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Der
Ghostwriter
Ungereimtheiten
in der Vita
Pierce
Brosnan steckt im selben Dilemma wie Tony Blair und auch die reale Situation
des Regisseurs Roman Polanski drängt sich in diesen Film: der Verschwörungsthriller
"The Ghost Writer"
Knapp
drei Wochen ist es her, dass ein Gericht in Los Angeles ein Gesuch Roman Polanskis
ablehnte. Der Regisseur, dem zur Last gelegt wird, 1977 eine damals 13-Jährige
zum Sex genötigt zu haben, wollte, dass das Verfahren in den USA gegen
ihn ohne seine Anwesenheit vonstatten geht. Dieses Ansinnen hat der Richter
Peter Espinoza nun endgültig abgewiesen. Zurzeit befindet sich Polanski
im Hausarrest im Schweizer Ort Gstaad, eine elektronische Fußfessel registriert
seine Bewegungen. Ob und wann ihn die Schweizer Behörden tatsächlich
an die USA ausliefern, ist offen.
Knapp
zwei Wochen ist es her, dass Tony Blair vor einem Untersuchungsausschuss in
London Rede und Antwort stehen musste. Verhandelt wurden Fragen wie die, ob
der ehemalige britische Premier an eine Verbindung zwischen Saddam Husseins
Regime und der Terrorgruppe al-Qaida glaubte, ob er die Existenz von Massenvernichtungswaffen
im Irak für gegeben hielt und ob völkerrechtliche Einwände gegen
den Kriegseintritt zu ihm vordrangen oder nicht. Sechs Stunden dauerte die Anhörung;
rechtliche Konsequenzen freilich hatte und hat Blair nicht zu befürchten.
Was
haben Tony Blair und Roman Polanski miteinander zu tun? Auf den ersten Blick
nicht viel. Doch sobald man sich "The Ghost Writer", Polanskis neuen
Film, der gestern Abend im Wettbewerb der Berlinale Premiere feierte, ansieht,
dann ist es eine ganze Menge. Denn in die fiktive Welt dieses Verschwörungsthrillers
drängen Blairs und Polanskis reale Situation mit einiger Wucht. Eine der
Hauptfiguren ist ein ehemaliger britischer Premier; er heißt Adam Lang
und wird von Pierce Brosnan gespielt. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof
in Den Haag, so will es das Drehbuch, soll ihm der Prozess gemacht werden, da
er während des Irakkrieges zuließ, dass britische Soldaten irakische
Kriegsgefangene an die CIA überstellten - in dem Wissen, dass die Häftlinge
daraufhin gefoltert würden.
Lang
befindet sich mit Familie und Entourage auf einer einsamen Insel vor der Küste
Neuenglands; ein Freund stellt ihm seine modernistische Villa in den Dünen
zur Verfügung. Weil die USA niemanden an den Strafgerichtshof in Den Haag
ausliefern, ist Lang hier vorläufig sicher, muss aber aushalten, dass sich
vor der Auffahrt zum Grundstück Kriegsgegner und Reporter versammeln -
dass er also auf eine ähnliche Weise belagert wird, wie Polanski in Gstaad
belagert wurde. Einmal sagt Langs Frau, sie sehne sich nach England. Lang antwortet:
Es sei besser, an Ort und Stelle auszuharren, "als in Heathrow in Handschellen
abgeführt zu werden".
"The
Ghost Writer" beruht auf einem Roman des Bestsellerautors Robert Harris;
Harris schrieb auch das Drehbuch. Der Film entstand zu großen Teilen im
Studio Babelsberg, er war noch nicht fertig, als Polanski im September in Zürich
verhaftet wurde. Aus dem Arrest heraus leitete der Regisseur Schnitt und Postproduktion
an. So ist der Film vor allem in seiner ersten Hälfte ein Vexierspiel von
Fiktion und Wirklichkeit, solide gemachtes, suspensereiches Genrekino, in das
Polanski seine eigene, prekäre Lage geschickt hineininszeniert. Zum Glück
ist er sich dabei für eine selbstironischen Volte nicht zu fein: Schließlich
ist Lang im Film alles andere als eine verfolgte Unschuld, sondern eine Figur,
die die Verbrechen, die ihr zur Last gelegt werden, wirklich begangen hat.
Je
mehr Raum im Folgenden die eigentliche Hauptfigur, der von Ewan McGregor gespielte,
namenlose Ghostwriter, in Anspruch nimmt, umso weniger bleibt von diesem anregenden
Vexierspiel. Der Schriftsteller reist nach Neuengland, um Langs Memoiren zu
verfassen. Dabei findet er rasch Ungereimtheiten in der Vita des Politikers.
Fast ohne eigenes Zutun wird er zum Detektiv, radelt über die sturmgepeitschte,
winterliche Insel, stellt einem misstrauischen, von Eli Wallach gespielten Einheimischen
Fragen, lässt sich vom Navigationssystem seiner Limousine durch dichte
Wälder führen und merkt schnell, dass nun auch er verfolgt wird (Polanski
schafft sich also ein zweites, diesmal rechtschaffenes Alter Ego). Was er bei
seinen Nachforschungen aufdeckt, ist, so viel sei verraten, schlechter ausgedacht
als die zu Beginn des Film lancierten Anwürfe gegen Lang. "The Ghost
Writer" verliert aus den Augen, dass die Wirklichkeit des Irakkriegs viel
erschreckender ist als es eine erfundene Verschwörung je sein könnte.
Und er vergisst von Anfang an ein entscheidendes Detail: Britische Soldaten
haben irakische Häftlinge nicht nur an die CIA überstellt, sie haben
sie auch in eigener Regie gefoltert.
Cristina
Nord
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Der
Ghostwriter
(The
Ghost Writer) F/D/GB 2010 Regie: Roman Polanski Darsteller: Ewan McGregor, Pierce
Brosnan, Olivia Williams, Kim Cattrall, James Belushi, Tom Wilkinson, Eli Wallach,
Timothy Hutton - 128 Min. – Dt. Kinostart: 18.02.2010
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