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Garage
Einen Moment gibt es in diesem Film, da
möchte man Josie wirklich schütteln. Sein Bekannter hält einen
Sack mit quiekenden Hundewelpen über die Brückenbrüstung, unten
rauscht der Fluss. Josie, der Tor, steht auf der Brücke daneben, kriegt
kein Widerwort heraus und sieht dann gar befriedigt zu, wie sein Kneipenfreund
den zuckenden Beutel fallen lässt. Josie kann man alles weismachen. Wer
ihm sagt, das Ersäufen junger Hunde sei ein Akt der Barmherzigkeit, dem
glaubt er auch das.
Der Aktionsradius des einfältigen,
schwerfälligen, hüftstarren Helden des Films „Garage" ist gering.
Sein Leben dreht sich um eine Landstraßentankstelle im Westen Irlands.
Dort arbeitet, isst und schläft Josie, dort spritzt er sich zwecks Körperpflege
mit einem Schlauch ab, wie man sonst Autos wäscht. Um das Weltgetriebe
macht sich der Mann mit dem Schoßhündchennamen - den wirklichen erfahren
wir nicht - keine Gedanken. Mit großen Kinderaugen unter der „Australia"-Baseballkappe
blickt Josie zwar den Trucks hinterher, die nach Brüssel oder zu anderen
exotischen Zielen aufbrechen. Doch dann wendet er sich wirklich wichtigen Dingen
zu. Gelbe Plastikrohre zerschneiden. Die Werkstatt aufräumen. Auftanken,
wenn mal ein Wagen vorfährt, was gerade dreimal im Film geschieht.
Große Pläne bespricht Josie
mit Mr. Gallagher. „Ab heute könnte ich die Schmierölflaschen draußen
präsentieren, Mr. Gallagher" - „Du bist ein guter Mann, Josie",
entgegnet der Chef aufmunternd. Und hat ihm wahrscheinlich nicht zugehört.
Dass Gallagher wohl längst neue Pläne mit dem Grundstück hat,
dass die Tage der Station und ihres Wärters gezählt sind - dieses
Problem wird gestreift und damit ganz nebenbei auf größere Zusammenhänge
verwiesen. Wohin mit dem kleinen Mann, wenn die Welt immer größer,
urbaner, globaler wird?
Dass Regisseur Lenny Abrahamson der richtige
Mann ist, tragische Geschichten in einem leichten wie heimtückischen Komödienton
zu erzählen, bewies er schon mit seinem Spielfilmdebüt „Adam &
Paul" (2004). Darin starb sein heruntergekommenes Protagonistenpaar den
Drogentod in Dublin, als wär´s ein Stück von Laurel und Hardy.
Josie in Abrahamsons zweitem Spielfilm wirkt nun wie ein Ollie, dem der Stan
abhanden gekommen ist, was in gewisser Hinsicht sein Überleben garantiert:
Jede Berührung, jede zwischenmenschliche Auseinandersetzung birgt in der
zugespitzten Logik der Handlung den Keim einer Katastrophe in sich.
Nebenschauplatz dieses Films ist eine
Kleinstadt, mit der Josie wie über eine Nabelschnur verbunden ist. Hier
kauft der Eigenbrötler ein und trinkt sein Bier in der Eckkneipe, hier
wird er geduldet, auch aufgezogen, manchmal ein wenig gequält, aber im
Großen und Ganzen in Ruhe gelassen. Selten hat ein Film das Kontrastpersonal
zur einsamen Quasimodo-Figur im Mittelpunkt mit solch subtiler, fast unmerklicher
Bosheit ausgestattet. Es ist die Grausamkeit, die im Satz „Wir wollen nur dein
Bestes" steckt, es ist die lässig-pflichtschuldige Geste, mit der
man neugeborene Hunde ertränkt.
Vielleicht müssen wir uns den tumben
Tankwart als glücklichen Menschen vorstellen. Doch das Filmporträt
eines Narren birgt auch seinen Schmerz. Wenn Josie über die Bohlen einer
stillgelegten Bahnstrecke trottet, begleiten ihn schneidende Streicherakkorde
auf der Tonspur. Auf dem Weg in den Ort kommt Josie regelmäßig an
einem Gatter vorbei, hinter dem ein triefäugiger Ackergaul auf Streicheleinheiten
und Süßigkeiten wartet. Das angekettete Tier ist nicht nur einziger
Freund, sondern auch Alter ego des Mannes, der im Inneren einer unsichtbaren
Blase zu existieren scheint.
