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Fast verheiratet
Eine materialistische Hollywoodkomödie
Immer wieder blendet dieser Film, auch mal zu Van Morrison-Klängen,
zurück zum Magic Moment eines Kostümfests zu Silvester, bei dem Tom
und Victoria zusammenkamen: er im Bunny-Plüschanzug, sie im Lady Di-Look.
Im jahrelangen Verlauf ihrer Beziehung erweist sich: Sie ist ungleich klüger
als Lady Di, er aber wird immer flauschiger, lässt Haar und Bart sprießen,
trägt gar wieder den Bunnyplüsch als praktischen Hausanzug, braut
zuhause seinen eigenen Met und regrediert generell ins Ungustiöse.
Ein Prozess jahrelangen Verfalls nach einem doch irgendwie guten Start ins Glück
beginnt, als Victoria eine Psychologie-Postdoc-Stelle an der Universität
Michigan annimmt und Tom mit ihr in den kalten Norden zieht, wobei er seinen
Seafoodchefkochtraumjob in San Francisco gegen einen Posten in der örtlichen,
nun ja: Sandwichbelegschaft eintauscht. Und während rundum Großeltern
sterben, Eltern meckern, Schwestern gebären und im Inneren Beziehungskrisen
knistern, schieben die beiden ihre Hochzeit immer wieder auf: Sie sind "Fast
verheiratet" im "Five-Year Engagament" (so der Originaltitel
des Films).
Am Ende aber lernen sie, dass all das Hinauszögern nix bringt: Das halb
paralysierte, halb hyperaktive Warten auf den perfekten Zeitpunkt zur Jawort-Entscheidung
füreinander - wo doch schon der alles entscheidende Beginnmoment nicht
perfekt, sondern hasenhaft-hatschert war -, das ist die depressive Verendlosigung
einer Nicht-Haltung des Alles-Offenlassens. Jene gesellschaftlichen Verhältnisse,
die (über alle Individualpsychologie hinaus) den Leuten genau dies abverlangen
- nämlich sich eben nur ja nicht festzulegen und sich dabei dem ständigen
Imperativ der Perfektionierung dessen, was du bist und tust, zu unterziehen
-, nennen die einen euphemistisch Flexibilisierung, die anderen nennen das kritischer
Neoliberalismus oder Kontrollgesellschaft. Es läuft aufs selbe hinaus:
auf den antrainierten Habitus eines Alltagshandelns, das sich immer relativiert,
weil es allzuvieles mitzubedenken trachtet. Von solchem ins Zwangsreflexive
freigesetzten Lifestyle hat etwa Maren Ades Film "Alle anderen" 2009 ein sehr direktes Bild, ein (Deleuze'sches)
Zeitbild nahezu, entworfen, und auch "Fast verheiratet"
zielt auf ein direktes Bild von Zeit, von sozial erlebter Zeit, die vergeht,
nagt, sich als Erinnerung erhält, Egos spaltet: Wenn etwa Viktoria und
ihre Schwester über das Elend von Elternschaft jammern wollen, während
Schwesters Kinder dabei sind, müssen die beiden ihr verbittertes Gespräch
aus Rücksicht auf die unschuldig glotzenden Kleinen als quakendes Reenactment
eines Sesamstraße-Dialogs tarnen.
