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Das
Geisterhaus
Leiden
nach Gutsherren-Art
Die Verfilmung von Isabel Allendes »Geisterhaus«
bringt alles, was schon an der Vorlage bedenklich war, noch weiter herunter
Der Produzent Bernd Eichinger versucht
immer nur, Geld aufzuheben, das praktisch auf der Straße liegt: Die meisten
der Projekte, die er zusammengeschoben hat, waren entweder unverfrorene Rip-offs
von Kinohits – zuletzt »Body of Evidence« – oder Adaptionen von
Erfolgsromanen wie Umberto Ecos Name der Rose, Benóite Groults Salz auf
unserer Haut und nun Isabel Allendes Geisterhaus. Bisher hat diese Taktik viel
Halbgares, Triviales und Unbedarftes hervorgebracht, aber wenig ausgesprochen
Ärgerliches. Im Fall Allende ist es nun soweit.
Die breitangelegte Geschichte einer chilenischen
Grundbesitzerfamilie, die sich über vier Generationen, siebzig Jahre und
fünfhundert Seiten scheinbar wie von selbst erzählt, ist für
sich problematisch genug: Dem Roman wurde zu Recht seine bestenfalls unverbindliche
Haltung vorgeworfen, sein merkwürdig sympathetischer, zuweilen verklärender
Blick auf eine halbfeudale Klasse, die den verbrecherischen Putsch gegen die
demokratisch gewählte Regierung der Unidad Popular zuallererst zu verantworten
hatte. Die Autorin, immerhin eine Nichte Salvador Allendes, hat vor knapp acht
Jahren in einem Interview mit KONKRET (4/86) zu Protokoll gegeben, daß
sie sich nicht mit den lateinamerikanischen Demokratien »identifizieren
konnte«, auch nicht mit der chilenischen – sie werde nie einer Partei
angehören, weil sie nicht an »diese Dinge glaube«. Und ganz
offensichtlich reichen die literarischen Mittel, die ihr zur Verfügung
stehen, nicht aus, um ihre ganz persönliche politische und historische
Bewußtlosigkeit zu kompensieren: Das Geisterhaus ist kein Buch, das klüger
wäre als seine Verfasserin.
Der Verfilmung ist es nun gelungen, alles,
was an der Vorlage bedenklich war, noch weiter herunterzubringen. Nur vordergründig
paradox ist, daß der Film versucht – das gilt in geringerem Maße
auch für den Roman – , seinem Stoff die
»Ideologie«, den gesellschaftlichen Gehalt auszutreiben. Seit dem
Zusammenbruch der sozialistischen Staaten ist es modisch, alles verdächtig
zu machen, was nur irgend nach zusammenhängendem Weltbild, nach Stellungnahme
aussieht. Ein kämpferischer, politischer Film wie Bertoluccis »1900«,
der zugleich aufwendiges und glamouröses Kino ist, scheint heute nicht
mehr denkbar, weil im populären Verständnis das Politische selbst
zum Sündenfall geworden ist. Die Vorstellung, daß es sich nicht mehr
lohne, zwischen richtiger und falscher Politik zu unterscheiden, dient freilich
immer nur der Bestätigung des Bestehenden.
Bille Augusts »Geisterhaus«-Adaption
tut so, als könne man sich aus allem heraushalten. Drehbuch und Inszenierung
haben beflissen jeden Hinweis auf die räumliche Situierung des Geschehens,
jede Erinnerung ans historisch Konkrete des Stoffes getilgt. Nie sagt der Film,
daß wir uns in Chile befinden – gedreht wurde übrigens in Portugal,
weil es in Südamerika angeblich keine »geeigneten Locations«
gab – , Salvador Allende wird nicht einmal erwähnt, die Unidad Popular
avanciert zur »Volksfront«, und überhaupt darf nichts bei seinem
Namen genannt werden. Ganz offensichtlich vertraut »Das Geisterhaus«
darauf, daß sein Publikum die Aufnahmen vom Putsch und seinen Opfern,
die in den Siebzigern um die Welt gingen, längst vergessen hat: Der Film
wirkt wie eine jener retuschierten Fotografien aus der Stalin-Zeit, deren merkwürdige
»Leerstellen« den Betrachter gelegentlich noch ahnen lassen, daß
etwas zum Verschwinden gebracht wurde.
