zur startseite
zum archiv
zu den essays
Feuer bewahren - nicht Asche anbeten
Sich nie sicher sein, sich nie mit dem Status quo begnügen, immer
in Bewegung bleiben – mit diesem aus dem Off gesprochenen Credo beginnt Annette
von Wangenheims Filmporträt des in Düsseldorf und Duisburg tätigen
Ballettdirektors Martin Schläpfer hoch oben im Wolken verhangenen Tessiner
Maggiatal.
Es folgt ein kurzer Ausschnitt aus einer Choreografie Schläpfers
zu Musik von Johannes Brahms, während der Choreograf seinen künstlerischen
Ansatz eines handlungslosen Tanztheaters mit Betonung des Energetischen und
Körperlichen beschreibt. Gerahmt von Bildern zweier Choreografien – „Deep
Field“, einer Choreografie zu einer Auftragskomposition von Adriana Hölszky,
und „Alltag“, einer Choreografie von Hans van Manen für Schläpfer
als Solotänzer – wirft der Film einen Blick hinter die Kulissen des modernen
Tanztheaters, der einen ganz erstaunlichen Sog entwickelt. Man sieht die Tänzer
beim Training, während Schläpfer davon erzählt, wie wichtig die
Ausbildung des Körpers ist, um tänzerische Herausforderungen zu bewältigen.
Anschließend sieht man ihn selbst in der intensiven Arbeit mit seinem
Mentor Hans van Manen.
Man muss sich als Zuschauer auf den mitunter aufreizend sanften Duktus
von Schläpfers Reflexionen zum modernen Tanztheater einlassen, die von
Radikalität, Körperlichkeit und Sexyness der Inszenierung von Haut
und Körpern schwärmen. Doch im weiteren Verlauf weitet sich der Blick
dieser Dokumentation in beide Richtungen: Schläpfer ist kein etwas versponnener
Choreograf, sondern ein Ballettdirektor, der in Zeiten sinkender Budgets für
Kulturausgaben gleich zwei Häuser verantwortet und bespielt. Und zwar mit
einer Kompanie, die sich internationalem Format verpflichtet fühlt. Was
im arabischen Kulturraum durchaus zu Konflikten führt, wenn auf die Erotik
des Körperlichen gesetzt wird.
Wenn der Film dem vielfach ausgezeichneten Schläpfer in seine
Privatheit folgt, werden überdies auch andere Facetten seiner Persönlichkeit
sichtbar. So legt dieses vorzügliche Künstlerporträt, befördert
durch die ganz erstaunliche Nähe, die Schläpfer zulässt, Schicht
um Schicht einer widersprüchlichen, kreativen Persönlichkeit offen,
die auf mehreren Ebenen gleichzeitig verantwortlich agiert und sich dabei nie
ganz sicher ist, was das eigentlich ist: ein Künstler. Jemand, der etwas
aus seinem Inneren nach Außen trägt und das Subjektive innerhalb
dieses Prozesses soweit objektiviert, dass es das nur Persönliche übersteigt?
Ist es ein Klischee, wenn der Künstler Schläpfer die Einsamkeit der
Schweizer Berge sucht, um „die Sinnfrage zu annullieren“?
Am Ende fügen sich die unterschiedlichen Diskurse des schlichtweg in Bann schlagenden Films in der Arbeit an einer komplexen und sehr aufwändigen Auftragskomposition von Adriana Hölszky zusammen, für die Schläpfer mit seinen langjährigen Mitarbeitern und den Tänzern eindrucksvolle Bilder auf der Bühne findet. „Feuer bewahren – Nicht Asche anbeten“, ein Zitat des Komponisten Gustav Mahler, gelingt so manches: ein Künstlerporträt und zugleich ein Glücksfall von Kunstvermittlung, dabei aber ein ganz und gar eigenständiges Werk, das sich nicht in Dienst stellen lässt, sondern etwas anzubieten hat. Famos!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: FILMDIENST 3/2016
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Feuer bewahren - nicht Asche anbeten
Deutschland 2015 - Produktionsfirma: 7T1 Media Prod. - Regie: Annette von Wangenheim
- Produktion: Ansgar Pohle - Buch: Annette von Wangenheim - Kamera: Philipp
Metz, Gordon Kalbfleisch, Dieter Stürmer, Monika Eise, Carsten Jost, Gabriel
Pielke - - Schnitt: Ansgar Pohle - Erstaufführung: 11.02.2016 - 86 Min.
- FSK: ab 0; f - Verleih: Real Fiction
zur startseite
zum archiv
zu den essays