(Kleiner Exkurs) Solche Dialoge, denen unter dem und durch den Blick einer ahnungslosen
dritten Instanz eine - oft lustig anmutende - Deformation auferlegt wird, kennen
wir ja markenzeichenhaft aus komödiantischen Momenten klassischer Hitchcock-Thriller;
etwa wenn in "The Man Who Knew Too Much" Doris Day und James Stewart ihr geheimes Gespräch
im Mittvollzug eines rund um sie stattfindenden sakralen Chorgesangs abwickeln
müssen, weil man doch grade während der Messe in einer Kirche ist;
oder wenn in "North-by-Northwest" Cary Grants Flucht vor Geheimagenten die Form
einer wortwitzig sabotierten Kunstauktion annimmt, weil der Flüchtende
sich in den institutionellen Sprachspielrahmen der Versteigerung einklinkt,
ohne dass seine Notlage dabei offenkundig würde. Diese Position des machtvollen
Dritten, der den Dialog der Einen mit den Anderen dominiert, ohne es selbst
zu merken, nehmen in der mit virtuosem Witz gespielten Szene von "Fast
verheiratet" die kleinen Kinder ein, in ihrer Funktion als verlebendigtes,
verkörpertes neoliberales Kapital. Dieses Kapital fordert, dass du es optimal
bewirtschaftest, ihm aber auch wirklich alle Chancen eröffnest, ihm auch
nicht die kleinste Kränkung (etwa durch ein mitgehörtes harsches Wort)
antust, dass du ihm gegenüber immer gutgelaunt bist, nie jammerst, immer
fähig bleibst, dein Handeln zu reflektieren und zu ironisieren. Vermittelt
über Stanley Cavells Gedanken vom zentralen Stellenwert der remarriage comedy (der Komödie der Wieder-Bekräftigung des Ehebundes)
im Hollywood-Kino, zumal in dessen Beitrag zur Formierung eines tugendhaften,
entscheidungsfreien amerikanischen Subjekts, ließe sich "Fast verheiratet"
auch in anderer Hinsicht Hitchcocks Filmen über heterosexuelle Pärchen
auf der Flucht oder auf Ermittlungsreise gegenüberstellen. Die Frage ist
jeweils, was eine Bindung garantiert, beglaubigt - der symbolisch-performative
Akt eines Jaworts oder die Erfahrung gemeinsam bestandener Abenteuer? Remarriage comedies relativieren das Jawort zugunsten der Erfahrungstests,
die es erst gültig machen, indem sie seine Bekräftigung ermöglichen
(nach all den Abenteuern merken die zwei, wie sehr sie zusammengehören);
Hitchcock und "Fast verheiratet" - und andere jüngere
US-Comedies aus dem verästelten Judd Apatow-Kreativbiotop - zeigen, wie
sich Jawort und Erfahrung ineinander auflösen, weil das Abenteuer voller
symbolischer Jawort-Momente steckt und zugleich das Symbolritual des Jawort-Gebens
selbst zur endlosen Teststrecke wird, zum Prozess intensiver Vorbereitungen,
Aufschübe, Absagen, Durchfälle und Vorabend-Dinners, der selbst abenteuerlich (und
komisch) gerät. In dieser Hinsicht knüpft "Fast verheiratet"
natürlich ganz direkt an den Vorjahrskomödienerfolg von "Bridesmaids"
an. (Ende vom Ex-, wieder auf Kurs.)
Wie auch "Bridesmaids", "Hall Pass", "Funny People",
"Forgetting Sarah Marshall - Nie wieder Sex mit der Ex", "Knocked
Up - Beim ersten Mal" und andere rezente Romantic Comedies (die vielleicht
so romantisch gar nicht sind, weil sie eben der Logik des Tests und
der Prüfung und noch der kritischen Prüfung der Prüfung folgen) ist "Fast verheiratet" ein Film, der
nicht nur zeigt, wie Leute in und aus ihrem Leben etwas lernen können,
sondern aus dem auch wir etwas fürs Leben lernen können, vielleicht
sogar für unseres. (Mainstream-Kino ist ein Ort, an dem lebenslanges Lernen Wirklichkeit wird und oft lustig ist.) (Oft natürlich
auch Scheiße.) Was lernen wir aus "Fast verheiratet"? Da ist
zunächst eine paulinische Weisheit: Es ist besser zu heiraten als zu pennen.
Also, in Paulus' Korintherbrief war von "Brennen" statt "Pennen"
die Rede, aber - you get the picture. Es geht darum, nichts unnötig lang aufzuschieben.
Vielleicht ist diese Lehre - wurstle nicht im Aufschub zugunsten des richtigen
Augenblicks herum, sondern entscheide dich, und weiterwursteln kannst du danach
ja immer noch - auch eher über die Paulus-Lektüre des kommunistischen
Ereignisphilosophen und Kinopuristen Alain Badiou zu lesen, und dann würde
sie sich als Variante einer handlungsethischen Lektion von Rosa Luxemburg erweisen:
Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist dann, wenn du endlich handelst; Perfektion
wird es nie geben. (Es ging da ums Ja zur Revolution, nicht zur Ehe, das nur
nebenbei.)
