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Fieber
Das Schweigen und die Malaria
Mein Vater, der Fremdenlegionär: Elfi Mikesch erzählt
in ihrem autobiografischen Film actionfrei von der Grausamkeit des Krieges.
Als Kind konnte Elfi Mikesch aus dem Fensterchen im Plumpsklo ihres elterlichen Hauses die Berge sehen. In einem autobiografischen Essay schilderte die Fotografin, Kamerafrau und Filmregisseurin einmal die Zauberwirkung dieser Blackbox: Was sie da sah, war nicht die Landschaft ihrer steirischen Heimatstadt Judenburg, es waren afrikanische Wüstengebirge oder aber ihre Traumvorstellung davon, ganz nah und wirklich. Einen Unterschied machte das damals nicht.
„Träum doch nicht! Guck doch nicht so in die Luft!“, solche Elternsprüche konnten ihr wenig anhaben. Bis heute sieht Elfi Mikesch Träume untrennbar mit der Wirklichkeit verbunden – und Fotografien als Bilder der Wirklichkeit, in denen Träume weiterleben. „Fieber“, ihr autobiografisch grundierter Spielfilm, führt zurück zu den Wurzeln. Woher stammt die frühe Faszination für Afrika? Ein halbes Jahrhundert lang flossen immer wieder Reiseerfahrungen oder auch exotische Fantasien über die Fremde in ihre Fotoserien, in die Kameraarbeit für befreundete Filmemacher und viele eigene expressive Filmessays ein. „Fieber“ nimmt die Spur dieser Prägung auf und stößt dabei auf die Geschichte ihres Vaters und seiner Gespenster.
Franziska (Eva Mattes), das Alter Ego der Regisseurin, fotografiert
zu Beginn Schlachtvieh als melancholisch-schöne Stillleben und kann doch
nicht von der harten Wirklichkeit einer Fleischfabrik abstrahieren. Die vom
Vater ererbten Fotoalben kommen ihr in den Sinn, in denen er peinlich besessen
unzählige Erinnerungsfotos an seine jungen Jahre in der französischen
Fremdenlegion festhielt. „Schweigen ist Macht“, war sein Kommentar, mit dem
er den Anspruch festigte, nichts über die Wirklichkeit hinter den Bildern
seiner großen Zeit offenzulegen. Das Beschweigen der eigenen Verantwortung
ist Leitmotiv unzähliger Filme und Bücher über die Tücken
des kollektiven Gedächtnisses, vor allem in Deutschland. Die 1940 in Österreich
geborene und in Berlin lebende Elfi Mikesch nimmt es in ihrer Geschichte mit
anderen Kriegen auf, die zwischen den beiden Weltkriegen stattfanden und weitgehend
verdrängt sind.
Die Lebenslügen der Erwachsenen
In ihrem Film geht es um den Einsatz des Vaters in der französischen
Fremdenlegion zwischen 1922 und 1932. Damals schlugen die europäischen
Kolonialmächte in böser Kooperation die Unabhängigkeitsbestrebungen
der Berber und Kabylen im heutigen Marokko nieder. Die Rolle des Vaters in der
Fremdenlegion war nie offene Gespräche wert. Aber das Vergangene ist nicht
vergangen: Die Kindheit im Schatten der Malaria-Fieberanfälle des Vaters,
überhaupt die Lebenslügen der Erwachsenen steigen wieder auf in Franziska.
Ein Leben lang beschäftigt sich Elfi Mikesch mit den fließenden Grenzen
zwischen Sein und Schein in der Fotografie. Ihr Film handelt davon, wie das
Schweigen der Eltern Fantasien freisetzt und Legenden webt. „Fieber“ blendet
aus der nachdenklichen Stimmung der erwachsenen Fotografin Franziska zurück
in die Wahrnehmung des aufgeweckten Mädchens (Carolina Luzia Cardoso),
das sie irgendwann in den 1950er Jahren war.
Parallelwelt des Vaters
Aus der Perspektive des Kindes erzählt der Film von der merkwürdigen
Suggestionskraft, die die Parallelwelt des Vaters auf sie ausübt. Schuld
zu verteilen und das Mädchen angesichts der Zornesausbrüche und Übergriffe
als Opfer darzustellen, liegt der Filmemacherin fern. Sie zeigt vielmehr, wie
Franzi die Konfrontation anzunehmen versucht, wie sie sich in die Fieberfantasien
des Vaters hineinversetzt und welche Gegengifte sie gegen den Konformitätsdruck
findet. Da gibt es zum Beispiel ein Theater aus Papier, mit dem sie kleine Fluchten
aus der häuslichen Enge inszeniert. Sie träumt sich auch in die wahnhaften
Plaudereien des Vaters mit seinen Kriegskameraden hinein, sie stellt sich diese
Wiedergänger leibhaftig vor und lauscht dem vertraulichen Tonfall der undurchschaubaren
Männergespräche. Da ist nicht zuletzt Madame Marguerite (Sascha Ley),
eine sympathisch frivole Nachbarin, die ihre sexuelle Beziehung zu Franziskas
Vater nicht verleugnet und ihr wie eine große Schwester begreiflich macht,
dass auch andere weibliche Rollenmodelle existieren, nicht nur das von ihrer
verhärteten Mutter (Nicole Max) vorgelebte.
