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Full
Metal Jacket
Bugs
Bunny in
»Full Metal Jacket«, Stanley
Kubricks Vietnamfilm, ist kein Film bloß über den Vietnamkrieg. Jedenfalls
bleibt er nicht dabei stehen, sondern verfolgt das Thema Vietnam weiter bis
in die heil geglaubten Welten der US-Rock-&-Pop-Kultur
Hart wie Kruppstahl hatte sich der Führer
die Jugend gewünscht, durchschlagend wie ein Stahlmantelgeschoß der
Marines-Ausbilder in Stanley Kubricks neuem Film »Full Metal Jacket«.
Gunnery Sergeant Hartman (Lee Ermey) ist freilich das erste Opfer der Tötungsmaschinen,
zu denen er die Marinerekruten abgerichtet hat. Im Camp Parris Island, South
Carolina, auf dem peinlich desinfizierten Massenklo, glubscht ihn Private Pyle
(Vincent D'Onofrio) von unten her an, die Augen verdreht, ganz Tücke, entmenschlicht,
man kennt die Großaufnahme von (Kubricks) »Clockwork
Orange«, und dann
kriegt der Drillmeister ein Stahlmantelgeschoß in den Kopf, daß
das Gehirn an die sanitären Kacheln platscht und ein Blutstrahl in den
Abort schießt, so sehr Blut, so sehr Strahl, so abartig, wie es noch keine
Filmeinstellung zuwege gebracht hat. / Schnitt / Und direkt dran hört man
Nancy Sinatra mit ihrem Oldierunner »These Boots are made for Walkin'«,
wobei die Schuhe eine Jungprostituierte anhat, Vietnamesin, 1968 in Hue, die
Tet-Offensive kommt erst noch, die Marines sind voll drauf: »Ich bin so
geil«, sagt das Mädchen, und Nancy Sinatras Boots sind für den
Strich gemacht.
»Full Metal Jacket« setzt
den mörderischen Exzeß neben das Liebvertraute, was zu dem Resultat
führt, daß man Nancy Sinatras Songs, was man schon längst hätte
tun sollen, fortan mit Grauen hört. Andererseits erscheinen uns die Kriegsgreuel
in Vietnam dank der Sechziger-Jahre-Musik gar nicht mehr so fremdartig, nämlich
als das Ding, mit dem man wirklich nichts zu tun hat. Denn die Musik macht die
Kriegsbilder zu Greuel-Oldies und Vietnam-Pop, und das müssen alle Oldies-
und Pop-Fans selbst verantworten. Da Bild und Musik sich im Film tückisch
gegenseitig infizieren, sind wir unversehens emotional Beteiligte, auf ambivalente
Weise gleichermaßen mitschuldig wie mitentlastet, überführt
und euphorisch verschubt.
Ja, es ist schon richtig, Kubricks neuer
Film ist nicht sauber durchzuanalysieren; dem aufgeklärten Spießer
gönnt er die Ruhe nicht und nicht den Frieden, daß Freund und Feind
beizeiten sortiert sind und man sich zurückziehen kann vom garstigen Geschäft
des Botschaftenverdauens. Stattdessen gibt es abenteuerliche bis wahnsinnige
Montagen, geradezu schizophrene Ausbrüche. Nie und nimmer wird man den
Showdown zwischen dem vietnamesischen Flintenweib und dem Trupp Marines-Helden
akzeptieren. Eine full-metal-jacketed
bullett im Bauch fleht
die tapfere Feindin die US-Kämpfer um Sterbehilfe an. Die wird auch gewährt,
gnädig und nach Überwindung der fälligen Skrupel. – Eine empörende,
verlogene Szene, die richtig wütend macht. Sie schlägt auf unbegreifliche
Weise nicht auf den Film zurück, sondern macht das starke Gefühl,
wenn der Bauch sich mit Wut füllt oder wenn The Trashmen zu Kampf- und
Massakerbildern mit »Surfin' Bird« in den Körper dröhnen.
Wo also ist Vietnam in Kubricks neuem
Film? Mitten in »Surfin' Bird« und infolgedessen mitten in der US-Rock-&-Pop-Kultur,
mitten unter uns, zumindest mitten unter den Oldie-Fans. Und was uns fremd wird,
ist nicht mehr der Krieg fern in Vietnam, sondern die vertraute Melodie am heimischen
Herd oder wie man sonst den Ort nennen will, wo man ungefragt seinen Tagesbedarf
reinzieht.
