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Forgetting
Dad
Wie
man einen Dokumentarfilm mit spannendem Sujet zugrunde richtet, führt Rick
Minnich mit seiner innerfamiliären Spurensuche "Forgetting Dad"
vor.
Rick Minnich ist ein amerikanischer Regisseur (Webseite http://www.rickfilms.de/)
und er hat an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen studiert.
Seinen Dokumentarfilmen merkte man die Distanz, die zwischen dem amerikanischen
Westen
- er kommt aus Kalifornien - und dem deutschen
Osten liegt, bislang oft in erfreulicher Weise an. Für seinen sehr sehenswerten
Abschlussfilm "Good Guys and Bad Guys" von 1997 ist er mit der Kamera
zum Zehn-Jahres-Jubiläum seiner High School gefahren und hält ohne
falsche Freundlichkeit ein Herkunftsmilieu fest, mit dem ihn nicht mehr sehr
viel verbindet (und vielleicht auch niemals verband - schließlich zieht
einer nicht einfach so ans andre Ende der westlichen Welt). So kritisch wie
aufmerksam ist sein Blick auf den bibelkonservativen Entertainmentort Branson,
Missouri im 2001 entstandenen "Heaven on Earth". Beide Filme zeugten
von genauer Kenntnis des Gegenstands und schreckten zwar nicht vor klaren Haltungen,
aber vor simplen Manipulationen zurück. Mit einem Wort: Ich habe mich auf
Minnichs jüngsten Film "Forgetting Dad" wirklich gefreut.
Zumal die Prämisse nicht weniger interessant ist als der
Titel. Der Vater, dessen Vergessen darin suggeriert wird, ist zunächst
eher das Subjekt als das Objekt eines Vergessens. Nach einem eigentlich harmlosen
Autonfall nämlich erleidet Richard Minnich, der von der Mutter des Regisseurs
getrennt und mit einer neuen Frau zusammenlebende Vater, eine fast totale Amnesie.
Er weiß nicht mehr, wer er ist, wer die Menschen, auch seine Nächsten,
um ihn herum sind. Auch sein Charakter ist nicht mehr derselbe: Aus dem erwachsenen
Mann wird ein Kind. Anders als die Ärzte zunächst glauben, kehren
weder sein Gedächtnis noch seine Identität im Lauf der Zeit wieder
zurück. Der Vater, zu dem der Kontakt des Sohns allerdings stets eher lose
war, wird für die, die ihn kannten, zum Fremden.
Der Film forscht diesem einschneidenden Ereignis nach. Er befragt
die engere und die erweiterte Familie: die Mutter; die neue Frau, die sich vom
Vater dann auch wieder trennt; Stiefgeschwister und Anverwandte; den offen feindseligen
Stiefsohn. Er geht dem Unfall selbst nach und stößt dann auch auf
die ärztliche Diagnose, die nicht auf ein körperliches, sondern eine
psychisches Trauma erkennt. Man sieht alte Super-8-Filmaufnahmen, man sieht
den Vater vor und nach dem Vorfall, der aus ihm einen anderen machte. Am Ende
von "Forgetting Dad" steht ein Besuch des Regisseurs und seines Stiefbruders
beim Vater, der mit einer neuen Frau in ein Kaff am Ende der Welt gezogen und
schrecklich gealtert ist. Erzählt jedenfalls Minnich, denn eine Aufnahme
hat der Vater nicht genehmigt. Allerdings sind längst Zweifel im Spiel.
Vielleicht hat der Vater den Gedächtnisverlust nur vorgespielt, um sich
so der Verantwortung für ein berufliches und privates Desaster zu entziehen?
Nicht wenige in seinem Umfeld halten das für wahrscheinlich, jedenfalls
möglich.
Kurzum: eine spannende Geschichte. Aber leider ein völlig
unerträglicher Film. Nicht zuletzt deshalb, weil Minnich (mit Koregisseur
Matt Sweetwood) bei jeder sich bietenden und auch jeder sich eigentlich nicht
bietenden Gelegenheit sensationalistisch auf die Tube drückt: kriminalistisch
in der beruflichen Geschichte des Vaters rumraunt; unnötig minutenlang
auf die Folter spannt, statt zu sagen, was er längst weiß; Blödsinn
daherschwafelt vom möglichen posttraumatischen Direktkanal des Vaterhirns
zu metaphysischen Tiefenebenen. Wirklich allerschlimmste boulevardjournalistische
Anwandlungen.
Das Ärgste jedoch: die Musik. Das bedeutelt und atmosphärt
und drönt und dräut so massiv, dass man sich zwischendurch ernsthaft
fragt, ob da aus Versehen ein völlig unpassender Schwerstsoundtrack zu
den Bildern gemixt wurde. Je dämlicher aber sich der selbst immer wieder
als Investigator ins Bild gerückte Rick Minnich falsche Spannungen daherinsinuiert,
desto klarer wird: hier steckt eine Intention. Wäre es nicht eine etwas
blöde Pointe, würde ich sagen, ich erkennte den Regisseur der zwei
mir bekannten Vorgängerfilme hier schlicht nicht wieder. "Forgetting
Dad" bringt das Kunststück fertig, seinem faszinierenden Sujet zum
Trotz eine Qual zu werden für jeden halbwegs intelligenten Betrachter.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Forgetting
Dad
Deutschland
2008 - Regie: Rick Minnich, Matt Sweetwood - Mitwirkende: Rick Minnich, Loretta
Minnich, Lora Young, Justin Minnich, Pam Shields, Jan Emamian, Payman Emamian,
Anne Minnich - Prädikat: besonders wertvoll - Länge: 84 min. - Start:
3.6.2010
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