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Genug gesagt
Und brummt sich bärig eins
Nicole Holofceners Film „Genug gesagt“ schärft den Blick für die flüchtigen Dinge und schenkt James Gandolfini eine besonders schöne Szene.
Die Geschichte des Fernsehens ist über weite Strecken noch flüchtiger
als die des Kinos. Was einst ausgestrahlt wurde, blieb lange, womöglich
für immer verschwunden, vielleicht irgendwo archivarisch hinterlegt, doch
ohne Chance auf Zirkulation. Eine Erinnerung ohne Konkretion, die, wenn überhaupt,
vom Hörensagen lebt. Albert (James Gandolfini) arbeitet diesem Vergessen
nicht nur dadurch entgegen, dass er aus dem Stand historische Sendeschemata
referieren kann, sondern auch, indem er das fernsehhistorische Archiv der Universität
pflegt.
Wann immer ein Forscher sich die Mühe macht – viele sind es nicht –, nutzen
sie zur Sichtung die von ihm verwalteten Bestände. Wenn wenig zu tun ist,
arbeitet sich Albert selbst durch historische Shows vergangener Tage, holt sich
noch mal konkret vors Auge, was den Augen lange schon entzogen ist und fürs
Archiv im Grunde nie konzipiert war: ein friedvoller Melancholiker, der in seinen
Archiven einer lakonischen Nostalgie anhängt.
Dass der ephemere Charakter der Fernsehgeschichte in Nicole Holofceners rundum
schöner Romantic Comedy einen dezenten Moll-Ton im Background setzt, erklärt
sich nicht allein dadurch, dass hier mit James Gandolfini („Sopranos“), Julia
Louis-Dreyfus („Seinfeld“) in der Rolle der Eva und der Regisseurin („Sex in
the City“, „Six Feet Under“ etc.) die jüngere, wenn auch nicht jüngste
Fernsehgeschichte stark repräsentiert ist; er bildet auch eine sanfte Allegorie
auf das eigentliche Thema des Films: dass man die flüchtigen Dinge und
ihren eigentlichen Wert erst dann wirklich erkennt, wenn man sie sich bewusst
und konzentriert vor Augen führt.
Charme, Humor, Gelassenheit
Damit dieser Groschen am Ende fallen kann, ist einiges an Verwicklung nötig:
Da ist also Eva, alleinerziehend, die von ihrem mobilen Massagetisch recht gut
lebt. Da ist Albert, den sie auf einer Party kennenlernt, der schon wegen seines
runden Äußeren als Love Interest einer Hollywoodkomödie nicht
in Frage kommt und deshalb auch – trotz Charme, Humor, lebensweiser Gelassenheit
– für Eva zunächst nicht. Doch dann eben schon – und dafür mit
der vollen Wucht der späten großen Liebe. Und da ist Marianne (Catherine
Keener), die Eva auf derselben Party kennenlernt, als Kundin gewinnt und die
ihr im Folgenden auf der Massagebank Schreckliches von ihrem Ex zu erzählen
hat, während Eva von ihrem neuen Lover Albert schwärmt. Dass Mariannes
Ex und Albert ein und dieselbe Person sind, dämmert Eva erst allmählich.
Und je tiefer Mariannes Horrorgeschichten einsickern, umso niedriger sinkt Albert
in Evas Gunst, umso monströser werden all die kleinen Details und Macken,
die man auch an seinen liebsten Menschen irgendwann unweigerlich registriert.
Eingeklemmte Haare
Toll ist, wie Nicole Holofceners die Welt um diese Geschichte um Projektionen
und Enttäuschungen, um die Wichtigkeit des eigenen Erlebens und Erkennens
mit unaufgeregtem, aber sehr souveränem erzählerischen Gestus auffächert,
die Figuren beobachtet und mit Leben füllt. Mit welcher Gelassenheit sie
auch die peinlichen Aspekte des Lebens – von liebenswürdiger Verfressenheit
bis zu den unterm Arm eingeklemmten Haaren beim Sex – auf gelöst menschliche
Weise in den Blick nimmt. Und auch, wie sie sanft und sehr selbstverständlich
die Dinge ein wenig verrückt.
Dass hier ein gestandener Mann zu Herzen gehend und emotional aufrichtig
sagen kann, dass er im tiefsten Innern verletzt wurde, ohne dass das Klischee
der empfindsamen Heulsuse bedient wird, sich nach Trost spendenden Frauenarmen
sehnt, ist angesichts dessen, was für zugerichtete Männer sonst oft
im Kino zu sehen sind, viel wert. Und wie oft steht im Kino eine Frau im Mittelpunkt,
die sich nicht aufopfert, sondern um einen Mann kämpft – einfach deshalb,
weil sie ihn, was ihr selbst erst viel zu spät dämmert, ja wirklich
von Grund auf liebt?
Dass man sich in diese Figuren ein Stück weit auch selbst verliebt,
liegt auch am schönen Schauspiel. Hier kommt zupass, dass beide vom Fernsehen
mit seinen höheren Anforderungen ans mimische Spiel kommen: Mit sichtlicher
Freude fängt die Kamera von Xavier Pérez Grobet alle Regungen von
Louis-Dreyfus und Gandolfini ein: Während Erstere die Dynamiken ganzer
Gefühlsregister auslotet, holt Gandolfini das Letzte aus den Falten in
seinen Augenwinkeln und brummt sich bärig eins. Umso trauriger stimmt es
einen – insbesondere da dieser Film auch davon handelt, wie man sehenden Auges
einen lieben Menschen zu verlieren droht –, dass Gandolfini im Juni von uns
gegangen ist. Als hätte sie es geahnt, schenkt Holofceners ihm eine ganz
besonders schöne letzte Szene.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Genug gesagt
(Enough Said) - USA 2013 - 93 Minuten - Start(D): 19.12.2013 - FSK: ab 6 Jahre - Regie: Nicole Holofcener - Drehbuch: Nicole Holofcener - Produktion: Stefanie Azpiazu, Anthony Bregman - Kamera: Xavier Pérez Grobet -.Schnitt: Robert Frazen - Musik: Marcelo Zarvos - Darsteller: James Gandolfini, Toni Collette, Catherine Keener, Julia Louis-Dreyfus, Amy Landecker, Ben Falcone, Michaela Watkins, Eve Hewson, Toby Huss, Kathleen Rose Perkins
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