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Geisterfahrer
Rechts
ran, die Geisterfahrer kommen
Ein Film über die Wendigkeit linker
Politiker kann nur ein Horrorfilm sein. Freiburger Videofilmer sind deshalb
gleich ins Gruselkabinett gegangen. Ihre Dokumentaraufnahmen von dort erinnern
stark an Fernsehübertragungen aus dem Bundestag.
Auf der Spieluhr dreht sich Karl Marx,
die Faust geballt und nach oben gereckt, die Walze bringt in dünnen Tönen
die Internationale zu Gehör. Jo Leinen droht in einem alten Filmdokument:
».... werden wir dieses Land unregierbar
machen«. Das war vorher.
Und nachher – jetzt ist es eine TV-Aufzeichnung,
und er wischt sich grade den weißen Schaum aus dem Gesicht, dem ihn einer
draufgemacht hat – , Minister Leinen also
formuliert- »Der Zustand der Unregierbarkeit würde keines unserer
Probleme lösen«. Cohn-Bendit und all die andern legen Zeugnis ab
von ihrer Wandlungsfähigkeit. Joschka Fischer schwört auf Verfassung
und Gesetz, und im Veteranenzimmer fällt der Schmuckteller von der Wand,
»Mehr Demokratie wagen« stand drauf, in Schmuckschrift. Alles Scherben,
wie man sieht. Im Euro-Parlament erklärt der Abgeordnete »radikal«-Klöckner
dem Interviewer des Staatsfernsehens: »Ich bin froh, daß ich das
Geisterhaus verlassen kann«.
Der Videofilm »Geisterfahrer«
von der Medienwerkstatt Freiburg rechnet mit zwanzig Jahren oppositioneller
Politik ab und sucht sich sein Dokumentarmaterial auf dem Jahrmarktsrummel,
in der Geisterbahn. Horror & Entsetzen! Waren das unsere Utopien? Was wir
da sehen, kann's doch nicht gewesen sein. Und weil mehr Dinge wahr sind, als
die Augen sehen und die Worte sagen und das Dokumentarmaterial bietet, inszenieren
die »Geisterfahrer« die Wirklichkeit; sie arbeiten mit Fiktionen,
experimentieren mit den Bildern, verwischen die Grenzen von Wirklichkeit und
Fiktion und träumen den Traum von der Utopie weiter, entschieden Partei
ergreifend. Das ist mutig, gewiß doch. Aber für den Zeitgeist akut
gefährlich. Denn aus dessen Perspektive kommen ihm die »Geisterfahrer«
auf der eigenen Fahrbahn entgegen. »Rechts ran fahren«, empfiehlt
in solchen Fällen die öffentlich-rechtliche Anstalt: der Verkehrsfunk.
Die »Geisterfahrer« sollte
man sich ansehen, diesen ebenso politischen wie experimentellen Videofilm. Eine
exemplarische Stunde für das Bildmedium. So könnte es weitergehen:
Widerstand in jede Bildfolge, in jedes einzelne Bild hineinzutragen und für
jede Situation die ihr gemäße Aktion zu finden. Mit videospezifischen
Tricktechniken, die jedem »reinen« Videoexperiment gut anstehen
würden, greifen die »Geisterfahrer« punktuell in vorgegebene
Sinnzusammenhänge ein. Auf die Stirnwand des Plenarsaals wird Cohn-Bendit
eingespielt und seinem realpolitischen Statement damit das ihm gemäße
Auditorium verschafft. Auf dem SPD-Plakat kommen die Lippen des Vorsitzenden
in Bewegung, und Brandts Slogan (»Damit wir auch morgen in Frieden leben
können«) entleert sich zu eben dem, was das Bild zeigt: es ist plakativ.
Ein Zoom zurück legt das Bild der Grünen frei. Ein mannshohes Blumenbukett
vom Allerfeinsten, ein Rednerpult geschmückt mit der überdimensionalen
Atomkraft-nein-Danke-Plakette, ein Redner auf der großen Hochglanzbühne.
Eine perfide Inszenierung? Weit gefehlt, es ist, mit Schrecken wird man es gewahr,
das Dokument eines Auftritts in der Oberrheinhalle. Und jetzt steht er da, der
Kuttenmensch, der vorher schon, aber diesmal innerhalb der vom Film inszenierten
Jahrmarktszene, die Leute angelabert hatte, und er spricht die Merksätze:
»Gebt uns zehn Prozent, und ihr werdet diesen Staat nicht wiedererkennen«.
Und »Schafft einen, zwei, drei, schafft viele grüne Minister! «.
Beifall. Die Satire wird von der Wirklichkeit mitgeliefert, und wenn nicht,
hilft der Film nach. Die Dialoge von Matthias Deutschmann bringen die Dinge
auf den Punkt. Die Gründer der grünen Bank prosten sich zu. »Was
ist die Beraubung einer Bank gegen die Gründung einer Bank? Der Kapitalismus
ist nur mit seinen eigenen Waffen zu schlagen!«
Prost.
Die ambivalenten Bilder des Films suchen
sich ihre Logik. Das ist spannend, weil der Zuschauer immer wieder neu eingeladen
wird, in eine Szene einzusteigen, ohne gleich zu wissen, wo er herauskommt.
Das heißt, er weiß es schon, der Geisterfahrer, daß er schließlich
wieder ins Helle kommt. Auch hat der Film eine Parabel vorgebaut. Ein Moritatensänger
berichtet vom Minenarbeiter, der den Wohltäter erschoß. An die Pistole
wird zum Schluß des Film erinnert. »Wenn
unsere Träume nicht zu den Tatsachen passen, umso schlimmer für die
Tatsachen«. Die Geisterbahn wird abgebaut. »Mitreisende gesucht!»