»Full Metal Jacket« hat all
den Vietnamfilmen, die seit einigen Jahren in Mode geraten sind, voraus, daß
er sich nicht damit zufrieden gibt, etwas zum Vietnamkrieg zu sagen, sondern
daß er, wenn auch nicht explizit, so doch nachhaltig, zum Vietnam-in-uns
vordringt. Mit anderen Worten: »Full Metal Jacket« ist der beste
aller Vietnam-Filme auch und grade, weil man zu viele Worte braucht, um dies
zu begründen. Wer in anderen Kubrickfilmen mitgehört hat, wird sich
erinnern, daß ein einzelnes, populäres Musikstück, hineinversetzt
in eine andere Welt, mehr und Eindringlicheres zu sagen hatte als die längste
Argumentation. »Try a Little Tenderness« begleitete »Dr. Strangelove«
auf dem Flug, auf dem er gelernt hatte die Bombe zu lieben. Und die »Schöne
blaue Donau« war es, ausgerechnet, die dem Flug von »2001, Odyssee
im Weltraum« zur
Euphorie der Schwerelosigkeit verhalf. In »Full Metal Jacket« kommt
Johnny Wright mit dem schulterklopfenden »Hello Vietnam« daher.
Sam the Sham and the Pharaos törnen mit »Wooly Bully« zu etwas
an, das, so vertraut es ist, widerlich wird. Und »I Like It Like That«
von Chris Kenner verleidet in diesem Film die sechziger Jahre, die sonst endgültig
nostalgisch verklärt erschienen. Aber, daß wir's nicht vergessen:
andererseits hören wir die Oldies gern, nichtsdestotrotz. Damit muß
jeder selbst fertigwerden. Man kann die Ambivalenz lieben, man kann sich ein
wenig spalten, man muß ja nicht nur ein und dieselbe Identität haben,
jedenfalls hält einen der Film noch für ein Weilchen beschäftigt.
Wem zu Ehren zogen die Amerikaner in den
Krieg? Dem Schlußlied zu glauben ist es die hochverehrte, stets belachte,
eng und lang vertraute Mickey Mouse Herself. Mit diesem Lied auf den Lippen
fliegen die Marines in die Heimat zurück. Eine gemütliche Regression.
Und ein ungemütliches, zynisches Bild, das Kubrick in seinem Film entwirft.
Welche Art von Gesetzlichkeit ist das, die zum Vietnamkrieg geführt hat?
Dem Film zufolge hilft uns der politische Diskurs nicht recht weiter, jedoch
eher schon die Sensibilität für eine populäre und durchaus aktuelle
Kultur, in der auch wir drinstecken, nicht nur politisch Verbündete des
Marines-Staates. Hören wir auf die Musik in diesem Film.
Achja, die Handlung. Zunächst einmal
ist der Film dramaturgisch risikoreich in zwei Teile gespalten. Teil 1: Rekrutendrill
auf Parris Island. Teil 2: Straßenkampf in Hue, Vietnam. Im einzelnen:
Rituale der Entmenschlichung und des Untergangs der Individualität in einer
Gesellschaft der Gewalt und des Zynismus. Der Ausweg ist Mord, Wahnsinn und
die bewußte Spaltung. Sehr plakativ hat sich Private Joker (Matthew Modine)
»Born To Kill« auf den Helm gemalt, einerseits. Und andererseits
hat er sich an seine Uniform das Runenzeichen der Friedensbewegung gesteckt,
und er läßt sich das von keinem Chef wegnehmen.
Das Zeichen, das die diversen Feinde lähmen
und bannen soll, ist nicht mehr das christliche Kreuz, sondern das Grafitto
und der Button der Popkultur. Was mit »Born to Kill« beschworen
werden soll, hat in den USA seine Tradition. Die Männer hatten ihren Spruch
drauf, wenn sie von der wasserstoffsuperoxidblonden Busenfrau sprachen, die
wie eine Bombe einschlug. »Born for men«: so wird Jean Harlow in
einem sehr populären Film von 1933 angepriesen. Sein Titel: »Blonde
Bombshell«.
Das Friedenszeichen als Pop-Button – da inszeniert der G.I., dressed to kill, seine propere Gesinnung, und jeder weiß auch heute, was das ist: praktizierender Anhänger der Button-Kultur zu sein; auch wenn sie ein wenig außer Mode gekommen ist; denn die aktuellen Styling-Rituale eröffnen vielfältigere Möglichkeiten. Da also heute alle bestens Bescheid darüber wissen, wie die Verständigung über die Selbst-Inszenierung läuft (und schon viel weniger darüber, wie die Kommunikation über den Diskurs zu bewerkstelligen ist), halte ich es für eine sehr geschickte und effektive Strategie, die ich dem guten alten Kubrick gar nicht mehr zugetraut hätte, mit dem Thema Vietnam sozusagen in der eigenen Etappe zu operieren. Weg sind die klaren Fronten, nämlich: wo ist der Freund? Wo der Feind?
