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Die
Frau mit den 5 Elefanten
Das
Komma zählt
Swetlana
Geier ist „Die Frau mit den 5 Elefanten“
Gewichtig
genug sind sie. Doch statt in grauledernem Fleisch und Blut kommen sie in rot
und blau daher und innen aus Papier. Swetlana Geiers fünf Elefanten sind
die großen Romane Dostojewskis, deren Zähmung sie fünfzehn Jahre
ihres Lebens gewidmet hat und die sie jetzt auf dem Tisch zärtlich streichelt.
Geiers Neuübersetzungen für den Amman-Verlag gelten als bahnbrechend,
auch dass „Schuld und Sühne“ auf Deutsch zu „Verbrechen und Strafe“ korrigiert
wurde, ist ihr zu verdanken. Jetzt, mit 85 Jahren, hat Swetlana Geier die Arbeit
an den Elefanten vollendet, doch der Gedanke an Ruhestand liegt fern. Kleinere
Arbeiten warten, auch an der Universität lehrt sie weiter.
Natürlich
hinterlässt die eingehende Beschäftigung mit Dostojewskis Schattenwelten
nicht nur im Sprachgefühl Spuren. „Man übersetzt das nicht ungestraft“,
sagt Geier, „ich habe viel gelernt, nicht nur für die Profession, auch
für mein Leben.“ Doch es war lange vor ihrer Bekanntschaft mit dem Russen,
dass Verbrechen und Schuld sich auch in ihr Leben gedrängt haben. Die in
Kiew geborene Swetlana Iwanowa geriet mitten in die gewaltsamen Malströme
des 20. Jahrhunderts. Ihr Vater wurde im Zuge stalinistischer Säuberungen
interniert und starb an den Folgen von Folter und Haft. Die junge Swetlana gelangte
mit Hilfe deutscher Offiziere mit ihrer Mutter noch während des Krieges
nach Deutschland. Von den Deutschen hält sie seitdem viel; dass die gleichen
Männer auch etwas mit der Ermordung ihrer jüdischen Freundin in Babi
Jar zu tun gehabt haben könnten, will ihr bis heute nicht in den Kopf.
Einen Kopf, den sie trotz aller Falten gern kokett schief hält und dazu
wie ein kleines Mädchen unschuldig mit den Augen blitzt.
Es
macht Freude, ihr zuzuhören und zuzusehen, wenn sie in ihrem Freiburger
Haus mit krummem Rücken und hellwachem Geist das Bügeleisen führt
und über die innere Ordnung von Stofffasern und Texten räsoniert.
Mit dabei ist der Schweizer Filmemacher Vadim Jendreyko, der Geier zu Hause
und bei der ersten Reise in die ukrainische Heimat begleitet. Auch Jendreyko
ist von der zauberhaften Dame verführt und er reicht seine Faszination
überzeugend weiter; vielleicht manchmal zu ungebrochen, wenn offene Fragen
und Bruchstellen mit ein paar erzählenden Sätzen aus dem Off überglättet
werden. Swetlana Geiers Persönlichkeit und Arbeitsweise hätte etwas
mehr auch formale Risikobereitschaft gut verkraftet. Traurig zu kurz kommt die
Textarbeit selbst in zwei (mehr als humoristische Blitzlichter eingesetzten)
Szenen, wo die Übersetzerin mit Hilfe geistesverwandter Adjutanten passioniert
einzelne Kommata und Formulierungen in die Schreibmaschine debattiert. Schade,
dass es hiervon nicht mehr gibt.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Tagesspiegel
Die
Frau mit den 5 Elefanten
Schweiz
/ Deutschland 2009 - Regie: Vadim Jendreyko - Darsteller: (Mitwirkende) Swetlana
Geier - FSK: ab 6 - Länge: 93 min. - Dt. Start: 28.1.2010
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