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Fightgirl
Ayse
Kampf
der Kulturen
Ein Film über eine türkisch-dänische
KungFu-Kämpferin? Fightgirl
Ayse ist ein Film der
Überraschungen geworden. Die erste besteht darin, wie gut das Integrationsthema
funktioniert. Wenn Ayse anfangs noch durch Kopenhagen rennt wie einst Lola durch
Berlin, ständig zwischen den engen Terminen ihres dänischen Schülerinnendaseins
und ihrer türkischen Famlilie hin und her hetzend, und darunter die multikulturellen
Beats toben, dann fürchtet man noch, die spielerische Leichtigkeit könnte
bald im klischierten Sorgensumpf untergehen. Nichts da: Der Film zeigt nicht
nur die strikten Kodizes, die in mancher türkischen Auswandererfamilie
herrschen (und die nicht immer etwas mit Ehre zu tun haben), sondern auch die
hingebungsvolle gegenseitige Liebe, die einen solchen Familienverband dann eben
doch im Innersten zusammenhält. Aber auch das hilflose Aggressionspotential
eines isolierten Alltags im Plattenbau ist spürbar – das hier ist kein
süßlicher Akzeptanz-Konflikt, der sich mit ein bisschen Selbstbewusstsein
wie von selbst löst. Ayse findet sich zunehmend in die Rolle des Objekts
gedrängt, vor allem des Streitobjekts, und ihre körperliche Wehrhaftigkeit
kann ihr da nur teilweise helfen – von einfachen
Lösungen ist dieser Film meilenweit entfernt.
Der dritte Kulturkreis, der neben ihrer
dänischen Umwelt und ihrer türkischen Familie in ihr Leben tritt,
der asiatisch-disziplinierte ihres Kampfsports nämlich, bringt ihren bisherigen
Drahtseilakt endgültig aus der Balance. Und sie ist nicht die einzige:
Der türkische Starkämpfer Omar, ein radikaler Traditionalist, der
den Großteil des Films als Aises Gegenspieler und Gegenstück zubringt,
bis auch er überraschend vielfältige Facetten zeigen darf, hat seinen
dänisch-türkischen Alltag zwar fest im Griff, fliegt aber wegen seiner
reaktionären Anschauungen aus dem Kung-Fu-Club.
Es ist ein Film, der körperliche
Antworten auf psychologische und kulturelle Fragen sucht und sie überraschenderweise
auch überzeugend findet: Ayse lernt, den Blick zu heben. Omar lernt, seinen
Ehrbegriff auf neue Situationen zu erweitern. Vor allem aber geht es um Kompensation,
um Aggressionsabbau außerhalb des Persönlichen, um die Garantie eines
fairen Kampfes im Leben und im Ring - und um die Frage, welche Kämpfe man
annehmen muss und welchen man ausweichen darf. Dass der blonde Schönling
Cyron Bjørn Melville als Kämpfer dabei eine deutlich bessere Figur
macht als als ständig stirnrunzelder Liebhaber – geschenkt. Dass der vor
und hinter den Filmkulissen bereits erfahrene Gao Xian (hier wieder in seiner
typischen Doppelfunktion als Nebendarsteller und Kampfchoreograph) den strengen,
aber fairen Kung-Fu-Lehrer inzwischen mit der linken Augenbraue spielen kann
– gekauft. Aber dass Sadi Tekelioglu, im Hauptberuf Zeitungkolumnist und nur
dank seiner Bekanntschaft mit Regisseurin Natasha Arthy und einem offensichtlichen
Mangel an türkischen Schauspielern in Dänemark hier zu sehen, in seiner
ersten Filmrolle einen derart subtilen Glanzauftritt als traurig-autoritärer
Vater abliefern würde, das war nun wirklich nicht zu erwarten. Vor allem
aber imponiert die Leistung der jungen Semra Turan: Verschüchterte Abiturientin,
trotzige Tochter, tapsige Verliebte und zunehmend selbstbewusste Kämpferin
– eine so vielschichtige Rolle muß man erstmal hinkriegen. Das Presseheft
gibt darüber Auskunft, dass die Hauptdarstellerin, eine hauptberufliche
Kampfsportlerin, keine weiter gehenden Schauspielambitionen hat: Nach dieser
Darstellung ist das eine durchaus traurige Nachricht.
Was die Integration neuerer Martial-Arts-Strömungen
oder –Moden angeht, so bleibt Fightgirl
Ayse eher konservativ:
Everybody’s Kung Fu Fighting. Dies allerdings geschieht mit erstaunlicher Eleganz:
Gao Xian brennt ein fürs europäisches Kino ungewöhnlich stilisiertes
Feuerwerk an Tricks, Kicks und sogar Wire-Fu ab, das durchaus mit dem realistischen
Stil des Restfilms kontrastiert und durchaus auch Genrefans aufhorchen lassen
wird. So wird aus Fightgirl
Ayse ein Film, der die
Tarkovski-Fraktion vielleicht nicht interessieren wird, aber als Genrekino ausnehmend
gut funktioniert, an den richtigen Stellen überrascht und einige Schläge
schwer in die Magengrube setzt. Und das ist ja durchaus eine Überraschung.
Daniel Bickermann
Dieser schöne Text ist zuerst (leider in falscher, da alter Rechtschreibung) erschienen im: schnitt
Fightgirl Ayse
Fighter. DK 2007. R,B:
Natasha Arthy. K: Sebastian Winterø. S: Kasper Leick. M: Frithjof Toksvig.
P: Nimbus Film. D: Semra Turan, Nima Nabipour, Cyron Bjørn Melville,
Behruz Banissi, Gao Xian u.a.
97 Min. Maxximum ab 1.1.09
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