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Die
fast vergessene Welt
In
"Die fast vergessene Welt" führen die Hollywood-Komiker Will
Ferrell und Danny McBride vor, wie man sauteuer animierten Dinosauriern mit
Albernheit beikommt.
Ein
Zweikampf: Mensch gegen Dinosaurier. David gegen Goliath. Großes Tier
gegen Gernegroß. Will Ferrell ist Rick Marshall und nimmt, einen langen
Stecken in der Hand, Anlauf, setzt an zum klassischen Stabhochsprung. Er hebt
ab, liegt horizontal in der Luft und fliegt Beine voran pfeilgrad ins Maul des
digital animierten T-Rex. Der verschluckt den Helden und rülpst und stapft
zufrieden davon. Wir nehmen uns einen Moment Zeit für Erwägungen zur
Gattungstheorie: Wenn David siegt, ist's ein Heldenepos. Wenn Goliath siegt:
eine Tragödie. Aber da kehrt der Dinosaurier zurück, Will Ferrell
reitet ihn obenauf. Ergo: Wenn der verschluckte Held vom Dinosaurier ausgeschissen
wird und damit dessen Verstopfung kuriert und so des Dinosauriers ewiger Dankbarkeit
sicher ist: dann muss es eine Will-Ferrell-Komödie sein. Da gehen die Komik
und die Liebe durch den Darm.
Die
heitere Verwirrung, mit der man als Betrachter durch den unbedingt liebenswerten
"Die fast vergessene Welt" taumelt, ist eine Genre-Verwirrung. Zugrunde
liegt dem Film, was man zum Genuss nicht einmal unbedingt wissen muss, eine
sehr erfolgreiche, in erster Linie für Kinder konzipierte US-Fernsehserie
gleichen Titels. Ein Wissenschaftler gerät darin mit Frau und Kind durch
ein Zeitloch in eine andere Welt mit seltsamen Wesen. Dinosaurier, Affenartige,
Sleestacks (echsig, böse). SciFi-Autoren von Format (Norman Spinrad, Theodore
Sturgeon etc.) haben einzelne Episoden für die Anfang der Siebziger entstandene
Serie geschrieben. In den Neunzigern gab's ein TV-Remake. Und nun das.
Krieg
der Welten. Science Fiction aus guter Kinderstube sieht sich mit zwei der seltsamsten
Typen der jüngeren Hollywood-Komödie konfrontiert: Will Ferrell und
Danny McBride. Der eine ein Mann wie kein Baum, der andere auch. Dicklich sind
sie, die Anmutung alles Heldischen liegt ihren Körpern, die das Gegenteil
alles Durchtrainierten sind, denkbar fern. Daraus schlagen sie Kapital. Wir
haben Will Ferrell schon als Rennfahrer und als Eiskunstläufer reüssieren
gesehen. Hier nun ist er ein Wissenschaftler, vielleicht ein Spinner, vielleicht
ein Genie. Mit seiner Wurmlocherfindung steuert er sich und einen etwas tumben
Troglodyten (McBride) und eine im Original mit heftigem Cockney-Akzent englisch
sprechende Verehrerin aus Cambridge (Anna Friel) ins Dinosaurierland vor oder
neben unserer Zeit.
Im
Dinosaurierland allerdings gibt's nicht nur den T-Rex und die Sleestacks, sondern
auch amerikanisches Gegenwartsgerümpel aller Art. Wie Pop-Art stecken Autos
im Wüstensand und haben dort nichts verloren. Ein Imbiss-Bus, der mir nichts
dir nichts aus dem Himmel fällt, wird mitsamt Verkäufer von Dinosauriern
gründlich zerlegt. Mit Erklärungen für das, was man sieht, geht
der Film durchweg sparsam um. Der Ernst, mit dem in seriöser Science-Fiction
pseudowissenschaftliches Brimborium präsentiert wird, tritt hier dennoch
auf: als komischer Verfremdungseffekt.
Trotz
Verfremdung wird einem beim Zusehen niemals ganz anders. "Die fast vergessene
Welt" muss man sich vorstellen wie einen "Jurassic
Park",
bei dem sich im Bernstein unglücklicherweise die Gene von Steven Spielberg
und der Comedy-Show "Saturday Night Live" gemischt haben. Oder glücklicherweise,
denn es ist ja ein Spaß, wenn auch ein bizarrer, der dabei hinten rauskommt.
Die Helden erleben Abenteuer, wie man sie in Abenteuerfilmen erlebt. Sie werden
von Sleestacks bedroht, sie jagen der verloren gegangenen Wurmlochmaschine hinterher.
