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Godzilla
In Godzilla We Trust
In Roland Emmerichs ,,Godzilla“ hat ein altes japanisches Trampeltier seinen ersten Einsatz in Manhattan.
Auf dem weltweiten Film-Markt sind in diesem Jahr drei konkurrierende
Verfahren zur Verwüstung von Manhattan in Umlauf: Das Modell ,,Armageddon"
bietet in wenigen Minuten Teilzerstörung in stadtbildveränderndem
Ausmaß durch Kometeneinschläge. Wer totale Verwüstung in kürzestmöglicher
Zeit bevorzugt, hält sich an die über die Ostküste der USA hinwegrasende
Flutwelle im Modell ,,Deep Impact". Bei ,,Godzilla", der neuesten
Variante, fällt das Zeit-Leistungs-Verhältnis eher ungünstig
aus: Die hochhausgroße Echse, die durch die Mutter aller modernen Großstädte
stampft, braucht ziemlich lang, um massive Sach- und Gebäudeschäden
anzurichten. ,,Godzilla" wendet sich an Freunde destruktiver Detailarbeit
im unteren Wirkungsbereich und an Konsumenten, die in Sachen Manhattan-Zertrümmerung
einer renommierten Marke vertrauen: Das Team um Roland Emmerich (Regie, Drehbuch)
und Dean Devlin (Co-Autor, Produzent) konnte 1996 mit dem prototypischen Modell
,,Independence Day" überzeugen, dessen Vernichtungsquote – simultane
Alien-bedingte Einäscherung von New York, Washington und Los Angeles –
unübertroffen bleibt.
Nicht nur in dieser Hinsicht schneidet ,,Godzilla" gegenüber
,,Independence Day", der zwangsläufig seinen Maßstab vorgibt,
schlecht ab; nicht weil ,,ID4" so ,,gut" gewesen wäre (dieses
Kriterium erübrigt sich bei Emmerich weitgehend), sondern weil er in umfassendem
Sinn so "groß" war: Zerstörungswut, Lärm, inszenatorischer
Kitsch, zwanghaft gute Laune, humanistische Wallungen, Kurzschluß-Psychologie,
männliche Hysterie, Militarismus, Patriotismus, Nostalgie und schiere Blödheit
wurden in atemberaubenden Ausmaßen geboten. Dementsprechend enthielt ,,Independence
Day" einige Sequenzen, deren überdimensionierte Wucht wenn schon nicht
stilistisch beeindruckend, so doch von markenzeichenhafter Prägnanz war.
,,Godzilla" versucht nicht, diese Latte zu überspringen,
und vergibt jeden Anspruch auf Einprägsamkeit. Er spielt fast zur Gänze
im Regen, nachts oder bei diesigem Licht. Der Verzicht auf klare Sicht soll,
so Devlin, das Monster bedrohlicher machen, kommt wohl auch der digitalen Tricktechnik
entgegen und verbirgt kaum ein fundamentales Dilemma: Ist der Godzilla einmal
zur Gänze enthüllt, kann er außer rumtrampeln nicht mehr viel
tun. Erstaunlicherweise enthält sich das Script potentieller Attraktionen
wie Wunderwaffen (es wird konventionell, mit Helikoptern und Artillerie gekämpft)
oder Zerstörung weltberühmter Monumente: Anstatt daß die Echse
z.B. der Freiheitsstatue den Arm ausrenkte, geht bloß das Chrysler Building
zu Bruch. Dutzende gefräßiger Godzilla-Babies, die in einem Sportstadion
ein eingeschlossenes Forscherteam bedrängen, bieten etwas Abwechslung,
bis das totgeglaubte Mutter/Vater-Tier – Godzillen sind Zwitter! – erwartungsgemäß
zum Showdown wiederkehrt (eine von vielen berechenbaren Wendungen). Damit verirrt
sich der Film unheilbar in Spielbergs Sauriergehege: Der große Stampfer
im nächtlichen Regen und die kleinen Beißer in labyrinthischen Gängen
erinnern so unmittelbar an analoge T-Rex und Raptoren-Attacken aus "Jurassic Park",
daß ,,Godzilla" kaum je imstande ist, sein eigenes Revier abzugrenzen.
Originalität war jedoch insofern gefragt, als es darum ging,
das Monster "neu zu erfinden" (Devlin), dessen Ursprungsmythos zu
rekonstruieren. In den Sechziger- und Siebzigerjahren hatte ein 22-teiliger
Zyklus japanischer Godzilla-Filme das Urviech weitgehend zum Kuscheltier der
Nation stilisiert, dessen oft disneyesker Trickfilm-Charme die Kinder dieser
Welt entzückte. Die aktuelle Fassung verfährt wie ,,Independence Day",
der an der Putzigkeit von ,,E.T." vorbei auf das alte
Bild vom Alien als Todfeind rekurriert war: Sie annulliert die Umdeutungen und
greift auf den Erstlingsfilm der Toho-Studios von 1954 zurück, in dem ein
durch Kernwaffentests aus ewigem Schlaf erweckter Saurier Tokio verwüstet.
Emmerichs Godzilla ist wieder böse (zum Verdruß des japanischen Publikums),
geboren als Mutant aus französischen Atombombenversuchen auf Mururoa.
Diese Herleitung wird genutzt, um eine Szene in Tschernobyl, sowie ein von Jean
Reno geführtes Team französischer Geheimagenten zu integrieren: Als
wandelnde Franzmann-Klischees und (sympathische) Fremde in New York sind sie
Gaglieferanten und Godzillas menschliche Pendants; im Verbund mit Matthew Broderick
als griechisch-stämmigem Wissenschaftler und ostentativem Softie und mit
einem italo-amerikanischem Fernseh-Kameramann treten sie die Nachfolge des jüdisch-afroamerikanischen
Bündnisses (Jeff Goldblum-Will Smith) in ,,ID4" an – ein vordergründiger,
unterschwellig strikt selektiver Multikulturalismus, der stets ohne Asiaten
und Latinos auskommt.
Der ,,Godzilla" von 1998 will ,,Probleme unserer Zeit" behandeln: ökologische Sorgen, politische Ängste oder die Karrierenöte einer Power-Frau, die die Heldin (ebenfalls TV-Reporterin) durchexerziert. Und doch kann er gar nicht mehr sein als das Bißchen Gegenwartsbezug und spezialeffektiv beschworene Ultra-Präsenz, das nötig ist, um einem Massenpublikum für einen Moment den verlorenen Kinderglauben an die Monster und monster movies von einst zurückzugeben und eine Tradition aus Trash als vorprogrammierten ,,Kult" wiederzubeleben. Mehr noch als so viele andere Recycling-Blockbuster droht jedoch ,,Godzilla“ in lauter Déjà-vus zu verschwinden und unter der Last des nostalgischen Gerölls, das er lostritt, zusammenzubrechen.
Drehli
Robnik
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Falter, Wien, Sommer 1998
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Godzilla
(Godzilla) - USA, Japan 1998 - 139 Minuten - FSK: ab 12 Jahre - Regie: Roland
Emmerich - Drehbuch: Roland Emmerich, Dean Devlin, Terry Rossio (Story), Ted
Elliott (Story) -
Produktion: Dean Devlin - Musik: David Arnold, Michael Lloyd - Kamera: Ueli
Steiger - Schnitt: Peter Amundson, David Siegel - Besetzung: Matthew Broderick,
Jean Reno, Maria Pitillo, Hank Azaria, Kevin Dunn, Michael Lerner, Harry Shearer,
Arabella Field u.a.
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