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Die
Frau des Zeitreisenden
Der
Frühlingswind streicht über eine Wiese, ein sechsjähriges Mädchen
nimmt allein auf einer Wolldecke Platz. Es raschelt im Gebüsch, dann schreckt
eine Männerstimme das Kind auf. Der Mann - wohl Anfang 30 - bittet die
zwischen Panik und Belustigung schwankende Clare, ihr doch die Decke herüberzuwerfen,
damit er seine Nacktheit verhüllen kann. Dies ist kein Fall von Päderastie,
sondern der Beginn einer Liebesgeschichte. Der Altersunterschied zwischen Clare
und Henry mag in dieser Szene beträchtlich sein, doch in diesem Film ist
er relativ wie die Zeit selbst, von Einstein her gedacht. Ohne es zu ahnen ist,
war und wird - man beachte die Qual der Tempuswahl - Clare „Die Frau des Zeitreisenden".
Harry, ein moderner Ahasverus, taucht von nun an ständig auf- und ab, und
er wird die Heranwachsende in kleinen Dosen auf das zukünftige Eheglück
und -leid vorbereiten. Vereinfacht gesagt: Clares Zukunft ist Harrys Vergangenheit
und vice versa. Das Geschick des Helden erinnert an den „Seltsamen
Fall des Benjamin Button"
(2008) und seine von Brad Pitt verkörperte Titelfigur, die im Gegensatz
zur geliebten Daisy immer jünger wird. Pitt zeichnet übrigens als
Executive Producer für „The Time Travelers Wife" verantwortlich; vielleicht
haben ihn die Parallelen an einer Verfilmung des Erfolgsromans von Audrey Niffenegger
gereizt. Hinter der Kamera dominiert deutsches Personal: Mit der Regie wurde
der gebürtige Stuttgarter Robert Schwentke betraut, für die Kamera
zeichnet Florian Ballhaus verantwortlich. Es ist die zweite Zusammenarbeit der
beiden seit „Flightplan
- ohne jede Spur"
(2005), Schwentkes Hollywooddebüt, in dem Jodie Foster durch eine arg konstruierte
Thrillerhandlung stolperte.
Die
Ähnlichkeiten zu „Benjamin Button" enden mit der Kompliziertheit des
„Zeitreisenden". Problem des Films ist weder Schwentkes sensible Darstellerführung,
noch Ballhaus' flüssige Kameraarbeit oder das geschickt gepuzzelte Script
von Bruce Joel Rubin, sondern ein Systemfehler der Kleinteiligkeit. Die ausgeklügelte,
ständig vor- und zurückspringende Mechanik des Plots frisst unentwegt
am Gefühlsgehalt der Geschichte, in der es um Nähe, Zärtlichkeit
und Entfremdung in einer Zweierbeziehung geht. Theoretisch. Aber in der dramaturgischen
Praxis klemmt der Zuschauer zwischen Empathie und einer eher kopfgesteuerten
Position des mal staunenden, mal den logischen Vertracktheiten hinterhergrübelnden
Betrachters fest. Und immer wieder drängt sich die Frage auf, ob Schwentke
die ausufernde Zeitsprungmetapher vom Gehetzsein durch Raum und Zeit überhaupt
braucht, um einen Film über eine Liebe, an der die Zeit nagt, zu drehen.
Täte es nicht ein Jetlag-geplagter Gatte ebenso?
Ein
interessanter Akzent sowohl des Romans als auch des Films ist der Verzicht auf
eine technologische Erklärung der Zeitreise zugunsten einer medizinischen:
Henry leidet an einem Gendefekt, der ihn in unregelmäßigen Abständen
in verschiedene Zeitstrecken hin- und zurückwirft. Bei jeder „Landung"
ist er nackt, Ort und Zeit der Ankunft kann er willentlich nicht bestimmen.
Der erste „Anfall" rettet dem Jungen Henry immerhin das Leben. Damit beginnt
der Film. Das Auto seiner Mutter gerät ins Schleudern, das Kind wird in
eine frühere Zeitebene katapultiert und so vor dem Frontalzusammenstoß
bewahrt, bei dem die Mutter ums Leben kommt. Die eigentliche Handlung setzt
mit einer Begegnung des erwachsenen Protagonistenpaars in einer Chicagoer Bibliothek
ein, wobei nun wiederum Henry von Clare in ihre gemeinsame Liebesgeschichte
eingeführt werden muss, weil ihr Liebster die Szene auf der Wiese noch
vor sich hat! Da Henry seine Zeit-Stürze nicht planen kann, sondern „erleidet",
findet die spätere Hochzeit unter Teilnahme drei verschiedenaltriger Henrys
statt, nacheinander ab- und auftauchend, merkwürdigerweise aber ohne die
kleinste Überschneidung. Statt der zartmelancholisch dahinmäandernden
Geschichte wenigstens eine Prise Terry-Gilliam-Humor beizumengen („12
Monkeys"
war ein herrlich bissiges Spiel mit dem Zeitmaschinenmotiv), läuft in Schwentkes
Film alles ungeheuer geregelt und schwäbisch-manierlich ab. Zugleich überhebt
sich „Die Frau des Zeitreisenden" an dem eng am Roman klebenden Verfahren,
sowohl Henrys innere Zeitperspektive als auch die Schiene des objektiven Ablaufs
immer wieder zu verlassen, also die Zeit doppelt und dreifach aus den Fugen
gehen zu lassen. Die Quadratur des Kreises wird schließlich damit perfekt,
dass im Film trotz der permanenten Sprünge - aus rein „ästhetischen"
Erwägungen - auf den Winter der Frühling folgt, der Sommer, der Herbst
und wieder der Winter, nur eben in ganz verschiedenen Jahren. Das Resultat dieses
wahrhaft nervtötenden Perfektionismus ist ein bohrend langweiliger Film
(mit einem soliden Eric Bana und einer Zuversicht bis zum Abwinken ausstrahlenden
Rachel McAdams). Wie in alten Hollywood-Schicksalskamellen ist jede Wendung
vorhersehbar, was den Film so mühsam wie eine Stadttheateraufführung
des „Parsifal" macht (auch das Musikdrama thematisiert das Irren in Zeit
und Raum). Freilich ist Wagners Musik tausendmal besser als der uninspirierte
Soundtrack von Mychael Danna.
Jens
Hinrichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Die
Frau des Zeitreisenden
USA 2009 - Originaltitel: The Time Traveler's Wife - Regie: Robert Schwentke - Darsteller: Rachel McAdams, Eric Bana, Arliss Howard, Ron Livingston, Stephen Tobolowsky, Jane McLean, Brooklynn Proulx, Michelle Nolden - Länge: 107 min. - Start: 17.9.2009
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