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Gran
Torino
Der
Fassadenbrecher
Clint Eastwood hat in Gran Torino
womöglich seinen letzten großen Auftritt – als beinahe sympathischer
Rassist. Endpunkt seiner jahrelangen Arbeit am eigenen Image
Clint Eastwood befindet sich lange im
Rentenalter, aber im Kino zieht er Ärger immer noch an wie ein Magnet.
Als wäre die Zeit seit Dirty
Harry stehengeblieben.
Sein neuer Film Gran Torino weckt Erinnerungen an Eastwoods berühmteste
Rolle, denn Walt Kowalski ist aus demselben Holz geschnitzt. Seine Worte presst
er zwischen den Zähnen hervor, und jeder zweite Satz endet mit einer persönlichen
Beleidigung; in Gran Torino sind sie meist rassistischer Natur. Eine
Gruppe schwarzer Jugendlicher, die die Tochter seiner vietnamesischen Nachbarn
auf offener Straße belästigen, nennt er „spooks“, ein Schimpfwort,
das genauso antiquiert ist wie Walt selbst. Mit seinen politischen Ansichten
ist er gesellschaftlich längst nicht mehr integrierbar, doch Integrationsfiguren
haben Eastwood auch nie sonderlich interessiert. Wahrscheinlich würde er,
Hollywoods letzter klassischer Geschichtenerzähler, sie als nicht „wahr“
bezeichnen. Walt wäre demnach ein durch und durch wahrhafter Charakter:
bis an die Schmerzgrenze gefangen in seinen Widersprüchen. Er sehnt sich
nach der guten alten Zeit, die ihn innerlich kaputt gemacht hat. Wenn er die
Jugendlichen mit seiner imaginären Pistole aus Daumen und Zeigefinger bedroht,
muss man über diese Borniertheit fast schmunzeln – auch weil in dieser
hilflosen Geste die Coolness so vieler Eastwood-Charaktere nachklingt.
Drei Regisseure haben den Schauspieler
Clint Eastwood im Kino verewigt. Zwei von ihnen, Sergio Leone und Don Siegel,
haben ihn gewissermaßen erfunden: als wortkargen Einzelgänger, dessen
Idiom und Physiognomie heute einen eigenen Mythos bilden. Der dritte Regisseur,
Eastwood selbst, ist seit Anfang der Neunziger Jahre mit der stückweisen
Korrektur dieses Images beschäftigt. Eastwoods Karriere doppelt sich in
der Entwicklung seiner Leinwandpersona vom großen Schweiger mit Schwarz-Weiß-Weltsicht
zur moralischen Autorität. Ob er in Erbarmungslos beim Versuch, sein Pferd zu besteigen,
in den Dreck fällt oder in Million
Dollar Baby die verschwitzten
Handtücher in seiner heruntergekommenen Boxhalle wegräumt – in Eastwoods
Kampf wird permanent eine Vergangenheit gegenwärtig, die neuralgische Punkte
im amerikanischen Selbstverständnis berührt.
Am Rande
der Gesellschaft
Eastwood hat den Western, diese von nationalen
Gründermythen und anderen Hirngespinsten durchfurchte Großerzählung,
gleich zweimal zu Grabe getragen. Erst in der europäischen Variante unter
Leone, später in eigener Regie mit Erbarmungslos: in der Rolle eines alternden Kopfgeldjägers,
der dem Kreislauf der Gewalt nicht mehr entkommen kann. In Dirty
Harry, dem antithetischen
San-Francisco-Film der frühen siebziger Jahre, kehrte er später die
Überreste der Flower-Power-Bewegung zusammen; selbst der psychopathische
Killer hatte in Siegels Film lange Haare. Und als Präsidenten-Leibwächter
musste er in In the Line
of Fire das Trauma der
Ermordung John F. Kennedys symbolisch noch einmal durchleben. Vielleicht gilt
Eastwood gerade deswegen als amerikanische Ikone, weil in ihm die Negation seines
Mythos bereits verinnerlicht ist. Diese Ambivalenz ist ein Merkmal seiner Charaktere.