Involviert wird mit dieser Inzenierungstechnik
stattdessen das aktuelle real existierende, d.h. postmoderne Publikum, das auf
Signale zu reagieren geübt ist. Womit gesagt sein soll, daß der Film
am besten und ganz vorzüglich und völlig überraschend und buchstäblich
entwaffnend auf die Art und Weise funktioniert, wie er was signalisiert. Wir
könnten also sagen, daß es der Stil und die Ästhetik des Films
selbst sind, die etwas zu sagen haben. Da diese Wörter jedoch negativ besetzt
sind, und da wir uns die Mühe der Argumentation ersparen wollen, daß
Stil nicht mit Schöngeistigem und Prätentiösem gleichzusetzen
sei, bleiben wir gleich beim Angelsächsischen und loben das eindeutig positiv
besetzte Styling des Films, ein böses, zynisches, unverschämtes Styling,
pervers und genau. Je grotesker und pointierter, desto näher ist die Inszenierung
der Realität eines Zeitgeistes – auch wenn man ihn damals, zur Vietnam-Zeit,
nicht so nannte – , der auch heute gräßlich
vertraut erscheint, nur das modische Outfit ist leicht verändert. »Full
Metal Jacket« begnügt sich nicht mit der Abbildung der äußeren
Realität (des Camps, des Kriegs), und er beschränkt sich nicht auf
die biedere Rolle, pädagogisches Vehikel für den Transport von Botschaften
zu sein. »Full Metal Jacket« ist bösartiger Sado-Pop im ersten
Akt (Ausbildungslager), zynischer Gruftie-Look in den Kriegs- und Massaker-Nummern
des zweiten Akts. Attraktiv; abstoßend; ambivalent; das Lachen gefriert.
Fallen öffnen sich für beifälliges Grienen. Die Stimmung schwankt
und wird in Steil- und Sturzflügen strapaziert. Ein Kriegsfilm wie »Der
steinerne Garten« (Coppola) bietet daneben nicht mehr, als auf den Bildern
zu sehen ist: Friedhofsruhe.
Unruhe, Reizauslöser und Signale dagegen in Kubricks Film. Das große Vietnam-Feeling als Grafitti (»Born To Kill«), als Button, als Mickey Mouse, als Rolling Stones (in der »Paint It Black«-Nummer). Die Comic-Helden sind in »Full Metal Jacket« präsent: Bugs Bunny, der Quasselhase der bekannten Brutalostrips, sitzt rosarot und dick und plüschig in einer Ruine der Stadt Hue, zum Zugreifen. Endlich was Bekanntes, Heimatliches! (Und wie soll man das Trauma Vietnam loswerden, wenn man – und keiner weiß da ein Rezept – die Comic-Monster nicht loswird). Halt, Kubrick wußte ein Rezept. In seinem Film greift ein U.S.-Soldat zum Witztier, unbesehen, und löst damit einen Sprengsatz aus. Bugs Bunny und Soldier in tausend Stücken. Wenn das nicht bitterböse und groteskkomisch ist.
Weiteres Signal für alle Kinorezipienten:
Schnobkram. Wer ißt den jelly
doughnut? Ein qualliger
Rekrut, der Private Pyle. Und es ist, was jedem Konsumenten sauer aufstoßen
wird, ein Strafessen in einer besonders üblen Schikaneszene; man kann die
Schikane besonders gut nachvollziehen, nicht weil einem der Typ leid tut, sondern
weil einem diese allseits geschätzte Leckerei vergällt wird. Außerdem:
da »jelly« mit dem Wort »Qualle« verbunden ist und »doughnut«,
wie man weiß, ein populärer Ausdruck für den U.S. infantryman
ist, verspeist Quallen-Pyle seine Kameraden, einen nach den andern. Das ist
augenfällig, denn Kubrick hat die Szene choreographisch arrangiert: die
Rekruten liegen schon am Boden – im Liegestütz, vom Schinder-Sergeant Hartman
kannibalistisch kommandiert. Einen Happs für
Qualle, ein Pumpen für die anderen, die ersten liegen schon entseelt da,
verzehrt sozusagen.