Nur wird sich zugleich über die Tunika lustig gemacht, die der Ober-Sleestack
trägt. Und die Wurmlochmaschine spielt immerzu Musik aus "A Chorus
Line". Dazwischen werden, in grotesken Komödienmomenten erhabener
Selbstverkennung, One-Liner der Will-Ferrell-Figur gestreut. Und Danny McBride
setzt lakonisch noch einen drauf.
Komische
Kontraste, wohin man sieht. Und hört - denn der Soundtrack, auf dem sich
ein offenbar komplett durchgeknalltes Orchester besinnungslos durch alle einschlägigen
Pathosformeln spielt, ist eine Schau für sich. Und doch ist das alles nicht
einfach die handelsübliche Parodie, die aus der Übertreibung des sofort
als üblich Erkannten ihre meist völlig vorhersehbaren Effekte zieht.
Eher muss man auf den Wortsinn zurück. "Parodie" (griech. "Gegenlied")
bezieht sich klassisch auf den Heldengesang (griech. "Rhapsodie";
eigentlich: das aus Episoden zusammengenähte Lied), indem sie ihn unterbricht.
Das Ernste wird so, in seiner Unterbrechung, mit derselben Geschichte in anderer
Tonart konfrontiert. "Die fast vergessene Welt" ist nun der seltsame
Fall eines Films, in dem Rhapsodie und Parodie sozusagen gleichzeitig gesungen
werden. Aufwendig animierte Dinosaurier-Eier, die zerspringen. Und dazu spielt
die Wurmlochmaschine einen Song aus "A Chorus Line".
So
gibt es hier zwar den Aufwand der Science-Fiction- und Abenteuergeschichte mit
allem Drum und Dran. Dieser Aufwand aber wird im selben Moment durch größtmögliche
Vulgarität und/oder Albernheit immer schon völlig entwertet. Komisch
ist so nicht nur das Komische, sondern - aber eben auf seltsam verwirrende Weise
- vor allem die Gleichzeitigkeit des Erhabenen und dessen, was in wirklich jeder
Hinsicht mit dem Erhabenen kontrastiert. Das Ergebnis: Der Film ist naiv und
sentimentalisch zugleich. Er funktioniert, obwohl er das Funktionieren immerzu
unterläuft. Oder auch umgekehrt: Er funktioniert nicht, obwohl er es an
nichts, was ein Abenteuerfilm zum Funktionieren braucht, fehlen lässt.
Oder, bewusst paradox formuliert: Er funktioniert und funktioniert zugleich
nicht. Aufwand und Ertrag stehen, mit einem Wort, in einem wirklich merkwürdigen
Verhältnis.
"Die
fast vergessene Welt" ist so einerseits die Antwort auf eine Frage, die
mit eigentlich gutem Grund keiner gestellt hat: Was passiert eigentlich, wenn
man einen in jeder Hinsicht billigen Saturday-Night-Live-Sketch zur Abwechslung
einmal wahnsinnig aufwendig ausstattet? Dafür, sagen wir, an die hundert
Millionen Dollar ausgibt? Will Ferrell und ein "echter" Digitaldinosaurier?
Danny McBride und ein liebevoll animierter Science-Fiction-Planet? Wäre
das nicht an sich schon sehr komisch? Nach Ansicht des Films kann man sagen:
Ja, widersinnige Idee, aber gerade in ihrer Frivolität lustig.
Andererseits
ist der Film, anders als die üblichen systemstabilisierenden Parodien,
durchaus subversiv. Denn der Widersinn lässt sich, wie man es wendet und
dreht, einfach nicht tilgen. Am ehesten ähnelt das Ganze einem der schlimmsten
Flops der Hollywood-Komödien-Geschichte, dem bis heute komplett unterschätzten
"Ishtar", der Elaine Mays Karriere als Regisseurin ein Ende gesetzt
hat. Ein Desaster dieses Ausmaßes war "Die fast vergessene Welt"
an den Kassen nicht. Aber doch ein veritabler Misserfolg. Vielleicht - neben
dem Flop von Judd Apatows großartigem "Funny People" ("Wie
das Leben so spielt") - aber doch der Hinweis darauf, dass sich das jüngste
Goldene Zeitalter der US-Komödie langsam seinem Ende zuneigt.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Die
fast vergessene Welt
USA
2009 - Originaltitel: Land of the Lost - Regie: Brad Silberling - Darsteller:
Will Ferrell, Danny McBride, Anna Friel, Jorma Taccone, Eve Mauro, Michael Papajohn,
Pollyanna McIntosh, John Boylan, Mousa Kraish, Kristina Krofft - Länge:
95 min. - Start: 1.10.2009
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