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Gerdas
Schweigen
Was wichtig zu wissen ist: Dieser Film
von Britta Wauer ist der Nachklapp einer ausgedehnten Recherche des Journalisten
Knut Elstermann; das Buch „Gerdas Schweigen“ erschien bereits 2005. Ausgangspunkt
der Recherche war jedoch ein Fauxpas, der dem Kind Knut Ende der 1960er-Jahre
passierte, als Tante Gerda aus New York seine Familie besuchte. In den Gesprächen
der Erwachsenen über Gerda fielen Worte wie „Jüdin“ oder „Auschwitz“,
und es war auch von einem Kind die Rede, über das man (vielleicht) besser
nicht spräche. Als Knut Tante Gerda darauf anspricht, erhält er keine
Antwort. Fast 40 Jahre später, Knut ist mittlerweile Journalist, stellt
er seine Frage noch einmal – und diesmal bricht Gerda, nach einigem Zögern,
ihr Schweigen.
Der Film „Gerdas Schweigen“ ist teilweise
ein szenisches Re-Enactment der Begegnung von Gerda und Knut in New York, basiert
auf dem Material, das der Journalist im Verlauf seiner Recherche gesammelt hat,
bedient sich ausgiebig bei historischem Bild- und Tonmaterial. Teilweise erzählt
der Film die Geschichte der Wirkung des Buches auch weiter, wenn etwa die Reaktion
von Gerdas Sohn Steven zur Sprache kommt, der aus dem Internet erfahren muss,
dass er einmal eine ältere Schwester hatte. Sylvia, so der Name des Kindes,
wurde in Auschwitz geboren und verhungerte, weil die Mutter sie nicht stillen
durfte: Ein Opfer der Menschenversuche des berüchtigten SS-Arztes Dr. Mengele.
Dass es Sylvia überhaupt gab, blieb Gerdas Geheimnis, als sie nach dem
Krieg ein neues Leben begann. 1948 emigrierte sie nach New York und lernte 1951
ihren späteren Ehemann Sam Schrage kennen, der nie von Sylvia erfahren
sollte. Was Knut Elstermann nach eigener Aussage während der Recherche
lernte, ist so neu nicht: „Das musste ich erstmal begreifen, dass jemand, der
ein Holocaustüberlebender ist, ein ganz normaler Mensch ist und ein Privatleben
hat und auch private Gründen, über bestimmte Dinge nicht zu sprechen.
Dass das auch Menschen sind, die das Recht haben, ganz bestimmte Dinge zu verschweigen.“
Die Frage stellt sich, inwieweit es legitim
ist, trotz dieser Einsicht weiter fragend zu insistieren – und dabei in Kauf
zu nehmen, dass die Aufarbeitung des Verdrängten schwer wiegende Konsequenzen
in der Gegenwart der Befragten hat. Elstermann rechtfertigt sich damit, dass
mit dem Tod der letzten Holocaustüberlebenden wichtige Zeitzeugen verstummen.
Auch diesbezüglich zeigt sich Elstermanns Erwartungshorizont im Presseheft
etwas naiv, wenn er ausführt: „Sehr schnell wurde mir bewusst, dass jemand,
der 60 Jahre lang über etwas nicht gesprochen hat, keinen Monolog abliefert.
Da gibt es Bruchstücke und Fragmente, dazwischen ganz viel Ungelöstes
und Nicht-Verbundenes, was ich für das Buch versucht habe, aufzufüllen.“
Damit dürfte auch schon die größte Schwäche des Films bezeichnet
sein: Der filmische Diskurs mag keine Leerstellen. Nach Möglichkeit bedient
man sich in Privatarchiven, wenn es darum geht, die Familiengeschichten zu illustrieren.
Allerdings finden sich auch Fotos davon, wie Gerda nach einiger Zeit in der
Illegalität in Berlin schließlich verhaftet und nach Auschwitz deportiert
wurde – aufgenommen von SS-Männern. Hätte man hier nicht lieber eine
Lücke lassen sollen? Auch sonst gibt es einige Szenen im Film, bei denen
nicht unmittelbar einleuchtet, was damit bezweckt werden sollte: etwa einen
Besuch Elstermanns bei Gerda in New York. Das Kamerateam hat sich bereits in
der Wohnung platziert, als es an der Tür klingelt. Gerda öffnet, vor
der Tür steht Elstermann. Na, das ist aber eine Überraschung! Am schlimmsten
aber ist die auftrumpfende Musik von Karim Sebastian Elias, die sich wie Sirup
zwischen die Bilder und Töne schmiert und für den tragenden Rahmen
und Fluss der Montagekonstruktion sorgt. Laut Presseheft war ein emotionaler
Zugang zu einer exemplarischen Opfergeschichte beabsichtigt, aber letztlich
seien hier die Intentionen der Macher dominanter als die Autonomie des Opfers.
Der Gestus von „Gerdas Schweigen“ erinnert an US-amerikanische TV-Dokumentationen
oder auch an Geschichtsdarstellungen aus der Werkstatt Guido Knopps, wo es ja
auch immer mit erheblichem Aufwand darum geht, dem Zuschauer zu beweisen, dass
man „Geschichte“ erzählen kann. Und zwar als geschlossene Erzählung,
die möglichst keine Frage offen lässt. Dass das in diesem Fall glücklicherweise
nur ansatzweise gelingt, verdankt man Gerdas Sohn Steven, der im Film zwar nur
am Rande vorkommt, dessen Präsenz aber von der Komplexität der psychologischen
Konflikte, die aus Gerdas Biografie resultieren, erzählt. Schließlich
gründet Gerdas Schweigen nicht nur auf dem Tod der Tochter, sondern auch
darauf, dass Sylvia ein uneheliches Kind gewesen ist.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Gerdas
Schweigen
Deutschland 2007 - Regie: Britta Wauer - Mitwirkende: Gerda Schrage, Knut Elstermann, Steven Schrage, Helga Elstermann, Dorle Specht, Marisa Rosenthal - Länge: 90 min. - Start: 6.11.2008
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