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Gamer
Echts
In
ihrem umwerfenden SciFi-Videospiel-Actioner "Gamer" zeigen Mark Neveldine
und Brian Taylor etwas wie Live-Bilder aus der Höhle des Löwen der
zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie.
Mit
den ersten Bildern schon sind wir im Spiel. Mann mit Knarre schießt wild
um sich. Die Kamera wechselt von der Egoshooter-Perspektive rasant anderswohin,
schnelle Schnitte, laute Schüsse, zerfetzte Körper, der Videospiel-Alptraum
wird wahr, im Kino: Was man hier sieht, für KinogängerInnen (großes
I trotzig: eigentlich Inbegriff eines Jungsfilms) ab 18, ginge im Videospiel
nicht. Denn dort wird nur virtuell geschossen, und lebensecht explodiert da,
weil nur entschärfte Darstellungen erlaubt sind, legalerweise kein einziger
Mensch. Ganz anders in "Gamer" bzw. in "Slayer" (was wie
eine Metal-Band klingt und viel Metal-Musik gibt es durchweg zu hören)
- in diesem vom Film ausgedachten Spiel nämlich ist alles echt. Der Clou
besteht darin, dass in den Sessel gefläzte Spieler die Bewegungen anderer
Menschen kontrollieren. Möglich wird es durch mutierte, ins Hirn der Gespielten
gepflanzte Zellen. Die Gespielten tun als Spieler dann, willenlos oder gegen
ihren Willen, was ihnen der sie Spielende befiehlt. Rennen und Schießen
zum Beispiel. Aber auch in Sachen Sex bleibt kein Wunsch offen.
Zwei
Spiele hat der darüber zum Multimilliardär gewordene Ken Kastle (Michael
C. Hall) erfunden: Vor "Slayer" bereits "Society", das ist
etwas wie "Sims", nur in echt. Nicht-Sims, Echt-Sims: "Echts".
Die Spielewelt ist - anders als im düsteren "Slayer" - bonbonbunt
und wie in alten allegorischen und neuen brauchbarkeitsfixierten Bilddarstellungen
hängen überall Fähnchen, die zu den Figuren Näheres anzeigen.
Alles ist nicht-virtuell auch in diesem Environment, jeder darf sein, wer er
will. Exemplarisch vorgeführt wird das an einem namenlos fetten Kerl, der
eine schöne schlanke Blondine sein eigen nennt und sich im Spiel, einzig
Sex und Schmutz im Sinn, von ihr verkörpern lässt. Die "Darstellerin"
- die nichts selbst darstellt, sondern vom Fettwanst gespielt wird wie von einem
kontrollfanatischen Filmregisseur - braucht das Geld und wird außerhalb
der Spielumgebung (und "Umgebung" ist hier sehr wörtlich lokal
zu verstehen) wegen ihres Berufs als eine Art Prostituierte betrachtet. Daran
hängt ein dünnster Plot aus ganz alten Zeiten. Man muss über
ihn, weil er nichts als fadenscheinigster Vorwand für ganz anderes ist,
kein Wort weiter verlieren.
"Gamer"
tut videospielkritisch. Niemand nimmt dem Film und seinen Machern, dem Regie-
und Autorenteam Mark Neveldine und Brian Taylor das ab; was keine Kritik sein
soll, denn das Manöver ist für jeden durchschaubar. Neveldine / Taylor
sind Freibeuter einer - unserer - spätkapitalistischen Entertainmentkultur,
zu der sie nur eine Haltung kennen: die schiere Steigerungs- und Übersteigerungswut.
Die Lust, die sie am Metzeln haben, spritzt blutrot aus jedem ihrer hochbeschleunigten
Bilder. Ebenso wie der Spaß, den sie am Spritzen haben, an der Hochbeschleunigung,
am Druck des schnellen Drehs, an der jeden Übergang, jede Pause wegpustenden
Montage, dem unverbundenen Ineinander von Bildtypen, der umstandslosen Wiederverwendung
von Genreversatzstücken. Das Kino ist ihnen ein optisch-akustisches Maschinengewehr.