In nostalgisch verhangenen Cinemascopebildern,
die der Regisseur mit Möbeln, Säulen, Draperien und Topfpflanzen auffüllt,
weil er sonst nichts zu zeigen hat, entfaltet sich zunächst eine ländliche
Idylle, deren Elemente aus der Unterhaltungsliteratur der letzten hundert Jahre
zusammengeliehen sind: Das Gut »Drei Marien«, auf dem der durch
harte Arbeit reich gewordene Esteban Trueba und seine pittoreske kleine Familie
wirtschaften, könnte auch »Three Oaks« oder »Tara«
heißen, der cholerische Esteban steht seinem Betrieb so selbstherrlich
vor wie Lampedusas »Leopard« seinem sizilianischen Haushalt, das
Gras ist hier allemal grüner als anderswo, die Leidenschaften blühen
wie in einem der Taschenbuchromane, die unter der Marke »Romantic Thriller«
an eine vornehmlich weibliche Leserschaft gebracht werden. Über das bukolische
Tableau bricht die Moderne, brechen demokratische Umwälzungen wie faschistischer
Putsch als quasi-natürliche und im Prinzip ununterscheidbare Katastrophen
herein, als etwas, das niemand recht gesteuert und angeblich auch niemand verschuldet
hat.
Hatte schon der Roman die Figur des Estaban
Trueba ins Gemütvoll-Patriarchalische verzeichnet, so wird er im Film von
aller Schuld gereinigt: Die Adaption bringt es fertig, die politische Konstellation,
die Beteiligung des »latifundistas« und späteren Senators am
Sturz der demokratisch gewählten Regierung, anzudeuten und im gleichen
Atemzug Freispruch zu gewähren. »Wie konnte ich mich nur so täuschen...
Ich fühle mich selber mitschuldig«, grübelt der Alte – übertrieben
genierlich, denn seine Frau Clara, die wertungssteuernde Figur des Films, hat
ihm längst Absolution erteilt: Der Mann hat »nur zu viel Energie«.
Am Ende, nach unzähligen Schicksalsschlägen,
nach Unglück, Folter und Mord, steht ausgerechnet die Klasse, die die Unterdrückung
organisiert, als Opfer der Verhältnisse da: Das »Geisterhaus«
folgt jener traditionellen Kolportageformel, die den Leser oder Zuschauer am
angeblich tragischen Leiden von Königen, Aristokraten oder Unternehmerdynastien
teilhaben läßt und ihn darauf hinweist, daß jene vielleicht
weicher gebettet, irgendwie aber auch nicht besser dran sind als er. Nichts
anderes als das »Dallas«-Prinzip wirkt hinter der aufpolierten Fassade
dieser Familiensaga, selbst wenn sich der Film mit einem europäischen »Autoren«-Regisseur
und mit Schauspielern schmückt, die als seriös und integer gelten,
wie Jeremy Irons und Meryl Streep.
Daß Eichingers teure Produktion
mit ihrem Staraufgebot und ihrer populären Vorlage kein Risiko eingeht,
muß nicht wundern, auch nicht, daß sie handwerklich mißlungen
ist: Als typischer »Euro-Pudding« verströmt sie den süßlichen
Duft des Kunstgewerblichen. Höchst beunruhigend aber wirken der Zynismus
und die Unverfrorenheit, mit denen der Film über die Zeitgeschichte hinweggeht,
die Erinnerung an reales Leiden auslöscht: Die Geschichte spielt eben nicht
im siebzehnten Jahrhundert, wie Anne Golons Angélique-Romane, oder in
Atlanta zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs. Der Putsch in Chile
ist noch gegenwärtig, und wer einmal im Schwarzbuch Chile geblättert
hat, den muß das Grausen ankommen angesichts einer verlogen-gefühligen
filmischen Rhetorik, die mit einem flammenden Aufruf »für das Leben«
und gegen den Haß schließt: Wer ist da eigentlich aufgefordert zu
verzeihen?
»Das Geisterhaus« ist vielleicht
der bislang deutlichste populärkulturelle Ausdruck jenes neuen konservativen
Ideologems, das in gesellschaftlichen Konflikten ein schlechthin Böses
wirken sieht, ein Echo auf die aktuellen Bemühungen, jeden politischen
Einspruch und jede soziale Veränderung als potentielle Störung der
– gottgegebenen? – Ordnung zu denunzieren. »Leben ist ein Wunder«,
raunt die Off-Stimme, Winona Ryder schließt ihr Filmkind in die Arme,
der Wind streicht übers Gras. Als ob nichts gewesen wäre.
Sabine Horst
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 11/1993
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Geisterhaus
(1993)
THE
HOUSE OF SPIRITS
Deutschland
/ Dänemark /
Regie:
Bille August
Buch:
Bille August
Vorlage:
nach einem Roman von Isabel Allende
Kamera:
Jörgen Persson
Musik:
Hans Zimmer
Schnitt:
Janus Billeskov Jansen
Darsteller:
Jeremy
Irons (Esteban)
Meryl
Streep (Clara)
Glenn
Close (Férula)
Winona
Ryder (Blanca)
Antonio
Banderas (Pedro)
Vanessa
Redgrave (Nivea)
Armin
Mueller-Stahl (Severo)
Jan
Niklas (Satigny)
Joaquin
Martinez (Segundo)
Teri
Polo (Rosa)
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