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Five Minutes of Heaven
„Truth and Reconciliation" - „Wahrheit und Aussöhnung" lautet die Vorgabe
für ein TV-Zwiegespräch, für das zwei Männer in einem pittoresken
irischen Schloss zusammengeführt werden sollen. Sie stehen für die
gegnerischen Parteien des Nordirlandkonflikts und werden bis zum unmittelbaren
Beginn der Aufzeichnung voneinander abgeschirmt, aus guten Gründen. Beide
sind schwer traumatisiert. Vor über 30 Jahren hat der eine, der Protestant
Alistair Little (Liam Neeson), den Bruder des anderen erschossen. Während
Little, der zwölf Jahre im Gefängnis für seine Tat gebüßt
hat, mit seiner Teilnahme an der Fernsehsendung ein positives Zeichen setzen
will, sinnt der Katholik Joe Griffin (James Nesbitt) heimlich auf Rache.
An jenem Schicksalstag im Jahr 1975 wurde der damals 11-jährige Joe Augenzeuge
der Ermordung seines älteren Bruders. Griffin verbirgt ein Messer im Jackett,
während er sich in typischer Reality-TV-Manier auf der Treppe beim schweren
Gang zum Mörder seines Bruders filmen lässt. Klammheimlich aber fiebert
Griffin dem Moment entgegen, da er den Täter niederstrecken und die „fünf
himmlischen Minuten" erleben darf, in denen er seine Sühnetat auskosten kann.
Anders als bei Paul Greengrass' aufreibend-intensivem Dokumentarspiel „Bloody
Sunday" - in dem James Nesbitt übrigens einen protestantischen Politiker spielte - ist
die Story von „Five Minutes of Heaven" zu zwei Dritteln fiktiv. Bemerkenswert allerdings,
wie Autor Guy Hibbert die erfundenen Anteile aus dem realen Ausgangsmaterial entwickelt:
Die Hinrichtung des jungen Katholiken durch ein 17-jähriges Mitglied der
protestantischen Ulster Volunteer Force (UVF) hat sich wirklich zugetragen. Auf Wunsch von Griffin
und Little wurden für den Film nicht einmal ihre Namen geändert, obwohl
es weder das Fernsehprojekt gegeben hat (das zu beider Glück im Film abgebrochen
wird), noch das einige Wochen später stattfindende Zusammentreffen am Ort
des blutigen Geschehens. Hibbert nutzt also den historischen Ausgangspunkt und die realen Figuren
- sie sind sich vom Tatzeitpunkt bis heute nicht mehr begegnet - zu einer Art
filmischer Versuchsanordnung. Der Film lotet Möglichkeiten aus, einen über
Generationen schwelenden Konflikt zu beenden, indem er ihn auf die private Ebene
herunterbricht. Dass eine inszenierte TV-Versöhnung keine adäquate
Lösung sein kann, führt der Film seinen Zuschauern ebenso deutlich
vor Augen wie die Tatsache, dass in der wohlfeilen Geste schon wieder der nächste
Zündstoff verborgen sein kann. Wie ist der Teufelskreis von Gewalt und
Vergeltung - der in Nordirland ja immer noch neue Runden zu drehen scheint -
zu unterbrechen? Eine der Antworten, die der Film nahelegt, lautet: Racheverzicht
aus purem Eigennutz.
Regisseur Oliver Hirschbiegel hat bereits mit seinem Führerbunkerdrama „Der Untergang" bewiesen, dass
er der Letzte wäre, der einen dankbaren Stoff durch nachlässige Inszenierung
verschenkte. Der dreiaktige Film beginnt mit einer ausgedehnten Rückblende,
die in minutiösen Details die stumpfe Gewaltbereitschaft des 17-jährigen
Alistair Little schildert, die Pulverfassatmosphäre im nordirischen Kaff
Lurgan,
patrouillierende britische Panzer, eine kleine Gruppe junger naiver Attentäter
zwischen Machismo und Muffensausen, sowie einen Jungen, der schließlich
fassungslos die Leiche seines Bruders anstarrt. Und das ist bloß der Ausgangspunkt
der persönlichen Tragödie von Joe Griffin, dessen ganze Familie bald
durch den Mord zerstört ist. Vor diesem Hintergrund bekommt das Wort „Reconciliation"
einen geradezu zynischen Beiklang.
Im Mittelteil, der die Anfahrt und die Vorbereitung der Männer
auf die Fernsehsendung schildert, hält Hirschbiegel die Spannung teils
unter Einsatz grober Effekte (dazu gehört die Suspense-Szene mit dem versteckten
Messer, ein Attentatsversuch, der durch einen stolpernden Kameramann unwissentlich
vereitelt wird). Zudem neigt James Nesbitt mit übertriebener Mimik zum Überziehen seiner Rolle,
während Liam Neeson den wächsernen, von tiefer Schuld gedrückten
Ex-Täter mit sparsamen Mitteln und großer Würde spielt. Den
etwas künstlichen Charakter des reuigen Sünders, der nach dem rechten
Weg sucht, sein einstiges Handeln zu erklären und wie ein Therapeut neben
der eigenen Selbsterhaltung immer auch das Wohl des Kontrahenten im Auge hat,
nimmt man Neeson durchweg ab. Dazu macht seine Darstellungskunst einiges an
Äußerlichkeiten wett, die aufs Konto des Regisseurs und manchmal
auch des Drehbuchautors gehen.
Im dritten Akt baut Hirschbiegel so etwas wie High-Noon-Stimmung auf, im Vorfeld der Begegnung beider Männer im
oberen Stock des inzwischen abbruchreifen Hauses, in dem die Griffins einst lebten. Ein handgreifliches
Duell, das sich ausgerechnet am Tatort ereignet: Auch hier scheinen sich reißerisches
Kino und politischer Anspruch zu beißen. Andererseits spiegeln solche
Action- und Suspense-Elemente durchaus das Rachebedürfnis, das Joe Griffins
Wahrnehmung beherrscht - eine Tunnelperspektive, die auf den Reflexionsebenen
des Films (vor allem während Littles inneren Monologen) immer wieder konterkariert
und mit der finalen Wendung ad absurdum geführt wird. Mit einem allzu subtilen
Vorgehen hätten Hibbert und Hirschbiegel ihr Thema womöglich sogar verfehlt - schließlich erzählt
„Five
Minutes
of
Heaven" von der zyklischen Natur der Gewalt; insofern spricht einiges dafür,
den Thrill und die Faszination, die brachiale Lösungen ausstrahlen,
in die Dramaturgie einzubeziehen. Immerhin wirkt der Film weit länger nach
als fünf Minuten.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Five Minutes of Heaven
Großbritannien / Irland 2009 - Regie: Oliver Hirschbiegel - Darsteller: Liam Neeson, James Nesbitt, Anamaria Marcina, Niamh Cusack, Pauline Hutton, Richard Dormer, Mark Davison, Kevin O'Neill, Paul Garret - FSK: ab 12 - Fassung:
O.m.d.U. - Länge: 89 min. - Start: 17.6.2010
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