Die doughnut-Szene braucht ebensowenig einen Kommentar
wie die Kurzgeschichte, die in einem Song erzählt wird. Freilich gibt es
Schwierigkeiten bei der Synchronisation. Die macht die doughnuts zum deutschen Pfannengebäck: zu
Berlinern. O.k., gegessen. Aber zum Kameradenfraß taugen sie nicht, weil
Berliner nicht Rekruten in Parris Island sind, jedenfalls soweit ich weiß.
Und wer den Film deutsch hört/sieht, wird niemals vollziehen, warum die
Rekruten so besonders grausam sich an Kamerad Pyle rächen werden.
Sgt. Hartman stilisiert sich selbst –
im Drill der Rekruten. Sein Wahnsinn, seine Perversion finden eine Form im Einüben
eines militäreigenen Tanz-Lauf-Marschier-Schrittes. Die Kommandos werden
normal, Ballettstunde, Ritual. Ich krieg es nicht mehr aus dem Kopf raus, wie
er zum Laufschritt seiner Rekruten skandiert: »One – Two – Three – Four
/ U – S – Marine – Corps«.
Kubrick stellt uns nicht Menschen vor,
mit denen man immerhin noch versuchen könnte, ins Gespräch zu kommen,
sondern Artisten: Künstler, die ihr Fach verstehen und die man nicht mitten
in der Vorstellung unterbricht. Wie das Publikum im Kino – auch das ein Rezeptionsmuster,
das in die Filmstruktur eingegangen ist – , sind die Rekruten auf dem Kasernenhof
gebannt, wenn Sgt. Hartman, der Spieß, seine Fäkalarien erklingen
läßt, eine kunstvolle Litanei auf den Grundtönen Votze, Arsch
und Ficken. Lee Ermey spielt die Rolle, und er spielt sie perfekt. Er ist Meister
seines Fachs, und ich glaube es sofort, daß Ermey selbst mit 17 Jahren
ins US-Marine-Corps eintrat, selbst Ausbilder war und seine reichen Erfahrungen
für die Vietnam-Filme »Apocalypse
Now«, »The
Boys in Company C« und »Purple Hearts« (»Einmal Hölle
und zurück«) nutzbar machte. In »Full Metal Jacket« wird
Lee Ermey zum Kunstwerk, unzugänglich, unangreifbar und umso gefährlicher.
Wieder setzt die Kamera eins drauf. Sie fährt ihm in den Rachen, das Zäpfchen
füllt die Großaufnahme. Hinter ihm die geschorenen Rekruten, jeder
auf einem kleinen Podest, einheitlich kostümiert, die Hände vorgestreckt
zum Sauberkeitsappell: das ist wieder die klinisch saubere Choreographie, kurz
vorm – bitterbösen – Musical. – Im Kino gibt es zur verbalen Scheiß-Ästhetik
Lee Ermeys falsche Lacher. Während er – im Film – die Rekruten zur Sau
macht, läßt er – im Kino – die Sau los. Grade das meine ich damit,
daß der Film mit Fleiß und Nutzen die gängigen Rezeptionsmuster
aktiviert. Übrigens werden die Lacher allmählich dünner, schließlich
bleiben sie im Hals stecken. Das ging denn doch zu weit: die Welt als Veranstaltung
der Marine.
Was haben wir am Massenmörder Charles
Whitman und am Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald zu loben? Nun, beide
waren Marinesoldaten, und »sie haben bewiesen, was ein einziger Marine
und sein Gewehr vollbringen können«. – Rekruten-Sex? Das Gewehr kommt
ins Bett, das Geschlecht bleibt ungewiß. – Wozu ist Weihnachten da? »Der
Pastor erzählt Euch, wie die freie Welt die Kommis besiegt: mit Gottes
Hilfe und ein paar Marines«. – Sprüche, die zelebriert werden, jedes
Stück ein Clip für sich, so perfekt, daß nirgendwo Platz für
Widerspruch bleibt. Wohin mit der Wut? Ab in den Bauch.