Ist also "Fast verheiratet" gar ein - wenn schon nicht kommunistischer,
so doch - materialistischer Film? Die Art, wie er Symbol-Akt und Endlostest-Abenteuer
ineinander auflöst, spricht dafür. Ebenso das Gespür für
die vielgestaltige Bedingtheit bürgerlichen Lebens - insbesondere für
Arbeitsplätze -, das der Film entfaltet: Was wir sind, ist materiell bedingt:
durch Dauerwinter oder kauzige Mitmenschen, zumal Kolleg_innen, durch die Stofflichkeit
von Kummerspeck und Designermenüs (bis hin zum nur bedingt geilen Phantasieszenario
von Sex unter Einsatz von Kartoffelsalat, in das eine kauzige Kollegin Tom hineinzwingt),
durch die sich uns auferlegende Beziehungsmaterie von Rivalitäten und Identitätszuschreibungen
auf dem multiethnischen Uni-Campus.
Zweite Lektion, die hier aber eher zwiespältig zum Tragen kommt: das Lenin'sche
Bonmot, wonach jede Köchin imstande sein muss, die Staatsmacht auszuüben.
Dazu bedarf es eines revolutionär vereinfachten Staats und einer Köchin.
Was aber, wenn wir es nicht mit einer Köchin zu tun haben, sondern mit
einer hochqualifizierten Nachwuchspsychologin - und einem verkrachten Koch?
In ihrem Postdoktorat an der Uni ist Viktoria zweifellos imstande, Macht auszuüben,
nicht direkt die der Staatsinstitution als vielmehr die gouvernementale Macht, die Führungsmacht, die durch das Wissensregime
der Universität und im besonderen durch ihre behavioristischen Psychologietests
ausgeübt und ausgeformt wird. Die Logik von Film als Lebensteststrecke
(schon Walter Benjamin wusste, dass das Kino uns in die Endlosausweitung der
Testzone einführt) und die Logik von remarriage bzw. forever delayed marriage oder multiple almost-marriage comedy, sie beide bilden sich hier noch einmal ab in den Szenen
der Befriedigungsaufschubfähigkeitstestanordnung, die sich Viktoria, ihr
arroganter walisischer Chef (und zeitweiser Lover) und sein Team ausgedacht
haben; eine "Anordnung" im Doppelsinn (Sabine Nessel), ein Machtgefüge,
das Viktoria irgendwann dann auch auf den Bartgebüsch und Bunnyplüsch
tragenden und daheim vegetierenden Tom anwendet - um mit Schrecken zu sehen,
dass ihr Endlosverlobter gleich die alten Donuts auffrisst, anstatt auf frische
zu warten, dass er also das Zweitbeste jetzt anstatt das Beste irgendwann will
(siehe Lektion Luxemburg). Auf das Ethos des Zweitbesten, das immer schon Bestes
gewesen sein wird, sofern wir es hingebungsvoll wollen, groovet sich der Film
gegen Ende ein, feiert etwa eine musikalische Glücksmontagesequenz lang,
wie Tom - zurück in San Francisco, geheilt vom ressentimentalen Festhalten
am Luxusrestaurantseafoodchefkochphantasma - seine eigene pfiffige, ganz dem
Multiethnischen zugetane Homemade-Imbissbude betreibt; und da sehen wir plötzlich
die als Psychologin zur Führungsmacht befähigte Viktoria als seine
fröhliche Kochgehilfin. Das aber kann es nicht sein! Dass es kurz einmal
- zum Glück geht der Film dann noch weiter, und die "Köchin"
dirigiert ja dann auch die ostentativ nicht-perfekt stattfindende Hochzeit -
so aussieht, als wäre alles eitel Wonne, wenn das Männlein seinen
bescheidenen Kreativarbeitertraum verwirklicht und das überqualifizierte
Weiblein, aus den Fängen angemaßter Intellektualität befreit,
sich an seiner Seite zur Familienbetriebshilfsarbeit einfindet.