Bewusst fragmentarische Perspektive
„Mir war wichtig, mit den Mitteln des Spielfilms von der Gewalt, der
Ausnahmesituation und der Grausamkeit des Krieges erzählen zu können,
ohne dass Action ins Spiel kommt“, beschrieb Elfi Mikesch die intime, bewusst
fragmentarische Perspektive ihres Films bei der Berlinale 2014. Und weiter:
„Der Krieg findet in der Vorstellung des Kindes statt, das Fragen an die Erwachsenen
stellt. Was wird aus ihm, wenn es keine Antwort findet?“ Elfi Mikeschs Vater
war in den 1950er Jahren Filmvorführer in Judenburg. Schon als kleines
Mädchen half die Tochter bei seinen Vorbereitungen und durfte abends mit
der Mutter Filme sehen. Dieser frühe Eintritt ins Bilderzauberreich des
Kinos kommt in dem kammerspielähnlichen Drehbuch leider nicht vor. Es geht
um die kleinbürgerliche Enge der Familie, um den väterlichen Haustyrannen,
den Martin Wuttke als manischen, von seiner autoritären Erziehung verbogenen
und dem Soldatenleben infizierten Eigenbrötler spielt. Die fotografischen
Überbleibsel seiner Legionärszeit kann er nicht loslassen, aber bei
dem Versuch, seine Geschichte niederzuschreiben, scheitert er erst recht.
Soldaten, die im Freizeitmodus posieren
Die schwarz-weißen Kleinbildfotos, die das leere Zentrum in
„Fieber“ darstellen, entstammen den Alben des Vaters von Elfi Mikesch. Wie die
berüchtigten Landserfotos des Zweiten Weltkriegs zeigen auch seine Bilder
nicht den Krieg. Franzi schaut auf Landschaften und Soldaten, die im Freizeitmodus
posieren oder wie Techniker mit Waffen, Gerät und Munition hantieren. Elfi
Mikesch setzte sich wie ihre Hauptfigur mit dem ererbten Privatarchiv auseinander.
Das erweist sich als Sammlung von Schnappschüssen aus dem spanisch-französischen
Rif-Krieg der Kabylen und Berber unter Abd al-Karim. Die Spanier unterdrückten
den Aufstand mit allen Mitteln, auch mit dem Einsatz von Giftgas. Deutschland,
betont Elfi Mikesch, war damals eingebunden, denn das Senfgas wurde in Hamburg
produziert und nach Spanien geliefert. Schon im Ersten Weltkrieg wurde Giftgas
eingesetzt, mit katastrophalen Folgen. Im Rif-Krieg gingen die Kolonialtruppen
weiter, indem sie zum ersten Mal Giftgasbomben aus Flugzeugen abwarfen. Bis
heute, sagt die Filmemacherin, sei die Krebsrate in Marokko sehr hoch.
Mit Kriegserfahrungen leben lernen
Elfi Mikesch versteht es, ihren Film nicht auf ein selbstbezügliches Vater/Tochter-Drama zu beschränken. Am Ende hat die Bilderbefragung Franziska verändert: Möglich, dass sie weiterhin Stillleben fotografiert, schön kontemplativ, aber sie öffnet sich für direkte Gespräche, sie lässt den Fotoapparat in der Tasche und erkundet wie eine Reporterin, wie Menschen mit Kriegserfahrungen leben lernen. Der historische Rif-Krieg, den sie anhand der Momentaufnahmen ihres Vaters in Erinnerung ruft, ist über ihren Film hinaus ein brisantes aktuelles Thema. Einige der islamistischen Attentäter von Paris und Brüssel stammen aus Familien, deren Vorfahren im Rif-Krieg für die Befreiung vom Kolonialismus kämpften und die brutale Niederschlagung des Aufstands nie vergessen haben.
Claudia Lenssen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Fieber
Österreich, Luxemburg 2014 - 81 Min. - FSK: ab 12 Jahre - Kinostart(D):
11.08.2016 - Regie: Elfi Mikesch - Drehbuch: Elfi Mikesch - Produktion: Alexander
Dumreicher-Ivanceanu, André Fetzer, Bady Minck - Kamera: Jerzy Palacz
- Schnitt: Pia Dumont - Darsteller: Martin Wuttke, Eva Mattes, Sascha Ley, Nilton
Martins, Nicole Max, Carolina Cardoso - Verleih: Barnsteiner-Film
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