Walt Kowalski stellt nun die Quintessenz
des späten Eastwood dar: ein Kriegsveteran (Korea diesmal), rassistischer
Misanthrop und unverbesserlicher Dickschädel. Nach dem Tod seiner Frau
ist ihm nichts geblieben als sein 1972er Ford Gran Torino und die Hündin
Daisy. Einer seiner Söhne verkauft japanische Autos, was für Walt,
der sein Leben bei General Motors am Fließband gestanden hat, einem Verrat
gleichkommt. Tagsüber sitzt er Bier trinkend auf seiner Veranda und sieht
der Nachbarschaft beim Verfallen zu. Der Strukturwandel der amerikanischen Innenstädte
liefert in Gran Torino die Folie für Eastwoods Kulturpessimismus.
Kaum eine amerikanische Stadt hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten wirtschaftlich
so gelitten wie Detroit. Wer nach dem Niedergang der Automobil-Industrie zurückgeblieben
ist, verfügt entweder nicht über die finanziellen Mittel, um wegzugehen,
oder ist wie Walt aus der Zeit gefallen. Er verkörpert die last frontier,
ein Bollwerk gegen den gesellschaftlichen Wandel: ein Immigrantensohn, der den
nachfolgenden Generationen von Immigranten die Solidarität aufgekündigt
hat. Es gehört zum Markenzeichen Eastwoods, dass sich in sein Spiel immer
wieder Spuren ironischer Distanzierung mischen. In Gran
Torino bedient er sich
einer schlechten Angewohnheit seines Josey Wales aus Der
Texaner (1976) wenn er,
wo immer er steht, Kautabak ausspuckt – und in dieser Disziplin in einer alten
Vietnamesin, die ihn pausenlos in einer ihm fremden Sprache beschimpft, seine
Meisterin findet.
Dass er die historische Kontinuität
seiner Figuren nie aus dem Blick verliert, macht Eastwood zu einem so außergewöhnlichen
Geschichtenerzähler. Der Texaner besitzt für Gran
Torino eine Schlüsselfunktion.
Im Film kämpft er nach Ende des Bürgerkriegs als letzter Widerständler
gegen die siegreichen Yankees; seinen Frieden findet er erst in einer Ersatzfamilie
aus gleichermaßen Verstoßenen. Wie dieser Josey Wales wird auch
Walt Kowalski letztlich nicht von der Gesellschaft, auch nicht von seiner Familie
oder dem impertinenten jungen Priester der Gemeinde, integriert, sondern von
Menschen, die ebenfalls am Rande des gesellschaftlichen Leben stehen. Der Nachbarssohn
Thao und dessen vorlaute Schwester Sue finden Zugang zu dem alten Knochen (zunächst
über die traditionelle Küche der Hmong), und sie führen die Brüchigkeit
seiner Fassade aus rassistischen Ressentiments vor. Walt gehört wie alle
Figuren Eastwoods unwiderruflich der Vergangenheit an. Einer Zeit, die nicht
unbedingt besser, aber wenigstens lesbarer war. Beziehungsweise mit ein paar
Handgriffen lesbar gemacht werden konnte.
Jedes
Trauma, für sich allein
Es ist folgerichtig, dass Eastwood die
amerikanische Geschichte in erster Linie als eine Geschichte der Gewalt versteht.
Wenn er sich selbst inszeniert (ein Privileg, das er seit einigen Jahren keinem
anderen Regisseur mehr zugesteht), nimmt dieses Verhältnis zunehmend prekäre
Züge an, weil die Gewalt, mit der sich seine Figuren konfrontiert sehen,
gewissermaßen als letzte verlässliche historische Instanz, ihre strukturierende
Funktion verloren hat. Ähnlich den jüngsten Figuren von Tommy Lee
Jones (Im
Tal von Elah, No
Country for Old Men),
dem anderen konservativen Recken Hollywoods, der noch etwas Vernünftiges
über Amerika zu sagen hat, drückt sich bei Eastwood die Krise des
Gesellschaftlichen in der Irrationalität der Gewalt aus, die eben diese
Gesellschaft hervorbringt. Eastwoods Veteranen sind nicht mehr Teil dieser Dynamik,
suchen darin aber ständig nach einem Bezug, um sich in der Zeit, in der
sie leben, noch zurechtfinden zu können.