Einmal droht die Blase zu platzen, als
Josie mit Carmel tanzt, einer heimlich angehimmelten Drugstoreverkäuferin
aus dem Ort. Carmel, betrunken, lässt sich berühren, schmiegt sich
an den Mann, den sie Sekunden später erschrocken von sich stößt,
als hätte sie unvermittelt einen Blick in seine wunde Seele getan. Am Tag
danach tut sie ihm „einen Gefallen", wie sie ihre Abfuhr beschönigend
nennt: „Fass mich nie wieder an". Wie das Kopfthema eines Streichquartetts
kehrt das Moment der Ausgrenzung mehrfach wieder, in seiner letzten Steigerung
untersagt ein Polizist Josie den Kontakt zu den Kleinstadtbewohnern ganz.
Trotz der weiten Wald- und Seenlandschaft,
die in ihrer kalten, fast erbarmungslosen Schönheit immer wieder die Geworfenheit
des Helden spiegelt: dies ist ein präzis komponiertes Kammerspiel, dessen
Struktur von Leitmotiven, wiederkehrenden Moll-Farben, auch von eingeflochtenen
Scherzo-Passagen durchwirkt ist. Wenn Josie unbeholfen seine Hüftgymnastik
absolviert oder emsig leere Bierdosen aufsammelt, um sie dann doch im Gebüsch
zu entsorgen, lässt der vorzügliche Hauptdarsteller ein clowneskes
Talent durchschimmern, das ihn zum beliebtesten TV-Comedian Irlands gemacht
hat. Dank Pat Shortt strahlt Josie einen unermüdlichen, gleichsam Beckett´schen
Optimismus aus, der bis zum fatalen Ende nicht verglühen will.
So begreift er einen neuen Mitarbeiter
in der Tankstelle auch nicht als Konkurrenz, sondern als angenehme Abwechslung:
Mr. Gallagher bringt den Teenager David ins Spiel, der von Josie angelernt werden
soll. Eine kurze Phase gegenseitiger Scheu wird überwunden, bald sitzen
„Meister und Geselle" des öfteren
auf Klappstühlen vor der Garage und schauen ins Abendrot. David (vielversprechender
Debütant: Conor Ryan) trägt Glasbausteine auf der pickligen Nase,
wirkt verschlossen, aber nicht kaltherzig, und er kehrt das Generationenverhältnis
um, indem er dem Älteren den einen oder anderen Erkenntnisgewinn verschafft.
Wenn Wissen und Ohnmacht hier nur nicht so nahe beieinander lägen!
David schleppt Josie einmal zum Lagerfeuer
mit Kumpels und Freundinnen. Während alles knutscht, ragt Josie wie ein
breiter Leuchtturm aus der Runde - wegen seiner steifen Hüfte kann er nicht
auf dem Boden sitzen. Sein Kontakt mit der Dorfjugend weckt Wünsche, die
den ungeschriebenen Pakt zwischen ihm und dem Umfeld gefährdet. Mit dem
erwähnten „Korb", den ihm Carmel gibt, fängt es nur an. Nachdem
Josie dem minderjährigen David mit bestürzender Unbedarftheit ein
Pornovideo gezeigt hat, wird der Fehltritt publik, die Maschinerie des Gesetzes
läuft an, der Außenseiter wird unversehens zum Ausgestoßenen.
Mit großer Intensität gestaltet
Pat Shortt die finalen Szenen der Fassungslosigkeit, des stillen Kampfes um
eine bereits verlorene Existenz. Unerbittliche „Komik" prägt die Szene,
in der Mr. Gallagher zur Kündigung schreitet - von Abrahamson wird sie
verknappt auf das Bild des auf den Tee wartenden Chefs und den Gegenschuss auf
Josie, der ungeschickt Milchklumpen aus der schon für Gallagher gefüllten
Tasse fingert. Im irischen Fernsehen sind Shortt und John Keogh oft als Slapstickpartner
zu sehen. In jenem bitteren Moment geht es freilich um Tücken eines Alltags,
der schon keiner mehr ist.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Garage
Irland 2007 - Regie: Lenny Abrahamson - Darsteller: Pat Shortt, Anne-Marie Duff, Conor Ryan, Tommy Fitzgerald, John Keogh, Andrew Bennett, Jason Nelligan, George Costigan, Don Wycherley - FSK: ab 16 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 85 min. - Start: 12.3.2009
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