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Glaubensfrage
Schale
Theaterironie
Von strenger Observanz und heimlich genossenem
Messwein: Patrick Shanleys "Glaubensfrage" macht es sich etwas zu
leicht mit der katholischen Kirche.
Bei Menschen, die sich in einem geistlichen
Orden ganz ausschließlich Gott widmen, unterscheidet man zwischen allgemeiner
und strenger Observanz. Wer die strenge Observanz wählt, will mit der Welt
nicht viel zu tun haben, hat dafür aber gut damit zu tun, die auferlegten
Regeln einzuhalten. Die Schwester Aloysius (Meryl Streep), die in John Patrick
Shanleys Film "Glaubensfrage" ("Doubt") eine Klosterschule
in New York im Jahr 1964 leitet, meint es mit der Observanz aber noch in einer
anderen Hinsicht sehr genau. Sie lässt ihre Mitschwestern nie aus den Augen,
und vor allem hat sie ein strenges Auge auf den Priester der Schule, Father
Flynn (Philipp Seymour Hoffman). Dieser geistliche Herr hat sich nämlich
schon ein wenig dem Geist der neuen Zeit geöffnet, er nimmt manche Dinge
lockerer, als Schwester Aloysius dies zugestehen mag.
Der Skandal, der sich in dieser dialoglastigen
Verfilmung eines Theaterstücks des Regisseurs allmählich zusammenbraut,
ist dann auch ganz eine Frage der Perspektive, respektive der Observanz: Ein
afroamerikanischer Schüler sucht die Freundschaft von Father Flynn, und
Father Flynn gewährt diese Freundschaft ganz bereitwillig. Messwein wird
heimlich getrunken, und die unbedarfte Lehrerin Schwester James (Amy Adams)
wendet sich mit einem schrecklichen Verdacht an Schwester Aloysius.
"Glaubensfrage" ist zweifellos
eine Reaktion auf die vielen bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch
in der katholischen Kirche, zumal der USA. John Patrick Shanley will aber auf
eine grundsätzlichere Sache hinaus: Er inszeniert ein Duell zwischen Fundamentalismus
und Liberalismus, das er ein wenig wohlfeil in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen
Konzil zurückverlegt, in eine Zeit also, als die katholische Kirche habituell
noch ganz anders verfasst war und aus heutiger Sicht geradezu unglaubliche Verhaltensweisen
pflegte.
Meryl Streep zieht unter dem Ordenshäubchen
alle Register der Darstellung einer Frau, die vor lauter Repression (Observanz!)
beinahe schon erstarrt ist - die zuckenden Gesichtsmuskeln sind das letzte Zeichen
einer verschütteten Vitalität. Shanley ist klug genug, dieser im Grunde
komischen Figur auch einen Teil der Wahrheit zuzuordnen, um die es in diesem
insgesamt allzu abgeklärten Film geht - die Ambivalenz, die aller Liebe
eignet, löst Shanley in schale Theaterironie auf.
Bert Rebhandl
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Glaubensfrage
USA
2008 - Originaltitel: Doubt - Regie: John Patrick Shanley - Darsteller: Meryl
Streep, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Viola Davis, Joseph Foster II, Alice
Drummond, Audrie J. Neenan, Susan Blommaert - FSK: ab 6 - Länge: 104 min.
- Start: 5.2.2009
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