"Gamer"
ist ein Spitzenerzeugnis der US-Filmindustrie. Als Teil und Produkt dieser Industrie
denkt der Film nicht kritisch, sondern fiebert affirmativ. (Fast: Es gibt, wie
erwähnt, humanistische Reste im Plot, die die Erzählung immerzu höchst
beeindruckend wieder vergisst. Ein überflüssiger Old-Hollywood-Anstandswauwau
wie einer, der neben einem im Kino-Sitz Popcorn frisst. Gelegentlich hört
man es mampfen.) Bei allem Tempo, das der Film vorliegt, sollte man nicht übersehen:
Die Bilder, die Neveldine / Taylor finden, sind unterschiedlicher Art und zwar
meist ganz schön hässlich (im Sinn hergebrachter Vorstellungen von
Schönheit), daber aber immer auch supersmart. Wie sie die Ego-Shooter-Action-Szenarien
filmen, ist schlicht genial. Weil sie nämlich gerade nicht wie im Videospiel
in der Ich-Perspektive verharren, sondern diese Ich-Perspektive in rasant hin-
und herspringende Actionfilmbilder "übersetzen". Die beiden haben,
nicht nur hier, mehr Formbewusstsein im kleinen Finger als der - fatale Wahl!
- nächste Bond-Regisseur Sam Mendes je besaß. Nein, Formbewusstsein
ist falsch. Es ist ein Formunterbewusstes, das ihnen die Kamera führt.
Was man, wie so vieles hier, buchstäblich verstehen darf, denn die beiden,
man glaubt es sofort, rasen als ausführende Kameramänner auf Skates
durch die von ihnen angerichtete Szenerie. Wo die Kamera hin soll, steht, erfährt
man in Interviews, steht schon im Drehbuch. Aufgelöst wird der Film ins
Bewegtbild dann aber vollends spontan vor Ort. Das Drehbuch schreiben Neveldine
/ Taylor selbst: postauktoriale Auteurs mit Rädern unten dran.
Und
gar nicht so selten kommt ihnen dann eine ganz und gar durchgeschossene Idee.
Kurz vorm Showdown auf dem Basketballfeld beginnt es auf der Tonspur zu schnippen,
das Licht wird umgeschaltet auf Silhouetteneffekte und der alles kontrollierende
Oberschurke tanzt zur Musik von Cole Porter wie eine frisch von ihren Fäden
losgeschnittene Marionette. Daraus entsteht gleitend eine Action-Choreografie,
bevor es dann ganz anders wiederum weiter geht. Neveldine / Taylor pfeifen aus
Prinzip auf jede Einheitlichkeit und bringen gerade in der ihnen eigenen meta-hybriden,
abwechslungssüchtigen und eben selbst superunterhaltsamen Form das Entertainment
unserer Gegenwart auf den Punkt. (Das eben im besten Fall nicht dumm, sondern
schlau ist, nicht öd, sondern aufregend, nicht langsam, sondern schnell,
nicht kritisch oder affirmativ, sondern die Zeit aufs angenehmste verkürzend.)
In der Konsequenz, mit der sie nehmen, was sie aus der Entertainmentkultur nur
kriegen, schlägt ihre aus manchen Scheußlichkeiten zusammengemengte
Exploitation um in eine postillusionistische Echtheit. Es ist gerade so, als
besäßen Neveldine / Taylor einen Körper-Port zu den Produktionszentren
der Entertainment-Industrie. "Gamer" zeigt quasi live Bilder aus der
Höhle des Löwen.
P.S.: Für weitergehend Interessierte gibt es hier eine sehr
ausführliche, eher akademische und gelegentlich etwas übereifrige
Analyse des Films von Steven Shaviro (in englischer Sprache).
Ekkehard
Knörer
Gamer
- Play or be played
USA
2008 - Originaltitel: Gamer - Regie: Mark Neveldine, Brian Taylor - Darsteller:
Gerard Butler, Amber Valletta, Michael C. Hall, Kyra Sedgwick, Chris "Ludacris"
Bridges, Alison Lohman - FSK: keine Jugendfreigabe, nicht feiertagsfrei - Länge:
95 min. - Start: 7.1.2010
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