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Engel
mit schmutzigen Flügeln
Es
ist erstaunlich, dass es solche Filme neben den mittelprächtig ausgestatteten,
gut gemeinten Hochschul-Abschlussfilmen noch gibt. „Engel mit schmutzigen Flügeln“
ist Low-Budget-Trash, ein pseudophilosophischer Soft-Porno, dem man ansieht,
dass sich die Macher ihr Werk vom Mund abgespart haben. Dass die Mitwirkenden
in Roland Rebers Filmen stets mehrere Funktionen vor und hinter der Kamera bekleiden,
dürfte Ausdruck der zur Verfügung stehenden Mittel sein, wird allerdings
intern als gruppendynamische Originalität charakterisiert.
Gabriela
und Michaela sind Engel im Exil, die eines ganz genau wissen: „Ohne Liebe sind
wir nur leere Hüllen in einer leeren Welt.“ Weil das so ist, fahren sie
viel Motorrad, mal auf offenbar gesperrten Autobahnteilstücken, mal in
weitgehend menschenleerer Natur, mal in aufgegebenen Bundeswehrkasernen. Auch
Lucy würde gern dazu gehören, aber erst muss sie beweisen, dass sie
dazu taugt. „Sei, was du bist, erst dann bist du eine von uns!“, lautet die
Ansage. Lucy hat aber genau damit ein Problem. Sie lebt zwar promisk, verkleidet
ihre Geilheit jedoch als Liebe, um den Männern zu gefallen. Die Engel aber
wissen: „Wer gefallen will, ist schon gefallen!“ Immer wieder sucht Lucy beim
ausführlich gezeigten Sex das Gespräch, um formelhaft ihr Handeln
zu begründen und Verliebtheit vorzuschützen. Dies aber wird ihr von
den Engeln vorgehalten, zeige sich doch hierin ein Rekurs auf die Moral, der
konsequent zu negieren sei: „Moral ist die Entschuldigung all derer, die sich
nicht trauen, ihre Wahrheit zu leben.“ Ausgesprochen werden derlei Reflexionen
in theaterhaft-statischer Inszenierung, weshalb die Dialoge in irritierende
Spannung zu den Motorrad- und Sex-Szenen geraten, die mit einem Wust unterschiedlicher
„Gebrauchsmuzak“ zugeschmiert werden.
Man
kann auch sagen: Trotz seiner eher knappen Länge spielt Rebers Film erstaunlich
unverblümt auf Zeit. Abgesehen von den philosophischen Sentenzen wurde
bei den Dreharbeiten offenbar viel improvisiert, was immerhin einen schönen
Auftritt der Rocker vom „Racing Club Bavaria“ zur Folge hat. Auch bei dieser
Begegnung, die (fast) dokumentarisch erscheint, das alte Bild: Während
sich Gabriela und Michaela mit den Männern unterhalten, was zu kulturkritischen
Statements und tiefen Einsichten in Männer-Leidenschaften („Die Harley
ist ein Mythos!“) führt, hat Lucy, die nach eigener Ansicht zu der Generation
gehört, die sich ihre Gefühle nur leiht, im Nebenraum wieder einmal
Sex. Aber weil Lucy nach langer Selbstreflexion zur elementaren Einsicht gelangt:
„Hauptsache leben! Was immer das heißen mag!“, findet der Film sogar sein
Happy End. Lucy gehört jetzt dazu, wird zum Engel mit schmutzigen Flügeln.
Dass
es dem Film nicht gelingt, seine widersprüchlichen Interessen – hier philosophische
Reflexionen über Gott und Moral, da der Körper der Hauptdarstellerin
Antje Nikola Mönning – in einen auch rhythmisch stimmigen filmischen Diskurs
zu montieren, mag man verzeihen; dass er selbst aber den kleinen Schritt ins
offen Pornografische auf abenteuerliche Weise scheut, wäre als Kotau vor
der inkriminierten Moral zu werten. Der Besetzungscoup, eine TV-Soap-Nonnen-Darstellerin
(„Um Himmels Willen“) ins Soft-Porno-Ambiente zu verpflanzen und den Film mittels
der Bildzeitung zu skandalisieren, nötigt einigen Respekt ab.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: film-Dienst
Engel
mit schmutzigen Flügeln
Deutschland 2009 - Regie: Roland Reber - Darsteller: Antje Nikola Mönning, Mira Gittner, Marina Anna Eich, Maren Scholz, Martin Kagerer - Länge: 86 min. - Dt. Start: 4.3.2010
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