Umso besser für die Träume,
für den Glanz der Utopien, die sich in diesem Videofilm über Tatsachen
und über Ereignisse (die vorgeben, unabänderliche Konsequenz objektiver
Bedingungen zu sein) hinwegsetzen und den sogenannten objektiven Faktoren mit
den ästhetischen Mitteln der Ironie und der Fiktionalität begegnen.
Damit lösen die »Geisterfahrer« grade im linken Lager Irritationen
aus, denn dort hatte man sich darin gewöhnt, Bilder darauf zu kontrollieren,
ob sie die rechten Beweis- und Belegstücke zur linken Theorie sind. Die
hitzige Diskussion auf der Duisburger Filmwoche brachte letzten Monat heraus,
daß wir subjektive Faktoren, Mut und Intensitäten brauchen und selbstredend
einiges andere mehr, wenn wir uns mit den tristen Fakten nicht begnügen
wollen. Und wir brauchen eine Ästhetik, wie die der »Geisterfahrer«,
die diesen Elan vermittelt und uns aus der Ohnmacht und Wut des Es-ist-schlimm-genug-und-es-kommt-noch-schlimmer
herausreißt.
Gewißdoch könnte sich Pepe
oder Didi von der Medienwerkstatt Freiburg hinstellen und explizit werden: hie
Fundis dort Realos, und wer verwaltet das utopische Erbe, und dann sauber argumentiert,
mit Doku-Material. Aber wer würde dann noch hinsehen und hinhören,
und wieso wäre das eine utopische Kolportage und nicht eine bürokratische
Leistung der Utopie-Verwaltung? – Die »Geisterfahrer« machen es
sich nicht bequem. Die subjektiven Faktoren und damit experimentelle Techniken
werden gebraucht, wenn Subjekte sich an die (durchaus auch politischen) Experimente
der Utopien wagen wollen, womit nichts anderes gesagt ist, als daß die
Filmästhetik auch ein Mittel des politischen Kampfes ist.
»Die Geisterfahrer« werden
persönlich, und das befremdet denn doch manchen wackren Kämpfer im
linken Lager, der nicht persönlich angesprochen werden möchte. Es
ist richtig, der Videofilm macht sich das eigene Lager zum Gegenstand, die Geschichte
der letzten zwanzig Jahre, und es geht nicht mehr um die anderen, die sowieso
unrecht haben. Es geht auch nicht um die Chronologie
der objektiven Ereignisse, sondern um die Kondition: um die Kraft und den Mut,
die man zur Tat brauchte. Und natürlich um Kleinmut und Anpassung an die
vorgeblich objektiven Faktoren.
Die Medienwerkstatt Freiburg hatte die
Methode, Erfahrungen der eigenen Geschichte zu aktivieren, schon mit der Chronik
von Wyhl (1972-1982) begonnen (»S-Weschpenäscht«). Auch hier
funktionierte die Methode, als das Gemeinsame der dokumentierten Aktionen den
großen Traum wiederzufinden, den Traum von direkter Demokratie, von Selbstbewußtsein
und Selbstorganisation, von Widerstand, von Experimenten. »Wenn wir Zukunft
träumen, können uns Bilder aus unserer Geschichte helfen«. –
Eine heile linke Welt, damals noch. Vier Jahre später schafft der Zeitgeist
auch in der linken Szene mit der Zukunft die Vergangenheit ab und macht ein
Werk wie die »Geisterfahrer« notwendig. »Die 'revolutionäre'
Elite von anno 68 hat den Staat auf der Karriereleiter unterwandert, eine träge
Kaste von 40 – 50-jährigen 'Altlinken' hat es sich kritisch hinter dem
Ofen bequem gemacht, die Grünen sind eine waschechte Partei geworden, die
Zeit der außerparlamentarischen Bürgerinitiativen scheint vorbei
zu sein« (Medienwerkstatt). Die neokonservative Restauration vereinnahmt
den Sozialismus als nostalgisches Souvenir. Die Spieluhr, auf der sich der gute
alte Marx dreht, hielt ich in den »Geisterfahrern« für eine
böse Erfindung. Fiktion oder Realität? In diesem Fall die Dokumentation
eines Geschenkartikels.
Der Videofilm stellt eine verkehrte Welt
auf den Kopf. Wenn wir uns selbst zum Thema machen, gibt es genug umzudrehen
– zur Geisterzeit: den grünen Parlamentarier, der sich auf die Anarchie
beruft, oder den Ministeramtskandidaten, der sich als Arm einer Bewegung versteht,
– oder die Ökobank, die Bewegung in die 'Bewegung' bringen will. Die Medienwerkstatt
Freiburg macht uns das Vertraute gespenstisch und das Utopische vertraut. Der
Einsatz der ästhetischen Mittel macht es möglich: das Spiel mit den
Möglichkeiten, die sich aus den dokumentarischen Fakten ergeben.
Das ZDF hat den Sendetermin für die
»Geisterfahrer« auf den 27. Januar [1987, die
Redaktion der filmzentrale]
verschoben, den Dienstag nach der Wahl. Anschließend wird der Film auch
in den Programm-Kinos gezeigt werden. Video-Verleih über Medienwerkstatt
Freiburg e.V., Konradstr.
22, 7800 Freiburg
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 01/1987
Geisterfahrer
BR
Deutschland - 1986 - 72 min. - Verleih: Medienwerkstatt Freiburg (Video) - Erstaufführung:
29.1.1987 ZDF - Produktionsfirma: Medienwerkstatt Freiburg
Regie:
Medienwerkstatt Freiburg
Buch:
Matthias Deutschmann, Medienwerkstatt Freiburg
Musik:
Cornelius Schwehr
Darsteller:
Moc Thyssen
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