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Familienfieber
Was die Routine mit Paaren macht, sieht man schon in der ersten Einstellung
von Nico Sommers bittersüßer Familienaufstellung. Während der
Mann morgens im Badezimmer die Klospülung ignoriert und schon unter der
Dusche seine Lästermonologe startet, rollt die Frau nur angeekelt mit den
Augen und wundert sich über die eigene, bereits 20 Jahre währende
Leidensfähigkeit. Kein Wunder, dass sie den ziellosen Plakatkleber jeden
Freitag mit ihrem Chef betrügt, über den sie kaum etwas weiß.
Sie verdient den größeren Geldanteil. Er putzt, kocht,
isst übermäßig und spielt den Hausdrachen. Am Tisch geht das
Elend weiter. Die 17-jährige Tochter ist mit ihrem Smartphone verwachsen,
was den Vater in Rage bringt. Der Austausch unter den Generationen klemmt gewaltig,
wenn da nicht die Einladung aufs Land wäre, die den immer gleichen Tagesablauf
einer zur Zweckgemeinschaft geschrumpften Zweisamkeit durcheinander bringt.
Der zwei Jahre ältere Freund der Tochter wünscht sich, dass ihre Eltern
aus Berlin zum Essen aufs Land nach Brandenburg kommen. Sie sollen seine Erzeuger
kennenlernen, schließlich gilt es, den sich anbahnenden Nachwuchs anzukündigen.
Dass dieser eigentlich wenig spektakuläre Prolog auf Anhieb fesselt,
liegt an den vielen treffenden Alltagsbeobachtungen, Charakterdetails und fein
platzierten Pointen, die sich zu einer humorvoll entspannten Abrechnung mit
den Tücken der Langzeitbeziehungen steigern. Die Luft ist zwar längst
raus, aber ein Neuanfang scheint in den Augen der Mittvierziger das größere
Übel zu sein.
Konfrontation mit dem Leben Anderer könnte allerdings nicht schmerzhafter
ausfallen, als es sie mit ihrem defekten Kombi lustlos in die Provinz verschlägt.
Das scheinbar perfekte Elternpaar des Freundes weilt in einem malerischen Schlösschen,
das an Filmcrews vermietet wird, um den Hauskredit zu finanzieren.
Richtig in Fahrt kommt das atmosphärisch fotografierte und von den Darstellern
mit liebevoller Authentizität getragene Drama, als sich herausstellt, dass
der kumpelhaft auftretende Schlossherr jener Liebhaber ist, der in der Arbeitszeit
mit der Berliner Mutter nach der erlahmten Leidenschaft früherer Tage fahndet.
Auch seine Ehe ist nicht mehr das, was sie zu sein vorgibt. Der Sex findet seit
Jahren nicht statt, die Frau fühlt sich vernachlässigt und verliert
zunehmend den Bezug zu ihrem mundfaulen Partner.
Nico Sommer, Jahrgang 1983, strukturiert die Handlung durch eingeblendete Kapitel mit Titeln wie „Fieber“ oder „Chance“. Damit die Paare ihrer frustrierenden Situation nicht mehr entgehen können, lässt das Drehbuch den Wagen streiken, so dass der Aufenthalt länger als geplant ausfällt. Man spricht, trinkt, prügelt sich, interviewt sich vor laufender Kamera und wechselt die Fronten wie in einer jener französischen Landkomödien, in die dem Abbau von angestauten Emotionen freien Lauf lassen. Die Betrogenen solidarisieren sich, während die Betrügenden den Menschen hinter dem kurzweiligen Seitensprung kennenlernen und jetzt erst zu schätzen wissen, was sie an ihrem so langweilig gewordenen Gegenüber hatten. Eine sommerlich leichte Tragikomödie mit Tiefsinn, die auf Kommunikation setzt statt auf die Zementierung von Gleichgültigkeit. Lügen und Geheimnisse made in Germany.
Alexandra Wach
Dieser Text ist zuerst erschienen in: filmdienst 1/2015
Familienfieber
Deutschland 2014 - Produktionsfirma: süsssauer Filmprod./Traumfängerfilm
- Regie: Nico Sommer - Produktion: Nico Sommer, Bernhard Strubel - Buch: Daniel
Fink - Kamera: Eugen Gritschneder - Schnitt: Bernhard Strubel - Darsteller:
Kathrin Waligura (Maja), Peter Trabner (Uwe), Deborah Kaufmann (BIrgit), Jörg
Witte (Stefan), Anais Urban (Alina), Jan Amazigh Sid (Nico) - Erstaufführung:
15.1.2015 - Länge:
77 Minuten - FSK: ab 0; f - Verleih: daredo media
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