Diese Position ist nicht unproblematisch.
Mitunter fällt es schwer, Walts Rassismus als Ausdruck eines Generationenkonflikts
abzutun, weil Eastwood, wie häufig in seinen letzten Filmen, außer
versöhnlichen Gesten auch einen Sündenbock parat hat. In Gran Torino
sind es die Straßengangs, die Thao und die Nachbarschaft terrorisieren.
Weil der Junge alten Damen die Einkaufstaschen ins Haus trägt, bleiben
Walts altgediente Wertevorstellungen - trotz Migrationshintergrund sozusagen
- intakt. Hier greifen Eastwoods Filme manches Mal zu kurz: Sie beschreiben
komplexe Konstellationen, bieten aber nicht mehr als blauäugige Lösungen.
Der soziale Kontrakt, den Walt und Thao schließen, könnte auch direkt
aus dem Kino der Eisenhower-Ara stammen: Walt zeigt Thao, was es bedeutet, ein
(amerikanischer) Mann zu sein; der Junge bringt ihm im Gegenzug Milde und Respekt
bei.
Eastwoods skeptischer Blick von der Veranda
auf Amerika ist zwangsläufig eingeschränkt, aber in der Beschreibung
gesellschaftlicher Verhältnisse mitunter sehr genau. So schafft er in seinen
Filmen immer wieder überraschende Allianzen. Thaos Familie ist wie Walt
zwischen Tradition und Moderne gefangen. Ihre Geschichten sind gleichermaßen
von Gewalt gezeichnet: Walt hat in Korea „Schlitzaugen“ getötet; die Hmong
haben im Vietnam-Krieg auf Seiten der Amerikaner gekämpft – und sind dafür
vertrieben worden. Jeder ist auf seine Weise traumatisiert. „Was einen Mann
am meisten verfolgt,“ erzählt Walt in Erinnerung an „seinen“ Krieg, „sind
die Dinge, die ihm von niemandem befohlen wurden.“
Dass Eastwood sich in seinen letzten Rollen
nicht mehr ganz ernst nehmen kann, zeugt auch von einem entspannten Verhältnis
zu seinem Vermächtnis, der Macho- und Heldenfolklore, die er so lange verkörpert
hat. Das ist eine beachtliche Leistung für einen, der einst mit seiner
großkalibrigen Magnum eine neue Rechtsordnung durchsetzen wollte. In dieser
Hinsicht stellt Gran Torino nach fast 30 Jahre Arbeit am Dirty-Harry-Image
eine Art Schlusspunkt dar; dem Vernehmen nach soll es sein letzter Film vor
der Kamera bleiben. Das macht Gran
Torino als Film über
den Schauspieler Clint Eastwood auch wesentlich interessanter als im Kontext
seiner Regie-Arbeiten. Niemand soll das letzte Wort zu Eastwood haben außer
Eastwood selbst, der wie kein anderer Hollywoodstar die amerikanische Ikonografie
des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Und sein Abgang ist respektabel, mit
einem Lied auf den Lippen (er klingt wie ein gut abgehangener Lee Marvin) und
einem letzten Selbstzitat voll bitterer Ironie. Eastwood kann nicht anders,
als in Cowboy-Manier abzutreten. Mit dem Finger am Abzug. Seines Feuerzeugs.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Der Freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Gran
Torino
USA 2008
- Regie: Clint Eastwood - Darsteller: Clint Eastwood, Bee Vang, Ahney Her, Christopher
Carley, Brian Haley, Geraldine Hughes, Dreama Walker, Brian Howe, John Carroll
Lynch - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 116 min.
- Start: 5.3.2009
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