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Frost/Nixon
Über
zwölf Runden
"Frost/Nixon" erzählt
die Geschichte um das berühmte TV-Interview, das Ex-US-Präsident Nixon
dem britischen Moderator Frost gab. Politisches Seemannsgarn oder revisionistisch?
Sogar Joschka Fischer soll nach der Premiere
von Ron Howards Oscar-Kandidaten "Frost/ Nixon" in Berlin letzte Woche
ins Grübeln gekommen sein. Nixon, dieser Archetyp eines politischen Schweinehunds,
ein Mann mit einem tieferen, wenn auch hochgradig verdrehten Moralverständnis?
Hat er trotz Vietnam und Watergate mit dem nötigen zeitlichen Abstand vielleicht
doch unser Mitgefühl verdient? Die Vorstellung, dass die Zeit die Fehler
der Vergangenheit in eine historische Perspektive rückt, wird dem ehemaligen
deutschen Außenminister, der von politischen Gegnern gerne auch "Kriegsminister"
geschimpft wurde, sicher gefallen haben.
Tatsächlich ist "Frost/Nixon"
das Produkt von verschiedenen, in ihrem Kern divergierenden liberalen Fantasien,
die sich unter Howards Regie zu einer hoffnungslos überstrapazierten Sport-Metaphorik
hochschrauben. Grundlage von Howards Film sind das berühmte Fernsehinterview,
das Nixon 1977, drei Jahre nach seinem Rücktritt, dem britischen Talkshow-Moderator
David Frost gab, sowie das darauf basierende Theaterstück von Peter Morgan.
Die Prämisse: Was, wenn Nixon damals vor einem Millionenpublikum seine
Mittäterschaft beim Watergate-Skandal eingestanden hätte?
Nixon hat das natürlich nie getan,
auch wenn Howards Film etwas anderes nahelegt. Hollywood hat in den vergangenen
Jahrzehnten kaum etwas unversucht gelassen, Amerika von den bösen Geistern
des Richard Milhous Nixon zu befreien: seriös-investigativ in "Die
Unbestechlichen", Mythen-entzaubernd in Oliver Stones "Nixon",
schließlich sogar als Farce in „I love Dick“ (Watergate aus der Sicht
zweier Schülerinnen, die Nixons Hund Gassi führen). Doch Nixon will
nicht aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. "Frost/ Nixon"
stellt den vorläufigen Höhepunkt dieser nationalen Obsession dar,
und es ist mehr als nur eine vulgärpsychologische Interpretation, dass
das Timing von Howards Film gar nicht besser sein könnte. Nach acht Jahren
Bush muss der Wunsch vieler US-Amerikaner, wenigstens einmal eine Art Schuldeingeständnis
vom ersten Mann im Staat zu hören, immens sein. Da Bush ihnen diesen Gefallen
so schnell nicht tun wird und Nixon seit inzwischen 15 Jahren tot ist, fühlt
man sich in Hollywood für diese späte Genugtuung zuständig.
Nixons damaliger Gegenspieler bietet sich
als Sympathieträger allerdings nicht unbedingt an, obwohl Tony-Blair-Imitator
Michael Sheen den schmierigen Frost, eine Art Johannes B. Kerner der Vor-Thatcher-Ära,
als freundlich-ambivalenten Genussmenschen ohne politische Skrupel spielt. 600.000
Pfund erhielt Nixon für das erste Exklusiv-Interview nach seinem Rücktritt;
ein Grund, warum die großen TV-Networks sich weigerten, Frosts Interview
zu lizenzieren. Der musste sich später teure Sendezeit bei Lokalsendern
kaufen.
Es ist eine klassische David-gegen-Goliath-Konstellation,
allerdings ohne deren heute beinah unschuldige Konnotation. Das Nixon-Interview
war zynisches Kalkül; ein Umstand, den Howard mit seiner sportiven Inszenierung
geflissentlich herunterspielt. "Frost/Nixon" reanimiert vielmehr den
amerikanischen Mythos vom Underdog, der seinem haushoch überlegenen Gegner
gegen alle Erwartungen Paroli bietet: David Frost also als Rocky Balboa. Wie
ein Boxkampf ging das Nixon-Interview über 12 Runden.
Und möglicherweise hat Amerika in
Frank Langella einen Richard Nixon gefunden, mit dem es sich endlich wieder
versöhnen kann. Langella verkörpert alles, wofür Nixon immer
gehasst (und gefürchtet) wurde: die Selbstherrlichkeit, den Hang zu Monologen,
mit denen er seine Gegner mürbe machte, und seinen trockenen, hinterhältigen
Humor. Er darf am Ende aber auch den Pudel eines weiblichen Fans streicheln
- der geschlagene Nixon, dem Frost im allerletzten Interview die legendäre
Aussage "Was der Präsident tut, ist immer legal" abrang. "Frost/Nixon"
ist, wie schon Mike Nichols' "Der
Krieg des Charlie Wilson",
schönes politisches Seemannsgarn, wie Hollywood es zurzeit wieder so schätzt.
Man kann es natürlich auch anders sehen. Ein US-amerikanischer Kritiker
bezeichnete Howards Film als puren Revisionismus.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Frost/Nixon
USA
2008 - Regie: Ron Howard. Buch: Peter Morgan. Kamera: Salvatore Totini. Musik:
Hans Zimmer Darsteller: Frank Langella, Michael Sheen, Kevin Bacon, Rebecca
Hall, Toby Jones, Matthew Macfadyen, Oliver Platt, Sam Rockwell, Janneke Arent,
Scott Bryson - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 122
min. – Universal, Start: 5.2.2009
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