht aushalten und sich um zwei Wunder bringen, die
Godard, den Schelm, wie Godard, den Künstler, ausweisen: Letzterer schaltet,
als die Handlung in die Vergangenheit zurückgeht, kurzerhand von Schwarzweiß
auf farblich zum Exzess übersättigtes Videomaterial, was die größte
visuelle Sensation des letzten Jahres ist (es übertrifft sogar die eindrucksvollen
Computereffekte von Herr
der Ringe: Die Gefährten:
Godards Filme kommunizieren ihre Themen immer wieder in die Kino-Realität
weiter). Ersterer ergeht sich dann in langen Hasstiraden gegen Amerika und das
amerikanische Kino: Schindlers
Liste wird für die
Schönfärbung des Holocaust heftig attackiert, den USA die Identität
abgesprochen. Beides polemisch überspitzt und deswegen genauso interessant
für seinen Übertreibungscharakter wie für die Wahrheit, die darin
zu finden ist. “Ich würde lieber Godard mit sich selbst reden hören,
als Spielberg zur ganzen Welt“, meinte Jonathan Rosenbaum einmal in ähnlichem
Tonfall, um ein Dilemma auf den Punkt zu bringen: Godards Kino ist insofern
das Gegenteil von Spielbergs, als es zum Denken zwingt (sein Zuschauerschwund
hat vor allem damit zu tun): Hier erklärt er sehr schön seine Ästhetik
in einem wiederkehrenden Satz: “Man kann nur denken, wenn man an etwas anderes
denkt.” Zwei Bilder ergeben bei Godard immer ein Drittes, Verbindendes: Darum
ist er ewig, weil er mit wenig Material, aufs Wesentliche beschränkt, unendlich
lange weitersuchen kann. (Alleine 4 Bilder ergäben 24 Kombinationsmöglichkeiten.)
Abgesehen davon ist Éloge
de l’amour übrigens,
wie der Titel schon sagt, auch ein wunderbarer
Film über die Liebe.
Christoph
Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
in www.allesfilm.com
Éloge
de l'amour
Frankreich,
Schweiz 2001
Regie:
Jean-Luc Godard
Buch:
Jean-Luc Godard
Produktion:
Alain Sarde, Ruth Waldburger
Kamera:
Julien Hirsch, Christophe Pollock
Schnitt:
Raphaëlle Urtin
Besetzung:
Bruno Putzulu, Cecile Camp, Jean Davy, Françoise Verny, Audrey Klebaner,
Jérémie Lippmann, Claude Baignières, Rémo Forlani,
Mark Hunter, Jean Lacouture, Philippe Lyrette, Bruno Mesrine, Djéloul
Beghoura, Violeta Ferrer, Valérie Ortlieb, Serge Spira, Stéphanie
Jaubert, Jean-Henri Roger, Lemmy Constantine, William Doherty
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