Soll heißen: In genderpolitischer Hinsicht ist da noch room of improvement vorhanden, und dieser Aspekt von Apatow-Komödien
ist exemplarisch verbildlicht im Anblick von Hauptdarsteller Jason Segel. Spätestens
seit seiner markanten Nebenrolle in "Knocked Up" und exemplarisch
in "Forgetting Sarah Marshall" spielt Segel ganz aus der Sanftheit
seines babyspeckigen Riesenleibs, seiner Schmollippen und Dackelaugen, seiner
muttermalübersäten Haut heraus - was? Den Typus des Frauenverstehers
und Underachievers, der sich am Ende doch durchsetzt, und vor allem den Typus
Mann, der gelernt hat, seine nicht-souveräne, massiv affizierbare, nah
am Wasser gebaute Physis zu akzeptieren. Der Segel-Mann unterwirft die einstige
ideologisch-phallische Allmacht der Testikel dem Test der bürgerlichen
Realität und akzeptiert das Ergebnis, nimmt jene makelhafte Leiblichkeit,
die (klassischen feministischen Filmtheorien zufolge) im maskulinistischen Film-Imaginarium
das zugeschriebene Merkmal von Weiblichkeit war, bereitwillig auf sich - und
behält sich doch die Definitionsmacht vor. Das zeigt sich schon allein
daran, dass Hauptdarstellerinnen postromantischer Hollywood-Beziehungskomödien,
die ähnlich wie Segel, Chris O'Dowd in "Bridesmaids" oder Seth
Rogen in "Knocked Up", ostentativ nicht-perfekt aussehen, noch kaum
denkbar sind - die müssen schon eher wie Mila Kunis oder Katherine Heigl
daherkommen. (Der Look von Kristen Wiig in "Bridesmaids" war da mal
ein kleiner Schritt in Richtung Wirklichkeit.) (Und die Allianz zwischen Cameron
Diaz als ihre reichlichen Reize schamlos und vom Filmplot erfrischend "ungestraft"
einsetzendes Working Girl und Jason Segel als laschem Underachiever in "Bad
Teacher" sei hier, en passant, als ein Bündnis zur Leistungsterrorverweigerung
gewürdigt.)
Nun ja. Das soll nicht heißen, dass Segel in seinem Part in "Fast
verheiratet" nicht brilliert. Und auch Emily Blunt in der Rolle der zeitweiligen
Köchin, die dann doch die Geschäfte wieder in ihrer Eigenschaft als
Verhaltenssteuerungspsychologin lenken darf - wobei: In der vollentwickelten
Kontrollgesellschaft ist ohnehin das Kochen längst zur verfeinerten Verhaltenssteuerungssozialtechnik
avanciert -, auch Blunt, die in der Handlungskonstellation des Films (oder im
Swiss Air-Kund_innenmagazin) seltsamerweise als Verkörperung einer optisch-erotisch
nur zweitbesten Frau hingestellt ist, die demnächst mit "saggy
tits" herumlaufen wird (Wenn ihr Look für Nicht-ganz-so-toll-Aussehen
und drohende Hängetitten steht, dann wär ich damit schon recht zufrieden),
auch sie, let's be blunt about it, ist toll wie immer. Blunt und Segel, die beide übrigens
angenehm älter aussehen als sie sind, spielten schon in "Gullivers
Reisen" und im Muppets-Film, wie nun auch in "Fast verheiratet",
nach einem Skript bzw. in der Regie von Nicholas Stoller Seite an Seite. Lassen
wir mal die kleinen Hormonriesen aus dem Gulliver-Film weg und machen lieber
die Vergleichsperspektive mit den Muppets stark: Dann ist natürlich auch
"Fast verheiratet" ein Film, der von der Anerkennung des "No
Body Is Perfect" in Richtung - nur in Richtung! - eines musikalisierten Kommunismus des Wissens- und
Kreativprekariats weist. Auch hier ein lustiges Paar inmitten eines starken
Ensembles von Typen wie du und ich, mit etwas weniger Plüsch, aber ebensoviel
reflektiertem Charme und humanem Schmäh. (Applaus! Applaus!)
Benotung des Films:: 7/10 Punkte
Drehli Robnik
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
Fast verheiratet
OT: The Five-Year Engagement
USA 2012 - 120 min.
Regie: Nicholas Stoller
- Drehbuch: Jason Segel,
Nicholas Stoller
- Produktion: Judd Apatow,
Rodney Rothman,
Nicholas Stoller -
Kamera: Javier Aguirresarobe
- Schnitt: William Kerr
- Musik: Michael Andrews
- Verleih: Universal - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Emily Blunt,
Jason Segel,
Alison Brie,
Rhys Ifans,
Chris Pratt,
Kevin Hart,
David Paymer,
Mindy Kaling,
Dakota Johnson
Kinostart (D): 12.07.2012
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