Zweiter Akt. Auch der Straßenkampf in Hue wird meisterhaft zelebriert. Ich habe in der Vorstellung, in der ich war, zwar keinen Beifall gehört. Aber sicher waren alle viel zu ergriffen, nachdem die Pyrotechnik Flammen noch in die kleinste Fensterhöhle gesetzt hatte. – Wieder liegt es mir fern, mich darüber zu mokieren. Denn das Artifizielle macht Sinn. Endlich einmal ist Vietnam nicht in den fernen exotischen Urwald verlegt. Kampf in einer Stadt, in einem Industrieviertel wie überall, wie in unserer Stadt. Wir sind dicht beim Thema »Vietnam in uns«. – Gedreht hat Kubrick den zweiten Teil des Films auf dem Abbruchgelände von British Gas PLC North Thames. Die Palmen waren aus Spanien herangeflogen und die angeblich 100 000 künstlichen Tropenpflanzen aus Hongkong. Der Art Director machte die Industrieanlagen während der zwei Monate Drehzeit mit der Abrißbirne allmählich dem Erdboden gleich.
Abriß-Ästhetik, Open-Air-Performance,
Son-et-lumière-Spektakel: der Vietnamkrieg rückt nah, er wird produzierbar,
wiederholbar, Service-Angebot. Es fehlen noch die Manager. – Die Ästhetisierung
des Kriegs und der Massaker, die bei jedem andern in die Unverbindlichkeit geführt
hätten, wird bei Kubrick zum Thema. Wer sagt, daß es heute keine
Kriegs-Konsumenten gäbe, die das Spektakel als Performance genössen
oder als Service nutzten? Private Joker, Reporter der Marine-Zeitung »Stars
and Stripes«, fliegt in einem Militärhubschrauber übers Land.
Neben ihm, an der offenen Tür, sitzt ein Typ in totaler Euphorie, happy,
schwitzend, und feuert nach draußen, tacktacktack: »Äi Mann!
Schon 157 Schlitzaugen umgelegt und 50 Wasserbüffel!«
– Die Kamera schwenkt nach draußen: Frauen und Kinder stieben auseinander,
auf der Suche nach dem nächsten Wassergraben. – Das Bild, das noch besser
gepaßt hätte, wäre allerdings der häusliche Monitor gewesen
und von der Diskette ein tolles Programm mit Laufwerk. Wer killt in welcher
Zeit die meisten gooks? Desaktivieren macht Spaß!
Oder so: Popkultur aktivieren ist geil! Wer veranstaltet den nächsten Krieg? Spätestens wenn sofort an dieser Stelle »Wooly Bully« reindröhnt, der alte Titel von Sam the Sham and the Pharaos, kriegt man Angst vor der Antwort. – Für wen ist der Krieg willkommenes Ereignis? In einer besonders zynischen Sequenz läßt Kubrick Kamerateams der US-Fernsehstationen durch die Schlacht fahren, die Soldaten unterbrechen ihr blutiges Geschäft, um routiniert in die Kamera zu grinsen und das zu sagen, was das Publikum hören will. Kubrick gelingt es, dies so zu bringen, daß uns die Lust vergangen ist, die Bilder zu sehen, die die Realität abbilden sollen: Sie sind von vornherein falsch.
Richtig sind die aggressiven Inszenierungen
und Zuspitzungen vor den Prospekten – oder sagen wir: umstellt vor den Wänden
– der eigenen Geschichte. In Hue inszenieren sich die Marines wie in einem Tollhaus.
Bist Du John Wayne? – Wo ist General Custer? – Und wo bleibt der Show down?« Stell den Nigger hintern Drücker«,
sagt ein Schwarzer von sich, stolz, jetzt wirklich, endlich befreit, echt und
Ehrenwort, und dann haut wieder ein Stahlmantelgeschoß in einen Body:
eine Blutfontäne schießt diagonal übers Bild, schwer und satt,
sie scheint stehenzubleiben und das Bild durchzustreichen, nämlich den
Film anzuhalten und den Genuß zu intensivieren. Nichts ist bewältigt.
»Full Metal Jacket« hakt das Thema Vietnam nicht ab. Im Gegenteil,
Vietnam verfolgt uns in die so heil geglaubten Welten der Popkultur. Bugs Bunny
ist das erste Opfer. Wann ist die Mickey Mouse dran? Wann Mick Jagger?
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 11/87
Zu diesem Film gibt es im archiv mehrere Kritiken
Full
Metal Jacket
Großbritannien,
USA 1987, Regie: Stanley Kubrick, Buch: Stanley Kubrick, Michael Herr, Gustav
Hasford, Kamera: Doug Milsome, Musik: Abigail Mead, Produzent: Stanley Kubrick.
Mit: Matthew Modine, Adam Baldwin, Vincent D'Onofrio, R. Lee Ermey, Dorian Harewood,
Arliss Howard, Kevyn Major Howard, Ed O'Ross, John Terry, Kirk Taylor.
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