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Fell
– Eine Liebesgeschichte
Haaraufnahme
Alles hier ist zart und sanft und weich:
die Credits, die in einen Teppich aus Haaren hineinfahren, als würde die
Kamera durch ein Fell streicheln, langsam und zärtlich; dann das Licht,
die Gesichter, selbst Carter Burwells spielerische, aber zugleich geheimnisvolle
Musik, aus schwebenden rhythmischen Motiven zusammengefügt, die den Zuhörer
führen, ohne ihn zu zerren. Schließlich erscheint Nicole Kidman,
die selten so jung und unschuldig aussah, in dicker Langhaarpelzjacke, in die
ihre wilden, braunen Haare direkt überzugehen scheinen, mit neugierigen,
staunenden Augen und einem unsicheren Lächeln – schon in den ersten fünf
Minuten ist das eine der besten Performances ihrer Karriere.
Aber das ist nur das Ende der Handlung,
das zu Beginn des Film vorweggenommen wird: Diane Arbus erscheint 1958 in einer
Nudistenkolonie und setzt dazu an, einige der berühmtesten Fotographien
des 20. Jahrhunderts zu machen, die das uniforme Hausfrauen- und Saubermänner-Image
der 1950er endgültig begraben und eine neue Ästhetik der Freiheit
und Ehrlichkeit etablieren sollten. Nach dem Sprung zum Beginn der Handlung
dann der Schock: Arbus ist eine Barbiepuppe, und sie weiß es; eine Frau
aus Stepford, sie steckt buchstäblich fest im gesellschaftlichen Korsett.
Als Assistentin ihres Modefotographen-Ehemanns und Tochter eines Kürschners
entdeckt sie bei einer Modenschau, dass das eigentlich faszinierende Motiv nicht
auf dem Laufsteg, sondern im Zuschauerraum zu suchen ist: Die Fetischisierung
der Felle, die gierige Anspannung auf den Gesichtern, das Reiben des Pelzes
gegen die Haut. Es sind die Freaks und die Fetischisten, die es ihr angetan
haben, auch wenn sie in Zukunft eher in den Leichenschauhäusern, Sexclubs
und Sideshows nach ihnen suchen wird. Und hineingezogen wird sie in diese ebenso
sinnliche wie unanständige Halbwelt durch ihren neuen Nachbarn, der dank
einer Stoffwechselstörung wie ein menschliches Haarbüschel aussieht
und von Robert Downey Jr. trotzdem subtil und sogar erotisch gespielt wird.
Hört sich interessant an? Dachten
die deutschen Kinoverleihe offenbar nicht, die diesen Film direkt als DVD verramschten.
Dabei ist Fell Steven Shainbergs lang ersehnter Nachfolgefilm
zu seinem international gefeierten Debüt Secretary. Was Shainberg hier wie dort demonstriert
und was er besser kann als sonst ein amerikanischer Filmemacher zur Zeit, das ist die Darstellung von Intimität.
Selbst in alltäglichen Situationen hört die Kamera den Figuren so
genau beim Atmen zu, zeigt ihre Aufregung und Erregung, dass man sich als Zuschauer
beinahe geniert, wie nahe man diesen Menschen und ihren innersten Wünschen
kommt. Das war schon bei Secretary so, der in Momenten der Nähe
oder der leichten Berührung zwischen zwei Menschen größere sexuelle
Spannung aufbauen konnte als andere erotische Filme in expliziten Hardcoreszenen.
Auch in Fell geht es wieder um Begierde, Sinnlichkeit, um das Spiel mit
der Lust, und dabei vor allem, wie sollte es bei einer angehenden Fotografin
anders sein, um das Sehen und das Gesehenwerden, um die Erotik des Blicks.
Der Film mag also beginnen als reine Fetischstudie
über die Erotik der Haare, wie sie im Gebläse des Föns wirbeln,
wie sie sich als Tierpelz sanft um Frauenschultern schmiegen und wie sie auch
an Beinen und Augenbrauen rüde abrasiert werden. In Wirklichkeit aber haben
wir es hier mit ganz großem erotischen Kino zu tun, trotz oder gerade
wegen all der Züchtigkeit und Psychologie. Atmung und Körperspannung
sind sehr wichtig für Shainbergs Stil, der Regisseur benötigt für
seine Stimmungen sehr präzise Schauspieler, die ohne Worte große
Gefühle kreieren können, und mit Kidman und Downey Jr. ist er da gut
bedient. Erin Cressida Wilson schrieb dafür ein wunderbar klischeefreies
Drehbuch, das Arbus’ Ehemann beispielsweise keineswegs als ignoranten Klotz,
sondern als aufmerksam und unterstützend zeigt. Außerdem sammelt
Wilson eine ganze Reihe wunderbar mehrdeutiger Symbole, die Arbus in die neue
Welt locken: Der Schlüssel im Wasserohr, das Guckloch in der Wohnungstüre;
das Schließen der Augen, das den größtmöglichen Kontrollverlust
für die Fotografin darstellt, ein Eingeständnis ihrer Ohnmacht und
ihr größter Vertrauensbeweis.
Die Themen in Diane Arbus’ künstlerischem
Werk werden in dieser stark fiktionalisierten Biographie erstaunlich gut getroffen:
Ihrem Mann erzählt sie als Ausrede, sie wolle Porträtaufnahmen ihrer
Nachbarn machen – und letztlich ist es genau das, was sie tut. Man muss nicht
lange suchen, um die Freaks zu finden, die Andersartigen und Vielseitigen, die
Transvestiten, Toten, Fetischisten, Kleinwüchsigen. Und auch wenn Fell
mit 110 Minuten vielleicht ein klein wenig zu lang geraten ist, zeigt es doch
eine faszinierende Interpretation der vielleicht berühmtesten Fotografin
des letzten Jahrhunderts: Ihr dunkles Geheimnis könnte darin bestanden
haben, dass ihre Bilder immer nur ein Nebenprodukt waren auf dem Weg dahin,
ihre Mitmenschen kennenzulernen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Fell
– Eine Liebesgeschichte
Fur.
USA 2007. R: Steven Shainberg. B:
DVD:
Warner
Home Video
Sprachen:
Deutsch, Englisch
16:9
Extras:
keine
122
Min.
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