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Ganz
nah bei Dir
Warten
auf Getto
Ein
Gedicht, dieser Film, gleich von der ersten Minute an: Ein Ballett uniformer
Regenschirme schiebt sich in gleichförmigen Bewegungen die Straße
entlang, mittendrin Phillip, so unscheinbar, dass er zwangsläufig auffällt.
Das entscheidende Stichwort ist nun gefallen: Ein ganz und gar zwanghafter Charakter
ist dieser Sonderling, ritualversessen bis ins kleinste Detail, allein wenn
er die Bettdecke morgens ein wenig schief aufschlägt, ist der Tag bereits
gelaufen. In dieses Leben nach der Stechuhr hat dringend das Chaos Einzug zu
halten, es hört auf den Namen Lina, ist so bezaubernd, dass es fast schmerzt
– und blind.
Wie
sich Phillip aus seinem selbstgebauten Schneckenhaus frei strampelt, wie er
das Leben in sein monotones Dahinvegetieren einsickern und Lina seinen sorgsam
errichteten Panzer durchbrechen lässt, gehört zum Rührendsten,
Kauzigsten, einfach Schönsten, das der deutsche Liebesfilm, ach was sag
ich, das gesamte Genre seit langer Zeit auf die Leinwand gezaubert hat. Dabei
ist Phillip gottseidank keineswegs der weltentrückte Nerd, der vor Schüchternheit
kein Wort über die Lippen bringt, Lina ebenso wenig das bemitleidenswerte
Opfer eines tragischen Schicksals. Beide wissen sich zu behaupten und anzuecken,
sich zu kabbeln und anzunähern, und vor allem mit den ungemein treffenden,
wunderbar verknappten Dialogen wenig zu sagen, aber alles auszudrücken.
Ein Lehrfilm für pointierte Dialoggestaltung obendrein.
Natürlich
steht und fällt Boy Meets Girl mit seinen Darstellern, erst recht in so
reduzierter Form wie hier, doch die Besetzung passt in den brillanten Gesamteindruck
wie eine zweite Haut: Wer sich bei diesem Film nicht in Katharina Schüttler
verliebt, ist – ’tschuldigung – ebenso blind wie taub, und Bastian Trost möchte
man zunächst verzweifelt die Bettdecke durchschütteln, später
dann insgeheim zujubeln, wie er den Neuanfang wagt und seine selbstgewählten
Barrieren einreißt, immer auf den Punkt gespielt, kein Gramm Fett zu viel.
Sechs
Jahre hat es gedauert, dass Almut Getto nach dem famosen Fickende
Fische
ihren zweiten Kinofilm realisieren konnte – unzählige Drehbuchfassungen,
Neuausrichtungen der Charaktere und Stimmungen und immer wieder Präzisierungen,
Verknappungen. Ganz
nah bei Dir
indes ist jeden Tag des Wartens wert, ein ungeahntes Juwel in diesem Kinojahr,
das hoffentlich nicht allzu schnell übersehen wird.
Carsten
Happe
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Ganz
nah bei Dir
Deutschland
2009 - Regie: Almut Getto - Darsteller: Bastian Trost, Katharina Schüttler,
Andreas Patton, Traute Hoess, Heiko Pinowski, Jürgen Rißmann, Aline
Staskowiak, Axel Olsson - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 88
min. - Start: 12.11.2009
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